TAZ-SERIE "ZURÜCK AUF STAAT" (1): Das dreifache Stadtwerk

SPD, Grüne und der Wirtschaftssenator warten mit Ideen für ein neues Stadtwerk in Berlin auf. Dabei verfolgen die einzelnen Parteien unterschiedliche Ziele. Und nicht alle Vorschläge sind wirklich ausgereift.

Mehr Zellen aufs Dach: SPD, Linke und Grüne wollen irgendwie was gutes tun Bild: Reuters

Sie sollen Berlin grün machen. Nachhaltig. Der Stadt neue Einnahmen bringen. Und den Service für die Bürger verbessern. Kurzum: Neue Stadtwerke sollen einen guten Teil der Probleme lösen, die die Stadt derzeit hat. Zumindest, wenn es nach dem Willen von SPD, Grünen und dem Wirtschaftssenator der Linkspartei geht. Sie alle haben in den vergangenen Wochen Konzepte für neue Stadtwerke vorgelegt.

"Stadtwerke Berlin" hat die SPD über ihren Vorschlag geschrieben, "Berlin Energie" nannten die Grünen sowie Wirtschaftssenator Harald Wolf ihre Ideen. Doch so ähnlich die Namen sind, so unterschiedlich sind die Inhalte. Sie reichen vom virtuellen Stadtwerk, das Kapazitäten bündelt, bis zum Stadtwerk nach traditionellem Vorbild, das von Stromversorgung bis Schwimmbäder alles vereint.

Es ist ein sperriger Begriff, der sich in den letzten Wochen in der Berliner Politik breitmachte: Rekommunalisierung. Damit gemeint ist der Rückkauf von Betrieben der Daseinsvorsorge. Einst gehörten sie der Kommune und wurden irgendwann ganz oder zum Teil an private Unternehmen verkauft, weil die Politik schnelle Einnahmen wollte. Die taz nimmt in einer Serie die einzelnen Bereiche genauer unter die Lupe: Wie steht es um den städtischen Wohnungsbau? Wie viel Privat verträgt der öffentliche Nahverkehr? Zum Auftakt der Serie ein altes Modell in neuer Auflage: die Stadtwerke.

Früher, als die Kommunen noch nicht dauerpleite und die Daseinsvorsorge noch staatlich war, war das Konzept der Stadtwerke gang und gäbe. Sie kümmerten sich um die Energieversorgung, teilweise auch um den Nahverkehr und manchmal um die Schwimmbäder. Auch in Berlin versorgten landeseigene Betriebe die Einwohner mit Strom und Gas. Doch im Laufe der Jahrzehnte wurden sie nach und nach verkauft. Die Hälfte der Wasserbetriebe hier, schrittweise die Gasag da. Dafür gab es schnelles Geld für die Landeskasse. An die langfristigen Einnahmen dachte man weniger.

"Wir glauben, dass die öffentliche Hand mit der Privatisierung ein schlechtes Geschäft gemacht hat", sagt daher Daniel Buchholz. Buchholz ist umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Zu viele Gestaltungsmöglichkeiten habe man mit den Verkäufen aus der Hand gegeben und Einnahmequellen gleich mit dazu. In Zukunft soll das wieder anders werden: mit einem Unternehmen ganz nach dem Konzept der guten alten Stadtwerke.

"Vorbild sind die Münchner Stadtwerke", sagt Buchholz. Von ihnen können Kunden nicht nur Strom, Gas und Fernwärme beziehen, sondern auch Wasser und Dienstleistungen wie Energieausweise. Auch Schwimmbäder betreibt das Unternehmen. Schritt für Schritt, so will es die SPD, soll Berlin sich dem süddeutschen Vorbild nähern: Energie, Wasser, Versorgungsnetze, Nahverkehr, Bäder - alles soll in kommunale Hände.

