piwik no script img

Szenen aus dem ländlichen Meck-PommDer unverfälschte Charme der DDR

Am Sonntag finden in Mecklenburg-Vorpommern Kommunalwahlen statt. Eindrücke aus dem Arbeitsleben eines anonymen Fahrzeugprüfers.

Ein Memory-Spiel zur Landpartie Foto: imago (7)/adobe stock (1)/Montage: taz

„Hier wird Deutsch gesprochen!“

***min, größerer Betrieb, der Chef ist da, der Werkstattleiter ist da, und noch ein paar andere Nazis, die da arbeiten oder einfach so dort sind.

Ein Ausländer betritt die Werkstatt und wagt es zu fragen:

„Do you speak english?

Woraufhin der Chef engagiert aufspringt und mit lauter Stimme ruft:

„Nein! Keiner! Keiner hier! Wir sind hier in Deutschland! Hier wird Deutsch gesprochen!“

Läuft an dem Typ vorbei und öffnet ihm die Ausgangstür. Und der geht.

„Aber mit Waschpaste!“

***ben, eine der schlimmsten Werkstätten überhaupt.

Ein Dörfler, der wollte sein Auto abholen oder nur quatschen – das weiß man nie –, der kam rein, hat die Hacken zusammengeknallt und erst mal abgegrüßt mit Hitlergruß. Also kein 16-Jähriger, sondern so im Alter von meinem Vadder.

Dann hab ich gefragt:

„Wo is hier das Klo?“

„Ham wer nich! Kannst draußen am Giebel pissen!“

Draußen hab ich dann überlegt, ob ich ans Haus piß’ oder ins Gebüsch, und mich fürs Gebüsch entschieden. Schön einsehbar von der Straße, in meinen Firmenklamotten.

In der Bude waren es zum Glück nur drei Autos. Als ich nach Hause fahren wollte, hatte ich Schweinefinger, Maschinenöl dran ohne Ende, und da hab ich gefragt:

„Wo is hier Händewaschen?“

„Ham wer nich! Nur ’n Eimer.“

Ich hab dumm geguckt.

„Aber mit Waschpaste!“

Hab ich also meine Hände in den Jauche-Eimer da gehalten und gewaschen, mit Waschpaste, und mit einem selbst mitgebrachten Tuch abgetrocknet. Das hab ich danach gleich weggeschmissen.

’Ne ganz arme Sau“

Ein Laden in ***zin.

„Kannst das Moped dahinten noch machen“, sagt der Besitzer.

„Jo. Gib mal die Papiere.“

„Dat is ’ne ganz arme Sau.“

„Wer?“

„Dem dat Moped gehört.“

„Aha … Wieso?“

„Ja, der is beim Bund, Kapitän, der musste jetzt wieder runter, ans Mittelmeer.“

„Ans Mittelmeer?“

„Ja! Kanaken rausfischen! Damit die danach unseren Sozialstaat ausplündern können!“

„Da hat Er richtig gerechnet!“

Bei Bäcker ***sch sind die Regale so leer wie damals, im DDR-Konsum. Da liegen vielleicht noch so acht Brötchen und zwei Brote, aber das ganze Nebenzimmer steht voller Kartons mit Pfannkuchen.

Ich kauf’ meine fünf Brötchen und das letzte Mohnhörnchen.

Darauf die Verkäuferin in einem Anflug von Geschäftssinn:

„Will Er denn keine Fannkuchen?“ –

„Bloß nich!“

„Hmmrr!“, hat se ungläubig gemacht.

Um die Sache abzukürzen, hab ich gesagt: „3,84!“

Sie tippt’s ein und sagt dann anerkennend:

„Da hat Er richtig gerechnet!“

„Is aber jetzt kein Problem, oder?“

***kow. Ein alter Mann im Feinrippunterhemd kommt in seinem Nissan angefahren. Mit Krücke, Dackel und einer nicht zu unterschätzenden Alkoholfahne wälzt er sich aus dem Auto. Während ich es durchsehe, erzählt er mit zehnmal, dass er das Auto ja eigentlich nur für die Jagd braucht und damit nur im Wald fährt, und dass neben ihm aufm Beifahrersitz immer der Dackel sitzt.

„Du fährst zur Jagd?“

„Ja. Immer schon.“

„Wie machst du das? Kommst du auf den Hochsitz oder schießt du ausm Auto?“

Er sagt, er kommt wohl auf den Hochsitz.

