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TROTZ GANGS NACH CANOSSA: DEUTSCHE IRAKPOLITIK BLEIBT EINFLUSSLOSOhne uns – oder ohne Krieg?

Ist Joschka Fischer vor den Amerikanern tief genug in die Knie gegangen? Hätte es noch tiefer sein müssen? Oder hat er sich im Gegenteil schon zu willfährig gezeigt? So lustig ist dieses Ratespiel, dass inzwischen sogar der Außenminister selbst – seht her, ich bin cool – mit der Canossa-Metapher jongliert. Doch die Erörterung, wie bußfertig der Deutsche in Washington aufgetreten ist, darf nicht über die entscheidende Frage hinwegtäuschen, und die ist eine politische: Was hat die Ablehnung eines Irakkriegs bisher gebracht?

Da ist zuerst nach dem Maßstab zu fragen: Woran lässt sich der Erfolg des deutschen Nein messen? Man kann es sich leicht machen und dem Kanzler samt seiner Koalition unterstellen, das Thema Irak nur um eines billigen Wahlkampfeffekts so hoch gehängt zu haben. Dann ließe sich der Erfolg mit der Zahl Vier ausdrücken. So viele Sitze über der Mehrheit hat Rot-Grün bei der Bundestagswahl gewonnen. Demnach hätte sich der Irakjoker gelohnt. Weniger rosig schaut die Bilanz aus, wenn man nach dem politischen Ergebnis des „deutschen Wegs“ fragt: Hat er geholfen, eine militärische Lösung der Irakkrise unwahrscheinlicher zu machen? Die Antwort lautet klar Nein.

Rot-Grün ist die US-Regierung in den Wochen des Wahlkampfs so plump angegangen, dass die deutsche Diplomatie nun gelähmt ist. Sie muss ihre Anstrengungen nunmehr fast ausschließlich auf die Aussöhnung mit den Amerikanern konzentrieren, für das ursprüngliche Ziel der Auseinandersetzung fehlen die Kräfte: An der Suche nach Mitteln, das irakische Massenvernichtungsprogramm auf friedlichem Wege abzurüsten, ist Deutschland praktisch nicht beteiligt.

Die zwei Orte deutscher Untätigkeit heißen darum Prag und New York. Auf dem bevorstehenden Nato-Gipfel in der tschechischen Hauptstadt wird die deutsche Seite beim Thema Irak weitgehend stumm bleiben. Um die Regierung Bush nicht weiter zu verärgern, traut die Bundesregierung sich nicht, bei anderen Nato-Staaten für ihre Ablehnung der militärischen Option zu werben. Am UNO-Sitz in New York wiederum wird derzeit intensiv über Alternativen zu einem Krieg aus Automatismus verhandelt. Deutschland, wiewohl ab 1. Januar Mitglied im Sicherheitsrat, spielt dort mit seiner Position keine Rolle. Weder die Befürworter noch die Gegner eines Irakeinsatzes sehen in der Bundesrepublik einen Verbündeten – die einen, weil sie Berlin nicht für sich gewinnen können, die anderen, weil im Bund mit radikalen Verweigerern keine Einigung mit den USA erzielt werden kann. In diesem Lichte stellt sich das deutsche Nein weit weniger kategorisch dar, als es klingt. Noch hat Berlin nämlich nicht entschieden, was es bedeutet. Sagen wir angesichts eines drohenden Irakkriegs bloß „ohne uns“ – oder sagen wir „ohne Krieg“? Der Unterschied ist gravierend. Derzeit sieht es so aus, als ziehe die Bundesregierung sich auf den einfachen Ausweg zurück: Solange die Bundeswehr nicht an die Front muss, lässt Deutschland die anderen bei der Vorbereitung eines Militärschlags stillschweigend gewähren. Vom Ringen um die beste Lösung auf der internationalen Bühne haben sich Kanzler und Vize verabschiedet.

Von Henry Kissinger trug das der Bundesregierung den spitzen Vorwurf ein, einem Isolationismus aus Selbstgefälligkeit zu verfallen. Nicht zufällig dreht Kissinger damit einen alten Vorwurf vieler Deutscher gegen die Bush-Regierung um. Wie man es besser macht, demonstriert derzeit Frankreich. Ausgerechnet am Tag von Fischers Ankunft in den USA rühmt die Los Angeles Times Jacques Chirac als den Wortführer aller Staaten, die den Vorherrschaftsanspruch der USA kritisch sehen.

Die Franzosen lehnen einen Krieg zu George W. Bushs Konditionen ab und wollen den Vereinten Nationen die Entscheidung über einen Einsatz gegen Saddam Hussein vorbehalten – abhängig von den konkreten Erkenntnissen der UNO-Inspektorenteams. Mit dieser Strategie des weichen Widerstands scharten sie eine Vielzahl von Bush-Skeptikern um sich, an deren Zustimmung dem US-Präsidenten aus politischen, militärischen oder moralischen Gründen gelegen ist. Während das Weiße Haus die Deutschen aussperrt, werden die Franzosen zu Verhandlungen über den Text einer gemeinsamen UNO- Resolution gebeten.

Anfangs hat die Bundesregierung ihr Nein zu marktschreierisch herausgerufen, jetzt tut sie es zu verhuscht. Da nimmt es nicht wunder, wenn Fischers Besuch in der US-Hauptstadt kaum Spuren hinterlassen hat. Canossa oder nicht, mehr als die Übereinstimmung, nicht übereinzustimmen, kam beim Minigipfel zwischen Powell und Fischer nicht heraus. Vor Fischers Ankunft lautete die größte Sorge seiner Diplomaten, wie viele (richtiger: wie wenige) führende US-Politiker den Vizekanzler treffen wollten. Nun ist die Sorge angebracht, wie wenig selbst die Amerikaner, die ihm zuhören, auf seine Meinung geben. PATRIK SCHWARZ

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