Wer mit einem Grünen über die Vision der SPD spricht, erntet Kopfschütteln. "Uns ist es nicht vor allem wichtig, ein Stadtwerk zu haben, sondern Probleme zu lösen", sagt Michael Schäfer, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion. Die Probleme, das sind aus Sicht der Grünen vor allem ein geringer Anteil an sanierten Gebäuden im öffentlichen Bereich und folglich ein hohes Potenzial zum Energiesparen, das nicht genutzt wird.

Ein Stadtwerk als "kommunales Klimaschutz-Unternehmen", so die Idee der Grünen, soll das ändern. Es soll dafür sorgen, dass öffentliche Gebäude eine vernünftige Dämmung und eine neue Heizanlage bekommen, dass Solarkollektoren auf alle möglichen Dächer montiert werden und mit zahlreichen Blockheizkraftwerken ein Nahwärmenetz aufgebaut wird. Erzeugte Wärme soll selbst genutzt, erzeugter Strom ins Netz eingespeist werden - als zusätzliche Einnahmequelle.

Virtuelle Kraftwerke schlagen die Grünen daher vor. Bei einem virtuellen Kraftwerk werden viele kleine Erzeuger so koordiniert, dass sie große Kraftwerke ersetzen. Dieses dezentrale Konzept hat den Vorteil, dass bei großer oder geringer Nachfrage flexibler einzelne Mini-Kraftwerke zu- oder abgeschaltet werden können. Was der Aufbau eines solchen Unternehmens kosten soll, rechnen die Grünen ebenfalls vor: 500 Millionen Euro seien laut Schäfer einzuplanen. Die Mittel dafür sollen aus der baulichen Unterhaltung im Landeshaushalt und aus der energetischen Sanierung kommen.

Während die SPD also eine Art Rundumschlag plant und gerne viele einst teilweise oder komplett privatisierte Unternehmen wieder in staatliche Hände bekommen will, kommt der Vorschlag der Grünen eher schlank daher. Das Konzept sieht dem traditionellen Stadtwerk, wie es München hat, wenig ähnlich. Es wirkt eher wie eine Agentur, die Energieeffizienz und erneuerbare Energien befördert, Dienstleistungen anbietet und kleinteilige Infrastruktur schafft.

Ihr Konzept haben die Grünen auf ihrem Landesparteitag Anfang November verabschiedet. Es ist verhältnismäßig ausgereift: Die Finanzierung steht, zumindest auf dem Papier; konkrete Maßnahmen wie Wärmedämmung und der Austausch von Heizungsanlagen sind klar; auch einen Zeitrahmen haben sich die Autoren überlegt. Wer die verschiedenen Fassungen liest, merkt, dass sie sich Gedanken gemacht haben - wenn das auch dazu geführt hat, dass einzelne Punkte rausgeflogen sind.

Viele lange Sätze

In der Überarbeitungsphase ist der Vorschlag von Senator Wolf noch lange nicht. Mitte November hat er sein Papier präsentiert. Bislang existiert er in Form eines dreiseitigen Konzepts. "Weiterentwicklung der energiewirtschaftlichen Strukturen des Landes Berlin" steht darüber. Darin stehen viele lange Sätze, die erklären, dass Dezentralisierung wichtig ist, dass die Politik einen Rahmen setzen muss, dass die Privaten dabei sein sollen.

Wirtschaftlich soll das Unternehmen arbeiten, betonte Wolf bei der Vorstellung und erläuterte: "Das Unternehmen soll ein kooperativer Netzwerkmanager in öffentlicher Hand sein." Das heißt, es soll Ressourcen unterschiedlicher Anbieter bündeln. Daher sind bei der Planungsgruppe die Wasserbetriebe und die BSR dabei. Beide erzeugen schon jetzt Energie, die Wasserbetriebe etwa aus Klärschlamm. Auch wenn das noch nicht auf einen explizit ökologischen Ansatz schließen lässt, betont Wolf in seinem Papier, dass das Unternehmen einen Fokus auf "Energie-Effizienz und erneuerbare Energien" legen soll. Konkrete Schritte zur Umsetzung oder ein Finanzierungskonzept gibt es bislang nicht.