„Und was macht der Dackel so lange?“

„Den schmeiß ich in den Rucksack, und dann kommt der mit hoch.“

Beim Prüfen steht er immer ungefähr 30 Zentimeter neben mir, vors Auto, hinters Auto, ­unters Auto, und wieder drumherum. Konnt ich ihm also gleich gut zeigen, was alles kaputt ist. Wenn sich einer so dafür interessiert, erklär ich dem das auch.

Und er immer so:

„Is aber jetzt kein Problem, oder?“

„Über das Ergebnis sprechen wir am Ende.“

Er hat dann damit angefangen, er macht ja auch in Kfz. Hat dahinten mal gearbeitet, im Traktorenkombinat. Und während ich versucht habe, ’ne Abgasuntersuchung zu machen, hat er mir erst mal den Motor ausgestellt und souverän den Schlüssel abgezogen.

Dann war ich fertig und hab ihm den Bericht unter die Nase gehalten.

Nach ’ner Weile sagt er dann:

„Ich sag dir jetzt mal, was passiert, wenn du bei mir aufn Hof kommst. Zwei Sachen: Erst schlägt der Dackel an …“

„Und dann beißt der mir ins Bein?“

„Nicht nötig. Denn als zweites hau ich dir ’n Loch inn Kopp mit meim Drilling.“

Damit isser abgezottelt. Ein Drilling ist ein Jagdgewehr mit drei Läufen, zweimal Schrot, eine Kugel. So was hatte mein Opa auch.

Ich hab den Christian von der Werkstatt gefragt, was das fürn Vogel war.

„Hat er wieder Jagdgeschichten erzählt?“

„Ja, und ich war Teil davon.“

„Mach dir keine Sorgen. Als sie ihn das letzte Mal besoffen angehalten haben, schön die geladene Knarre auf dem Beifahrersitz, da hatte er schon keinen Führerschein mehr. Jetzt hat er auch keinen Waffenschein mehr – und keine Waffe.“

In ***kow ist übrigens der einzige Bäcker, den ich kenne, wo du Bier gleich kistenweise kaufen kannst.

„Da sind wir nicht drauf angewiesen!“

Neulich in einer Gaststätte in ***orf. Mich empfängt eine Oma in Kittelschürze. Sie weiß sofort bescheid:

„Na? Will Er nur aufs Klo?“

„Ja. Wo geht’s lang?“

„Durch’n großen Saal.“

Und dieser Saal – ha! Da war ’ne Bühne mit Vorhang, die klassischen eckigen Stapelstühle mit Sitzpolstern, alles wie von der letzten Jugendweihe ca. 1981. Die decken auch unverändert gleich ein seitdem. Das roch auch noch so richtig nach DDR: Wofasept und Linoleumboden, alles der unverfälschte Charme der DDR, nur die Klobrillen waren neu.

Als ich zurückkomme, signalisiere ich der Chefin, dass ich mein Geld aus dem Auto holen muss.

„Dat kann Er steckenlassen. Da sind wir nicht drauf angewiesen!“

„Das geht nicht“

Poststelle im Dorfladen, neun Uhr morgens. Ein Spritti steht schwankend vorm Schnapsregal und versucht, sich zu entscheiden, ob er normalen Klaren nimmt oder doch mal Doppelkorn. Eine Dame kurz vor dem Rentenalter hinterm Schalter. Ich stelle meine Pakete ab.

„Ich hätte da bisschen was abzugeben.“

„Oh … das mach ich normal nicht, Pakete haben wir hier nicht so oft, ich weiß gar nicht so genau …“

„Kein Problem, meine Frau hat mir genau aufgeschrieben, wie das geschickt werden muss. Erst mal was einfaches. Hier hab ich ein’ Brief nach Ahlbeck, der muss nur frankiert werden.“

Die hatten da noch richtige gummierte Briefmarken. Sie drückt die mit dem Daumen auf ihren Schwamm und stellt fest:

„Trocken!“

Hat sie dann umstandslos mit der Zunge abgeschleckt, die Marke. Beidseitig. Und auf den Brief gemacht.

„Dann machen wir doch gleich weiter mit Briefen!“, sage ich und hab so ein kartoniertes Kästchen hingelegt.

