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THEATER

TheaterEsther Slevogtbetrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Das Stück gewann den amerikanischen Tony Award, also eine Art amerikanischen Theater-Oscar. Dabei ist es harter Tobak, ein typischer deutscher Theaterstoff. Es werden Blankverse gesprochen und einen überlangen, komplizierten Titel hat das Drama auch: „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“. Peter Weiss hat das Stück Anfang der 1960er Jahre geschrieben. Das ist auch der Autor des tollen, aber sperrigen Romans „Die Ästhetik des Widerstandes“, dem jüngst im HAU ein kleines Festival gewidmet war. Denn im November wäre er 100 Jahre alt geworden. 1964 wurde „Marat/Sade“ wie das Stück meist abgekürzt wird, uraufgeführt und ein internationaler Erfolg. Der Tony kam 1966. Mit der Gegenüberstellung zweier exemplarischer Figuren aus den Jahren der Französischen Revolution, des Radikalindividualisten und -hedonisten Marquis de Sade und des (in der Badewanne ermordeten) Revolutionärs und jakobinischen Tugendterroristen Jean Paul Marat, spielt Weiss die Frage durch, wie gesellschaftliche Veränderung zustande kommt. Wie Individualismus und gesellschaftliche Interessen ausbalanciert werden können und welche Rolle das Verhältnis zur Gewalt darin spielt. Am Deutschen Theater inszeniert den Stoff ein echter Hedonist der Theaterbilder, Stefan Pucher nämlich, bekannt für satte Tableaus, die aus dem Repertoire der Popkultur schöpfen und meist mit noch satteren Tonspuren unterlegt sind (Deutsches Theater: „Marat/Sade“, Premiere 27. 11., 19 Uhr).

Auch Heiner Müllers Stück „Der Horatier“ verhandelt einen unlösbaren Konflikt und Widerspruch: Der Horatier erringt einen Sieg für seine Stadt, wird aber gleichzeitig zum Mörder seiner eigenen Schwester. Denn sie betrauert im gefallenen Feind ihren Verlobten, statt den Bruder als Sieger zu bejubeln. „Geh zu ihm, den du mehr liebst als Rom!“, sagt der Horatier also und tötet die Schwester. Auch Müllers sprachgewaltige Parabel stammt aus den 1960er Jahren und stellt die Frage nach der Wahrheit, deren Komplexität sich in krudem Schwarz-weiß-Denken niemals offenbart. Im Theater unterm Dach widmet sich die „Agentur für Anerkennung“ dem interessanten Stoff (Theater unterm Dach: „Der Horatier“, Premiere 24. 11., 20 Uhr).

Im Ballhaus Ost versucht die Performancegruppe Prinzip Gonzo der Komplexität der Welt spielerisch zu begegnen. Am24. 11. kommt die nächste Folge ihrer Game-Theater-Serie „Monypolo – Dein System liebt dich“ über die Zukunft des Kapitalismus heraus (Ballhaus Ost: „Monypolo“, ab 24. 11., 20 Uhr).

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