Tag der kurdischen Sprache: Auf zum fröhlichen Spracherwerb!
Verboten ist Kurdisch in der Türkei nicht mehr. Ab und an adressiert sogar der Staat seine Bürger*innen auf Kurdisch. Aber sie sollten ihm lieber nicht antworten.
Vermutlich haben Sie überhaupt keine Lust mehr auf Corona-Artikel, und ich kann das gut verstehen. Deshalb verschone ich Sie mit Details darüber, wie die Infektionsgefahr für uns politische Gefangene in der Türkei zu Haftverschärfungen in den so schon unwirtlichen Gefängnissen führt. Ich hab ohnehin fast so etwas wie eine Schreibblockade. Feiern wir lieber gemeinsam den heutigen Tag der kurdischen Sprache. Nicht mit linguistischen Abhandlungen, sondern eben so weit, wie die Grenzen meiner Sprache mir zu gehen erlauben. Immerhin schreibe ich diesen Brief aus der Haft in einer Fremdsprache, dem Türkischen. Er muss ja schließlich von den Behörden gelesen werden können, bevor er Sie erreicht.
Für die vielen Millionen Menschen, die in der Türkei mit der Muttersprache Kurdisch aufwachsen, gibt es bis heute keine Möglichkeit, in dieser Sprache unterrichtet zu werden. Es ist erstens nach wie vor verboten, Kurdisch als Unterrichtssprache anzubieten. Zweitens gibt es einige Unstimmigkeiten, um nicht zu sagen Unverschämtheiten, bei der Umsetzung der Reformen zum Umgang mit dem Kurdischen. Die Türkei hat einen staatlichen Fernsehsender, der in kurdischer Sprache ausstrahlt, aber die einzige kurdischsprachige Tageszeitung, die unabhängige Welat ist natürlich verboten.
Durch die östlichen Provinzen unseres gemeinsamen Landes fahren Streifenwagen, die über Lautsprecher in kurdischer Sprache die Bevölkerung ermahnen, bitte „zuhause zu bleiben“, während gleichzeitig die kommissarischen Regierungsverwalter nach Absetzung der gewählten Bürgermeister*innen allerorten umgehend kurdischsprachige Hinweisschilder von öffentlichen Gebäuden abmontieren ließen und lassen. Das heißt unterm Strich: Wenn du der Staat bist, darfst du Kurdisch sprechen, aber wenn du eine Kurdin bist, eher nicht. Was die Sprache selbst wohl dazu sagen würde, wenn sie sprechen könnte?
Am neuen riesigen internationalen Flughafen von Istanbul wird Reisenden in 36 Sprachen und 80 Dialekten kundennaher Service angeboten. Kurdisch befindet sich allerdings nicht darunter. Na ja, derzeit darf man ja eh nicht reisen. Wichtiger sind für die meisten von uns die Veröffentlichungen des Gesundheitsministeriums, das immerhin in sechs verschiedenen Sprachen die in der Türkei lebenden Menschen anspricht. Kurdisch ist nicht dabei. Und sprechen Sie die Sprache mal vor Gericht oder gar in einer Rede im Parlament, wenn Sie denn hineinkommen. In den offiziellen Protokollen steht dann immer nur „spricht in unbekannter Sprache“. Dies ist die bockige Feindseligkeit gegenüber dem Kurdischen, mit der sie dann umgehend an uns Appelle richten, doch die Einheit und den Zusammenhalt im Lande zu wahren.
Dabei setzt sich die UNESCO seit 1953 weltweit für Grundschulunterricht in der Muttersprache ein. Es ist ein international verbrieftes Kinderrecht, das da bis ins Jahr 2020 hinein von der Türkei hartnäckig ignoriert wird. Kurdische Kinder müssen daher die ersten Schuljahre mit dem unvermittelten Erwerb einer Fremdsprache verbringen, statt dem Unterrichtsstoff folgen zu können. Wenn sich niemand um die kurdische Sprache kümmert und es uns nicht erlaubt wird, sie als Teil unseres alltäglichen öffentlichen Lebens zu nutzen, wird sie in absehbarer Zeit vermutlich aussterben.
Natürlich sind wir Kurdinnen und Kurden in erster Linie verantwortlich dafür, dass es so weit nicht kommt. Wir können und sollten in unseren täglichen Interaktionen untereinander unsere eigene Sprache benutzen. Wir sollten sie unseren Kindern beibringen und zuhause, auf der Straße, beim Einkaufen sprechen. Wir sollten dafür kämpfen, dass die öffentliche Hand uns Kurdisch als Unterrichtssprache anbietet. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein fröhliches, gesundes Fest der kurdischen Sprache und schließe mit einem herzlichen: Cejna Zimanê Kurdî Pîroz Be!
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
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