: TRANSKEI-TRANSIT
■ Im „Homeland“ der Xhosa - Unabhängigkeit als Farce
In engen Kurven windet sich die Landstraße durch feucht -grünen Laubwald. Vom Scheitelpunkt des kleinen Höhenzuges aus geht der Blick über den Kei, der hier die Grenze bildet zwischen Südafrika und dem „unabhängigen“ Staatsgebilde namens „Transkei“. Unten, an einer schmalen Brücke, der Grenzübergang.
Die Formalitäten sind schnell erledigt. Auf südafrikanischer Seite interessiert man sich nur für Gültigkeit von Paß und Visum, um mit mir bei der Wiedereinreise in die Burenrepublik keine Schwierigkeiten zu haben. Visum und Stempel sind am anderen Ende der Brücke von geringerer Bedeutung. Wichtiger ist hier der eine Rand Wegezoll, den die Transkei ihren Transitreisenden abverlangt.
Erneut zieht sich die Straße die Hänge des Kei-Tals hinauf. Morgennebel und Wolken hängen tief über dem Tal, dennoch ist die Vielfalt des Grüns von Bäumen, Büschen und Sträuchern unverkennbar. Zusammen mit der von Feuchtigkeit gesättigten Luft vermittelt es den Eindruck verschwenderischer und übermäßiger Fruchtbarkeit; selbst die Gräser am Straßenrand schwelgen in saftigstem Grün.
Entlang der Straße afrikanische Hütten; einzeln oder in kleineren Gruppen stehend. Selten zu Dörfern zusammengefaßt reichen sie, als einzelne Punkte verstreut, bis zum grün -diesigen Horizont. Ihre Bauform ist entweder traditionell rund oder europäisch eckig. Die formlosen, ganz einfachen Versionen aus Pappe und Bruchholz, wie sie in den Vororten der großen Städte in Südafrika stehen, scheint es hier nicht zu geben. Die Bauweise ist noch ländlich-afrikanisch: Ein mit Lehm zugeschmiertes Astgeflecht, die meisten Hütten strohgedeckt, nur bei einigen sorgt Wellblech für einen trockenen Innenraum.
Auf dem halbverfallenen Dach eines Schuppens lassen sich die Reste einer „Coca-Cola„-Reklame ausmachen, aus einer Ansammlung von Hütten ragt eine Fernsehantenne heraus. Die Einrichtung bleibt der Phantasie des Reisenden überlassen: Kein Strom, vielleicht ein altes Bett, ein Stuhl, ein aus Bauholzresten zusammengezimmerter Tisch, einfachste Küchengerätschaften, Wasser aus dem Fluß oder Tank.
Fast drei Millionen Menschen leben in der Transkei, die mit knapp 45.000 Quadratkilometern etwas größer ist als Dänemark. Südafrikanische Statistiken legen bei der Bevölkerungszahl noch zwei Millionen Einwohner drauf: Die auf „weißem“ Gebiet lebenden bzw. arbeitenden Xhosa nämlich, die nach südafrikanischem Recht Bürger der Tanskei sind, selbst wenn sie dieses Land noch nie gesehen haben. Die Idee, für schwarze Südafrikaner eigene Staaten zu schaffen und sie dorthin umzusiedeln, war die logische Konsequenz der Apartheidspolitik. Einzelne Gebiete innerhalb Südafrikas wurden zu Homelands deklariert: Landstriche, vielfach zerstückelt, wurden den einzelnen Stämmen als „Heimat“ zugewiesen - die Transkei wurde so zur Heimat der Xhosa. 1963 erhielt der Landstrich als Bantu-Homeland die innere Selbstverwaltung, 13 Jahre später, 1976, vollzog Pretoria den entscheidenden Schritt und „entließ“ die Transkei in die „Unabhängigkeit“.
Die naturräumlichen Voraussetzungen für eine landwirtschaftliche Produktion sind zwar gegeben, aber dem Land fehlt es an Geld für Maschinen, Saatgut, Dünger und vor allem für Bildungsmaßnahmen. Kein Wunder, daß das Land zu hundert Prozent von Südafrika abhängig ist. Es gibt einige Gebiete mit intensivem landwirtschaftlichen Anbau, aber über die Eigenversorgung - wenn überhaupt - wird das Land in nächster Zukunft kaum hinauskommen; das ist auch bei den anderen „Heimatländern“ und „unabhängigen Staaten“ inmitten der Republik Südafrika nicht anders.
