TTIP-Verhandlerin Gosia Binczyk: Freundlich verschwiegen

Am Montag beginnt die 12. Verhandlungsrunde zu TTIP. Gosia Binczyk gehört zur europäischen Delegation. Sie ist von Anfang an dabei.

Ein Computer auf einem Tisch

Braucht Gosia Binczyk definitiv nicht: Computer im TTIP-Lesesaal des Bundestages Foto: dpa

BERLIN taz | Das Europäische Haus ist in einem desolaten Zustand. Aus dem Linoleumboden sind Platten herausgerissen, es riecht nach Sägespäne und Leim, überall stehen Umzugskisten. Gosia Binczyk hat in der Dependance der Europäischen Kommission in Sichtweite des Brandenburger Tors in Berlin Mitte ein provisorisches Büro. Auf dem Weg dorthin warnt sie davor, an die Wand zu kommen – wegen der feuchten Farbe. Die Europäische Kommission renoviert.

An diesem Wochenende wird Gosia Binczyk ihre Koffer packen und nach Brüssel fahren. Die 37-Jährige gehört zum EU-Stab, der mit der US-Delegation über das transatlantische Handelsabkommen TTIP verhandelt. Am Montag beginnt die 12. Etappe. Gosia Binczyk war bei allen Runden dabei.

Die Frau mit den halblangen braunen Haaren lacht gerne und bleibt auch freundlich, wenn sie etwas abwehrt. Über die amerikanischen Verhandlungspositionen in den bisherigen 11 Runden will die Juristin nichts verraten. „Wir können gerne über die Details des Abkommens reden, wenn die Texte dazu veröffentlicht sind“, sagt die EU-Beamtin mit dem offiziellen Titel „Beraterin für Handelsfragen“.

Die EU veröffentlicht zumindest ihre TTIP-Dokumente, die USA nicht. „Ich würde mir wünschen, dass auch die USA ihre Texte veröffentlichen“, sagt Binczyk. „Aber das ist nicht unsere Entscheidung.“ Zwischenergebnisse und Stellungnahmen sind nur einem sehr kleinen Kreis zugänglich. TTIP ist top secret. Das ist einer der Gründe, warum so viele Menschen dem Abkommen kritisch gegenüberstehen.

Bedenken zerstreuen

Mehr als 200.000 demonstrierten im Oktober in Berlin dagegen – einige Wochen bevor Binczyk von Brüssel nach Berlin zog. Die GegnerInnen fürchten, dass der Pakt vor allem Großunternehmen dienen wird – und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die gesetzliche Unfallversicherung bis zum Verbraucherschutz alles Mögliche als Handelshindernis begriffen und beseitigt wird.

Binczyks Job ist es, solche Bedenken zu zerstreuen. Sie ist Teil der Charmeoffensive der EU-Kommission. Handelskommissarin Cecilia Malmström hat mehr Transparenz über TTIP angekündigt. Binczyk ist unter den Ersten, die direkt aus der Generaldirektion für Außenhandel in eine der 28 Hauptstädte entsandt wurden. „Wir sind eine Art Scharnierstelle zwischen den Verhandlungen und den Mitgliedstaaten und ihren Bürgern“, sagt sie. „Unsere Aufgabe ist auch, die Ängste und Sorgen der Bürger in die Verhandlungen einzubringen.“

PIA EBERHARDT, TTIP-KRITIKERIN

„Man gibt Konzernen so viele Rechte wie niemandem sonst“

Die Juristin pflegt Kontakte zu JournalistInnen und stellt sich bei öffentlichen Diskussionen kritischen Fragen. Die öffentliche Auseinandersetzung über TTIP findet sie positiv, weil sich nun mehr Menschen mit diesem Thema befassen, sagt sie bei den „Bücherfrauen“ in Berlin-Charlottenburg, einem Branchennetzwerk aus Verlagsfrauen, Buchhändlerinnen, Übersetzerinnen und anderen. Ihnen will Binczyk die Angst nehmen, dass mit TTIP die Buchpreisbindung fällt. Doch die Frauen bleiben skeptisch. „Vielleicht fällt die Buchpreisbindung nicht sofort, aber in einigen Jahren“, befürchtet eine.

Klagerechte für Konzerne

Solche Bedenken nehme sie mit nach Brüssel, sagt Binczyk. Die Verhandlungen finden abwechselnd in den USA und dort statt – immer an einem unbekannten Tagungsort. Es gibt keine gemeinsamen Rituale, keine schmückenden Logos, keine stimmungsvolle Dekoration. „Es herrscht eine nüchterne Arbeitsatmosphäre“, sagt sie. 24 Kapitel soll das Abkommen umfassen, 24 Verhandlungsteams arbeiten an Themen wie Zollabbau oder Lebensmittelsicherheit Binczyk gehört zum Team Dienstleistungen und ist zuständig für die Anerkennung von Berufsabschlüssen. Sie selbst verkörpert die europäische Idee: geboren in Polen, aufgewachsen in Deutschland, studiert in Berlin und Spanien. Neben Deutsch spricht sie vier weitere Sprachen.

