TÜV Süd und die Atomkonzerne: Keine eigenen Messungen
Eigentlich muss in Deutschland der Staat beurteilen, ob ein Atomkraftwerk sicher ist. Tatsächlich entscheidet oft ein atomfreundlicher Konzern.
FREIBURG taz | Fast alle Sicherheitsüberprüfungen in deutschen Atomkraftwerken werden nicht vom Staat, sondern von privaten Kontrolleuren erledigt, die Honorare von den Energiekonzernen bekommen.
Mehr als 90 Prozent der Untersuchungen würden von Firmen der Technischen Überwachungsvereine (TÜV) durchgeführt, heißt es in einem internen Papier des Bundesumweltministeriums. "Es besteht also eine finanzielle Abhängigkeit der Sachverständigenorganisation vom Betreiber. Diese kann sich auf die Arbeit des einzelnen Sachverständigen auswirken", heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt.
Die Beamten berichten in dem Papier von 2008 sogar von Vorfällen, bei denen sich die TÜV-Sachverständigen allein auf die Aussagen der Kraftwerksbetreiber verließen und keine eigenen Messungen vornahmen. Der Druck auf den Kontrolleuren sei besonders hoch, weil sie nicht pauschal, sondern "angemessen" bezahlt würden. Pikant ist ebenfalls, dass zu den Mitgliedern des TÜV Süd e. V. auch die AKW-Betreiber Eon, Vattenfall und EnBW zählen. Der TÜV Süd ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme am Freitag zunächst unbeantwortet.
In einem Aktionsplan schlugen die Beamten des Bundesumweltministeriums vor, die TÜV nicht mehr als Generalgutachter zu beauftragen, sondern die Dienstleistungen immer wieder neu auszuschreiben. Vor allem sollten die Behörden selbst mehr Fachleute einstellen, damit die Bewertung der Prüfergebnisse tatsächlich durch Beamte erfolgen könne. Das Ministerium wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu dem Papier äußern.
IAEA mahnte deutsche Behörden zu mehr Verantwortung
Auch ein Team der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), das 2008 die behördlichen Sicherheitsstandards untersuchte, mahnte die deutschen Aufsichtsbehörden zu mehr Verantwortung. Doch bevor deren Abschlussbericht veröffentlicht wurde, intervenierten TÜV-Lobbyisten im Kanzleramt und beim Wirtschaftsminister und kündigten an, dass man eine Diskreditierung ihrer Arbeit nicht widerspruchslos hinnehmen werde. Energisch forderte der Vorstandsvorsitzende von TÜV Nord, Guido Rettig, in einem Brief an die Bundesregierung, das "bestehende und bewährte System" beizubehalten. Und dabei blieb es auch.
Der Umgang mit Rohrrissen im bayerischen AKW Grafenrheinfeld zeigt, wie sich die Rolle der Gutachter auswirkt. Während die Behörden trotz ungeklärter Ursache grünes Licht für den Weiterbetrieb gaben, äußern Fachleute atomkritischer Organisationen große Besorgnis. Die Beamten verließen sich auf das Votum ihrer Sachverständigen, wie die Bundesregierung im Januar im Umweltausschuss erklärte.
Kotting-Uhl: Keine Haftung möglich, Klärung nötig
Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) kritisiert: "An diesem Beispiel kann man sehen, dass die eigentlich zuständige Stelle die Verantwortung der Entscheidung auf die Sachverständigen abschiebt." Im Falle einer falschen Entscheidung mit negativen Folgen, so Kotting-Uhl weiter, könnten diese aber nicht in Haftung genommen werden. Die Politikerin fordert daher die Klärung der Frage, wer letztlich bei der Atomsicherheit die Verantwortung trägt.
Derweil hat Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) wieder den TÜV Süd mit den anstehenden Sicherheitsprüfungen beauftragt, seinen "ersten Ansprechpartner, entscheidenden und richtigen Gutachter", wie er vor dem Landtag erklärte.
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