Die Hütten verdichten sich zu größeren Siedlungen und werden bald abgelöst von massiven Häusern: Umtata, die Hauptstadt der Transkei, kündigt sich an. Die Vororte wirken fast europäisch, Häuser aus Stein, mit Vorgarten und Garage. Vereinzelt auch einige Mietblocks, an deren Fassaden die verwaschene Farbe abblättert und rostige Eisentreppen zu den einzelnen Wohnungen führen. Zu beiden Seiten der asphaltierten Hauptstraße ein Durcheinander von Läden, Lagern und Wohnhäusern. Eine riesige Reklametafel scheint den geschafften Anschluß der Transkei an die Neuzeit überdeutlich bekräftigen zu wollen: „Dash - for cold water wash.“
Mittelpunkt der Stadt ist der Busbahnhof; die Szene läßt sich am treffendsten mit den Worten afrikanischer Reiseprospekte beschreiben: „Ein buntes Treiben, ein Gewirr von Menschen, die wegfahren, ankommen, schwatzen, arbeiten oder schlafen; beste afrikanische Folklore.“ Erst bei genauerem Hinsehen klärt sich das Bild: Zerlumpte und zerzauste Gestalten, die barfuß umherwanken; Männer, die in dichten Trauben vor den Schnapsläden stehen, wenn sie nicht gerade als geduldete Schwerstarbeiter in Südafrikas Minen schuften und ihre Frauen und Kinder elf Monate im Jahr ohne Ehemann und Vater auskommen müssen.
Umtata endet, wie es begonnen hat: Nach den gepflegten Vorgärten prägen wieder die zusammengesuchten Behausungen der Schwarzen das Bild. Die Straße geht in Serpentinen hinunter ins Tal. Eine kleine Siedlung liegt am Flußufer, ein paar Frauen stehen am Fluß und halten Waschtag. Auf großen Granitblöcken werden die Wäschestücke ausgebreitet und anschließend zum Trocknen dort liegengelassen. Die Reklametafel in Umtata fällt mir wieder ein: „Dash - for cold water“, wie sinnig.
Es ist später Nachmittag, als ich in ein größeres Dorf komme. Schwarze Gewitterwolken tauchen die Landschaft in ein stählernes Licht. Auf der Straße um mich herum auf beiden Seiten ein starker Strom von Fußgängern. Einzeln oder in Gruppen miteinander redend, sind die Bewohner auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Hütte, vom Supermarkt zum Nachbarn oder zum Liquor-store. Der Regen kommt plötzlich, wird innerhalb von Minuten zum Wolkenbruch. Ich schalte den Scheibenwischer ein und starre auf die Menschen, die versuchen, mit Stoffetzen oder Plastiktüten auf dem Kopf den Wassermassen zu trotzen. Drei junge Frauen schreiten die Straße entlang, auf den Köpfen riesige Reisigbündel balancierend. Sie bewegen sich so ruhig und gelassen, als nähmen sie weder ihre Last noch den Regen wahr.
Kurz vor der Grenze nach Südafrika stehen zwei Jungen am Straßenrand. In ihren Händen halten sie zwei Radkappen, die sie den vorbeifahrenden Reisenden anbieten. Ich fahre an den beiden vorbei, versuche möglichst geradeaus zu gucken. Hundert Meter später halte ich an. Auf ein Geschäft hoffend, aber ängstlich kommen die beiden zum Auto. Daß ein Weißer anhält, macht sie mißtrauisch; Südafrikaner halten auf ihrer Transitreise durch die Transkei wahrscheinlich nie an.
Ich habe es mir abgewöhnt, der menschenfreundliche, am Leben der Schwarzen interessierte Tourist aus dem demokratischen und aufgeklärten Europa zu sein, der versucht, sein schlechtes Gewissen mit netten Gesprächen zu beruhigen. Das einzige, woran diese beiden Jungen, wie wahrscheinlich auch die meisten anderen Bewohner der Transkei, interessiert sind, ist das, was ihnen sofort hilft: Geld. Ich gebe ihnen einen Rand, die dargebotenen Radkappen lehne ich dankend ab. Als ich wieder losfahre, sehe ich die Jungen noch im Rückspiegel. In der ersten Kurve verschwinden sie, und vor mir taucht die Grenze zwischen der „unabhängigen“ Transkei und Südafrika auf.
Paul Kramer
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