Nur wenige hundert Meter vom Europäischen Haus entfernt sitzt Pia Eberhardt, Mitarbeiterin der NGO Corporate Europe Observatory, in einem Konferenzraum mit Journalisten. Auch die TTIP-KritikerInnen sind vor der 12. Verhandlungsrunde viel unterwegs. Eberhardt klappt ihr Notebook auf. „TTIP ist böse“ klebt weiß auf rot auf dem Gehäuse.

Woher kommt unsere Sprachlosigkeit gegenüber Populisten? Ein Essay von Arno Frank in der taz.am wochenende vom 20./21. Februar. Außerdem: Schanna Nemzowa ist die Tochter des russischen Politikers Boris Nemzow, der vor einem Jahr ermordet wurde. Sie lebt in Deutschland im Exil. Ein Gespräch. Und: Ein glitzerndes Kapitel Popgeschichte – ein Besuch bei den Caufner-Schwestern, einem One-Hit-Wonder aus der DDR. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Während AktivistInnen bei Verhandlungsstart noch gegen Chlorhühnchen – die schnell vom Tisch waren – kämpften, konzentriert sich die Kritik jetzt vor allem auf ein Thema: die Konzernklagerechte. Die ermöglichen es Konzernen, gegen Staaten zu klagen, und zwar an staatlichen Gerichtsbarkeiten vorbei. „Man gibt damit der mächtigsten gesellschaftlichen Gruppe so viele Rechte wie niemandem sonst“, kritisiert Eberhardt.

39 Seiten Juristenenglisch

Bei TTIP waren ursprünglich Klagen vor privaten Schiedsgerichten vorgesehen, die von Anwälten besetzt werden und gegen deren Entscheidung keine Revision möglich sein sollte. In der nächsten Woche wird die EU-Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen – wie immer in blauer Farbe. Die Positionen der USA werden bei den Verhandlungen in Rot vorgestellt.

Die EU-Kommission behauptet, dass es klare Tabus gibt: Das Recht der Staaten auf Gesetzgebung bleibe erhalten, heißt es. Ein Staat wie Deutschland soll das Recht behalten, aus der Atomenergie auszusteigen – was der Konzern Vattenfall gerade vor einem Schiedsgericht bestreitet.

Wer genauer wissen möchte, was die EU will, kann in ein Dokument schauen, das die Kommission vergangenen November veröffentlicht hat. Auf 39 Seiten Juristenenglisch stehen dort die Vorschläge für den Themenbereich Investitionen. Eberhardt blättert durch die Seiten und stoppt bei Teil 2, Artikel 2. Dort heißt es: Die Staaten sollen ungeachtet des Abkommens weiterhin Maßnahmen ergreifen könnten, die „notwendig sind, um legitime politische Ziele“ zu erreichen – eine für ein Handelsabkommen typische Formulierung. Klingt gut?

Eberhardt schüttelt den Kopf und verweist auf den Fall Uruguay. Der Tabakkonzern Philip Morris verklagt das Land wegen Maßnahmen zum Nichtraucherschutz auf Basis eines Investitionsschutzabkommens, etwa wegen Warnhinweisen auf Schachteln. Wer tief in die Klauseln einsteigt, findet einige solcher Formulierungen. „Legitime Erwartungen“ etwa, die eine Klage begründen können, oder Intransparenz von administrativen Prozessen. Wann das der Fall ist – Auslegungssache.

We agree to disagree

„Die EU will den Investitionsschutz nicht einfach aus den Verhandlungen nehmen, unter anderem weil viele osteuropäische Länder das alte Schiedsgerichtssystem in ihren Abkommen mit den USA haben und diese durch TTIP modernisieren wollen“, sagt Verhandlerin Binczyk.

Den UnterhändlerInnen läuft die Zeit davon. Bis zum Sommer muss das Abkommen stehen. Nach den US-Wahlen im Herbst muss sich die amerikanische Seite erst wieder neu aufstellen – und ob sie TTIP dann noch will, ist offen. Deshalb wird jetzt Tempo gemacht. Bis Sommer sollen noch zwei bis drei weitere Runden erfolgen, auch dazwischen wird verhandelt. „Es gibt sehr viele Detailfragen“, sagt Binczyk.

Und bei manchen Fragen gelte: We agree to disagree – man stimmt überein, nicht übereinzustimmen. „Wir wollen lieber ein gutes Abkommen in der dafür notwendigen Zeit schließen als ein schlechtes auf die Schnelle“, sagt Bincyzk. TTIP-KritikerInnen bezweifeln das.

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