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TROTZ ABSTIEGSANGST: DER „GENERATION PRAKTIKUM“ GEHT ES NOCH GUTWer ist hier prekär?

So sind also die Prioritäten der deutschen Öffentlichkeit: Als der Deutsche Gewerkschaftsbund gestern eine neue Studie über die Perspektiven von Uni-Absolventen veröffentlichte – Stichwort: „Generation Praktikum“ –, da reichte der Pressesaal im Gewerkschaftshaus kaum aus. Zeitgleich präsentierte die Friedrich-Ebert-Stiftung dramatische Zahlen über das Schicksal von Hauptschulabsolventen. Gerade fünf Journalisten verloren sich in einem Nebenzimmer der Bundespressekonferenz.

Diese verzerrte Perspektive zeigte sich auch schon in der erstaunlichen Verwirrung, die sich um den Begriff „prekär“ entwickelt hat. In Frankreich und Italien bezeichnet man damit die Lage eines neuen akademischen Proletariats, der im Bonmot von der „Generation Praktikum“ seine treffende deutsche Übersetzung fand. „Prekär“ bedeutet damit: Man hält an einem bürgerlichen Lebensentwurf fest und gehört soziokulturell der Mittelschicht an. Materiell aber ist man vom sozialen Abstieg bedroht. Wohlgemerkt, die Betonung liegt hier auf dem Wort „bedroht“.

In der Debatte über die Unterschicht wurde der Begriff dann plötzlich aber auch für all jene verwendet, die bereits abgestiegen sind. Das aber ist das genaue Gegenteil von „prekär“ – und bezeichnend für die Debatte in Deutschland, das durchaus Züge einer neuen Klassengesellschaft aufweist. Die Unterschicht wird erst zum Thema, wenn sie ein Label verpasst bekommt, das der Mittelschicht aus ihrem selbstreflexiven Diskurs vertraut ist.

Das erweckt den irrigen Eindruck, die Probleme seien vergleichbar. So ist es aber nicht. Denn im Vergleich zu den Nichtakademikern, von denen nur noch 43 Prozent einen regulären Ausbildungsplatz finden, ist die Lage der Uni-Absolventen mit nur 4 Prozent offizieller Arbeitslosigkeit noch vergleichsweise kommod. Es wird höchste Zeit, dass Politik und Gesellschaft die Situation der Unterschicht in Angriff nehmen – und nicht allein durch die Brille einer abstiegsbedrohten Mittelschicht wahrnehmen. Auch deren Probleme muss man ernst nehmen. Aber sie sind nicht die einzigen auf der Welt. RALPH BOLLMANN

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