Tagebuch aus Kirgistan: Ausgeliefert sogar in der Sauna
Im April wurden 59 kirgisische Migranten aus einem Badehaus gezerrt. „Nicht ungesetzlich“, sagen die Behörden. Alltag für Kirgis:innen in Russland.
H albnackte Männer müssen auf dem Boden kriechen. Diese Videos gehen derzeit viral. Es sind Bilder von Menschen, die nach harter Arbeit in die Sauna gegangen waren, um zu entspannen. Doch als sie Dampf und Ruhe genießen wollten, haben russische Sicherheitskräfte das Bad gestürmt.
Wieder einmal wurden in Russland Bürger:innen eines zentralasiatischen Landes misshandelt, in aller Öffentlichkeit geschlagen. Dieses Mal traf es Saisonarbeiter aus Kirgistan, die von Spezialkräften gedemütigt und misshandelt wurden.
An einem Tag im April wurden 59 Personen aus einem Badehaus auf eine Polizeiwache gebracht, um dort verhört zu werden. In 25 Fällen wird behauptet, es sei gegen Aufenthalts- und Einreisebestimmungen der Russischen Föderation verstoßen worden. Die 25 Männer wurden mit einer Geldstrafe belegt, möglicherweise werden sie des Landes verwiesen. Was offiziell als „Kontrolle der Dokumente“ gilt, sollte man nicht so nennen. Es ist Folter.
In Russland sind schlimme Vorurteile und Hasspropaganda gegen zentralasiatischen Migrant:innen kein neues Phänomen. In den Medien ist Fremdenfeindlichkeit besonders verbreitet: Ein:e Migrant:in gilt als Kriminelle:r. Der Krieg in der Ukraine hat die Situation weiter verschärft. Das Kreml-Regime braucht diese Propaganda als ständige Machtdemonstration. Es will zeigen, wer die Herren nicht nur in Russland selbst, sondern in der ganzen Region sind.
Die Saat des Rassismus geht auf
Die von den den Behörden verbreiteten Narrative finden in der Bevölkerung Anklang. Gerade Angriffe auf Menschen in Dienstleistungsberufen, die den „falschen Augenschnitt“ aufweisen oder einen nichtslawischen Nachnamen tragen, sind keine Seltenheit. Sie häufen sich sogar. Besonders sind Taxifahrer:innen betroffen, denn viele Fahrgäste weigern sich, in ein Auto zu steigen, wenn eine asiatisch aussehende Person am Steuer sitzt. Oft kommt es auch zu körperlichen Attacken.
Und so reagiert der russische Staat: Der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma hat ein Gesetz vorgeschlagen, das Migrant:innen verbieten soll, als Taxifahrer:innen zu arbeiten. Bis das Gesetz verabschiedet sei, solle es eine Regelung geben, wonach Gäste die Fahrt verweigern können, wenn ein:e Migrant:in am Steuer sitzt.
In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Migrant:innen, die in Russland arbeiten, mehr als halbiert. Nach offiziellen kirgisischen Zahlen arbeiten derzeit etwas mehr als 350.000 Kirgis:innen in der Russischen Föderation, im Jahr 2023 waren es noch 650.000, und in den Jahren davor waren es bis zu einer Million.
Kirgistan ist abhängig von Russland. Es kann sich keinen offenen Konflikt leisten. Doch immerhin reagierten die Behörden in Bischkek auf den Vorfall im Badehaus, indem sie dem russischen Botschafter in Kirgistan eine Note überreichten. Darin fordert das Außenministerium die Regierung in Moskau auf, „wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte der kirgisischen Bürger zu schützen und eine solche Situation, die den bilateralen Beziehungen schaden könnte, zu verhindern“.
Das russische Innenministerium kommentierte den Vorfall nur mit der Behauptung, dass „Polizeibeamte keine ungesetzlichen Handlungen gegen Migranten begangen“ hätten und ja auch keine Beschwerden ausländischer Bürger:innen eingegangen seien. Das war's, was kommt als Nächstes?
Mahinur Niyazova ist freie Journalistin und stammt aus Bischkek in Kirgistan. Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
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