Überhaupt die Finanzierung. Wirtschaftlichkeit wünschen sich alle. Niemand will den Fehler früherer Jahrzehnte wiederholen, als staatliche Betriebe häufig ineffiziente Wasserköpfe an Personal mitschleppten. Effizient soll ein neues Stadtwerk sein, modern, flexibel. Und trotzdem kommunal. Heutzutage müsse das kein Widerspruch sein, so der Tenor. Buchholz von der SPD rechnet ein Beispiel vor: Auch kommunale Unternehmen dürfen Gewinn erwirtschaften. Die Bundesnetzagentur erlaubt einem kommunalen Netzbetreiber beispielsweise 6 Prozent Rendite. Vor einem Kauf müsste Berlin aber erst Kredite aufnehmen. Ein solcher Kommunalkredit ist deutlich günstiger als ein Kredit auf dem freien Markt. 1 bis 2 Prozent müssen Kommunen nur zahlen. "Da kommt eine schwarze Zahl bei raus", sagt daher Buchholz über einen Rückkauf. Doch wenn das so einfach wäre: Warum braucht man dann ein kommunales Unternehmen?

Die Eigenkapitalrendite werde niedrig sein, daher sei der Betrieb für ein gewinnorientiert arbeitendes Unternehmen uninteressant, erklärt Schäfer. SPD und Linkspartei sehen es grundsätzlicher: Bei ihnen steht die Idee der Einflussnahme, der kommunalen Strukturen, des Wieder-mehr-Staat-Gedankens im Mittelpunkt. Nur in einem Punkt wollen alle das Gleiche: Berliner sollen sich an dem Unternehmen beteiligen können. Die SPD schlägt daher eine Genossenschaftsstruktur vor.

Vor allem in den Konzepten von SPD und Grünen zeigt sich, dass die Parteien an ihre Klientel denken: So spricht der Vorschlag der Grünen vor allem eine ökologisch orientierte Zielgruppe an. Dagegen bemüht sich die SPD um soziale Komponenten wie einen Sozialtarif für die Grundversorgung, der energiesparendes Verhalten belohnen soll. Damit am Ende nicht nur subventionierte Wenigverbraucher bei den Stadtwerken landen und die Vielverbraucher einen anderen Versorger wählen, will die SPD alle Anbieter dazu verpflichten - wenn sich das rechtlich umsetzen lässt.

Die rechtliche Umsetzung ist dann auch ein Knackpunkt der Konzepte. Bei der SPD ist es unter anderem der Sozialtarif, bei den Grünen die Gesellschaftsform. Schließlich sollen Aufträge auch direkt an das Stadtwerk vergeben werden können - und das darf keine Probleme geben.

Langfristige Ziele

Klar ist: Kein Konzept lässt sich von heute auf morgen umsetzen. Zwar scheint eine Unternehmensgründung, wie beispielsweise bei den Grünen angedacht, gerade noch in einer Legislaturperiode machbar. Und auch die Weichen für eine Übernahme der Versorgungsnetze müssen in den nächsten Jahren gestellt werden. Doch spätestens wenn, wie bei der SPD, Unternehmen zurückgekauft werden sollen, geht das nicht auf einen Schlag. Das weiß auch Buchholz: "Wir müssen jetzt konkrete Umsetzungsschritte vereinbaren", sagt er.

Und das heißt: überlegen, wie viel Geld man in die Hand nehmen kann. Denn auch wenn sich ein Rückkauf irgendwann rentiert, muss Berlin zuerst Schulden machen. Vor allem das Konzept der SPD ist sehr weit in die Zukunft gerichtet. Wenn es denn dazu kommt. Denn wie das neue Stadtwerk letztlich aussehen könnte, entscheiden im September erst mal die Wähler.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.