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TV-Duell vs. Serie guckenAbschalten? Umschalten!

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Unser Autor hat das TV-Duell zwischen Merz und Scholz geschwänzt – und sich lieber eine Folge der Serie „Ted Lasso“ angeschaut. Die bessere Wahl?

Ein Knopf für das Gute Foto: imago

B eginnen wir mit einer medientheoretischen Überlegung: Wenn alle sich immer alles anschauen können, ob nun live oder in den Mediatheken, den sozialen Medien und auf Blogging-Plattformen – warum sollte man dann noch etwas darüber lesen wollen? Also etwas unmittelbar Erlebtes über das indirekte Medium Schrift noch mal aufnehmen?

Mit dem späten Goethe könnten wir argumentieren „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Aber – um auf unser Thema zu kommen: Was wissen wir noch nicht von Olaf Scholz und Friedrich Merz? Welchen Erkenntnisgewinn hätte ich haben können, wenn ich mir am vergangenen Sonntag das „TV-Duell“ der beiden angeschaut hätte? Was ich, um das einmal klar zu sagen, bewusst nicht getan habe.

Seit der Machtübergabe an Donald Trump und den Amokläufen von Magdeburg und Aschaffenburg habe ich kein Buch mehr lesen können. Das liegt, soweit ich das analysieren kann, einerseits an einem unguten, ziemlich kaninchenartig-gebannten Ausschauhalten nach der nächsten Katastrophe – die dann mit der neuen Erpressungsmehrheit von Union und AfD bei der Abstimmung im Bundestag am 29. Januar auch nicht auf sich warten ließ.

Anderseits stellt sich gerade bei Belletristik ein grundsätzlicher Zweifel ein, was mir denn jemand angesichts dieser Gegenwart noch erzählen will. Es handelt sich bei beiden Verhaltensweisen nicht um etwas, was ich mir bewusst ausgesucht hätte; sondern um einen physiologischen Zustand, der mich jedes Buch nach spätestens zwei Seiten zur Seite legen lässt und mich zum dumpfen Scroller reduziert – die Jüngeren sprechen in diesem Zusammenhang nicht umsonst von „Brain Rot“, zu Deutsch „Gammelhirn“.

Wie das Gute seinen Platz behauptet

Es gibt allerdings ein Kunstwerk, dem ich jeden Abend unmittelbar nach Abschluss meiner 14-stündigen Eltern-/Arbeits-Schicht mich nicht nur mit Vorfreude und Begeisterung, sondern mit voller Konzentration und anschließendem Diskussionsbedarf zuwenden kann – so auch am Abend des „TV-Duells“: Es handelt sich um die TV-Serie „Ted Lasso“, das für mich größte TV-Ereignis seit den „Sopranos“.

Ging es bei diesen darum, wie man in einer grundsätzlichen guten oder jedenfalls immer besser werdenden Welt eigentlich noch oldschool böse sein kann, so erzählt „Ted Lasso“, insbesondere in Form des namengebenden Protagonisten, davon, wie in einer bösen oder jedenfalls immer gemeiner werdenden Welt das Gute nicht nur seinen Platz behauptet, sondern die einzige Lösung für alle zwischenmenschlichen wie gesellschaftlichen Konflikte darstellt.

Sowenig es in den „Sopranos“ um die Mafia ging, so falsch wäre es, sich Ted Lasso entgehen zu lassen, weil es viel um Fußball geht. „Everyone Loves Ted Lasso“, „Everyone Needs Ted Lasso In Their Life“, „Why Does Everyone Love Ted Lasso?“ – die Schlagzeilen, deren Aufzählung beliebig erweiterbar wäre, zeigen, dass die Serie nicht nur mich persönlich abholt, sondern ein – was die westliche Welt angeht – weiterreichendes Phänomen ist.

Ted Lasso ist nicht nur ein Coach für einen wankelmütigen Club der englischen Premier League; er ist unser aller Coach. Er hat wenig Ahnung von europäischem Fußball, er weiß auch nicht immer, was richtig und falsch ist, er macht Fehler und er hat Schwächen; und er muss persönlich auf die harte Tour die Lektion lernen, die für uns alle ansteht: „The truth shall set you free. But first it will piss you off.“

Friedrich Merz ist Nate Shelley

Der einfache Gedankensprung wäre nun, zu sagen: Ted Lasso for Bundeskanzler. Also jemanden an der Spitze des ewigen Vermittlungsprozesses, den wir Politik nennen, zu haben, der fähig ist, Gefühle zu zeigen. Das kann Friedrich Merz allerdings auch, wenn wir einem FAZ-Bericht glauben wollen: Als die örtliche CSU-Abgeordnete vor der Unionsfraktion Details aus dem Polizeibericht über die Morde von Aschaffenburg vortrug, „rang Merz mit den Tränen, wie Teilnehmer berichten“.

Was Friedrich Merz nicht kann, ist, seine Gefühle zu übersetzen – in einen guten Plan, in einen Plan für das Gute, in Güte. Was Friedrich Merz nicht kann – und was seltsamerweise auch kaum thematisiert wird – ist, einen einzigen Menschen vor dem Terror zu retten. Ins Lasso-Universum übersetzt ist Friedrich Merz Nate Shelley, ein Platzwart, den Lasso zu seinem Assistenztrainer macht und der die Zuwendung, die er erfährt, dann nur mit Abwenden und Abrechnen mit seinem Förderer vergelten kann: Nate denunziert Lasso, wird Trainer eines Konkurrenzclubs. Vor allem aber schafft er lange Zeit den Schritt nicht, das Gute, das in ihm steckt, auch zuzulassen: aus Unsicherheit, aus falsch verstandener Härte, aus Hybris.

Was Ted Lasso uns also tatsächlich lehrt, ist, dass der eigentliche Kampf erst nach diesem Wahlkampf beginnt. Und dass es dabei nicht in erster Linie darum geht, sich selbst zu retten, sondern andere zu unterstützen, das Beste in sich wiederzuentdecken und freizusetzen.

Der einzige Impuls, der mich hätte verlocken können, am Sonntagabend meine begrenzten und noch wachen freien Stunden dem „TV-Duell“ anstatt einer Folge „Ted Lasso“ zu widmen, wäre kein guter gewesen: Nämlich live dabei zu sein, wie Merz über sein Nate-Shelley-tum stolpert, wie seine negativen Energien ihn aus dem Rennen werfen, wie wir doch noch gewinnen können. Ted Lasso aber sagt: „Success is not about the wins and losses.“ Für das, was uns bevorsteht, ist das wohl nicht nur die gute, sondern auch die realistische Herangehensweise.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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4 Kommentare

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  • Man muss es aushalten können. Manchmal kommt ein interessant-lustiger Satz dabei heraus. Wie gestern Merz' Antwort auf die Frage, ob er noch auf der Plattform x unterwegs ist.



    Ansonsten sind die Polittalkshows oft unerträglich und Zeitverschwendung.

  • "Seit der Machtübergabe an Donald Trump und den Amokläufen von Magdeburg und Aschaffenburg habe ich kein Buch mehr lesen können." Komisch, mir geht es genau andersherum. Lese mit Gewinn "Die Quelle" von Michener. Zwar vom Stil her teils trivial, aber eine spannend geschriebene Geschichte Israels der letzten 12.000 Jahre in Romanform.

  • Das Alternativprogramm war leider sehr dürftig....

  • Was soll der Begriff "Duell" ?



    Da ist schliesslich anschließend jemand tot.



    Es ist wohl eher Wrestling. Eine Show also. Mehr nicht.