„Das ist kein Brief!“

„Meine Frau hat mir aufgeschrieben, das soll als Brief geschickt werden.“

„Das geht nicht.“

„Meine Frau sagt, das geht.“

„Ist Ihre Frau die Deutsche Post?“

„Wer weiß das schon?“

„Da muss ich aber meine Tabelle holen!“

Die hat sie gründlich studiert und dabei geknurrt, und dann kam das Kommando:

„Aufe Waage!“

Und so hat das als Brief tatsächlich geklappt. Dann kam aber erst mal der Spritti und wollte seinen Schnaps bezahlen. Stück für Stück hat er seine Centsammlung ausgebreitet. Und die Dame:

„Jo Klausi, wie immer!“

Nun ging es los mit den Paketen.

„Aufe Waage!“

Sie hat das größte gewogen, alles eingetippt, einen Zettel gedruckt und mir gegeben.

„Sie müssen noch draufschreiben, für wen dat war, oder komm’ Sie so klar?“

„Was steht denn drauf, für wen das ist?“

„M-a-r-g-a-…

„Ah, für die Schwiegermutter.“

„Aaah! Für die Schwiegermutter?! Kriegt die wat geschenkt?“

Ich wollte aber kein Gespräch drüber anfangen und hab das nächste hochgestellt. Sie hat wieder gepiept und getippt und schiebt mir den Zettel zu:

„Wollen Sie wieder aufschreiben?“

„Ja, für wen ist das?“

„Oh!“ Sie liest. „Dat ist für Frau Doktor!!“

„Für welche?“

„Kenn’ Sie etwa mehrere?!“

Dann kam das letzte.

„Aufe Waage!“

„Für wen issn das?“

„G-u-d-r-u-n und…“

„Robert! Mein Schwager!“

Da hat sie gleich messerscharf gesagt: „Aha! Der vonne Schwiegermudder?“

Das hab ich bestätigt.

Sie hat in ihrem hochmodernen Computersystem schon alles eingebongt, aber für die Sicherheit wollte sie das nochmal schön mit dem Taschenrechner zusammentippen.

„Petra! Wo geht der an?“

Eine zweite Dame kommt von hinten dazu.

„Du musst drücken, wo 'on’ steht.“

„Der geht aber nicht an!“

„Halt den mal bei die Lampe. Der geht mit Solar.“

Auf die Weise hat sie dann von ihrem Computerbildschirm alles nochmal abgetippt mit ihrem Rechner. Sicher ist sicher. Schließlich war sie fertig.

„Das macht denn 28,60!

Ich zieh aus meiner Hosentasche die bisherigen Tageseinnahmen raus. Ungefähr 800 Euro, in großen Scheinen.

„Hohoho!“, freut die sich und schnaubt anerkennend.

„Könn’ Sie das schon wechseln so früh am Tag?“

Konnte sie.

Ich sag tschüss, und sie:

„Ja, denn eine gute Reise nach ***urg!“

Mein Autokennzeichen hatten die natürlich gleich als erstes abgecheckt.

„Na, vielleicht komm ich die Woche nochmal wieder“, sage ich im Gehen. „Ich arbeite die Tage in der Ecke.“

Und daraufhin sie doch tatsächlich:

„Wir sind gerne für Sie da!“

Das hat die vielleicht mal in ’ner Schulung gelernt, aber garantiert noch nie vorher zu einem Kunden gesagt. Und am Ende vom Tag kann ich sagen: Obwohl man nicht anstehen muss, dauert’s unterm Strich genauso lange wie in der Stadt. Aber man erlebt mehr!

„Jo“

Der Kunde hat ein Auto dabei, das nicht zugelassen und demnach auch nicht versichert ist. Ein Kennzeichen hat er aber immerhin.

„Bist du mit dem Ding so hierher gefahren?“

„Ja sicher!“

„Und das Kennzeichen hast du rangehängt, damit du der Polizei nicht auffällst?“

„Jo.“

„Und wohin willst du damit dann weiter?“

„Pasewalk.“

Sind ja auch nur 150 Kilometer!

„Sieg Heil!“

Der erste Betrieb diesen Morgen. Ich komm rein, ein Kunde grüßt:

„Sieg Heil! Ich hab zu Führers Geburtstag Pralinen mitgebracht!“

Hält der mir eine Packung Mon Chérie hin.

Aber ich hab gesagt:

„Nein danke, mir ist schon schlecht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Und auch wenn man sich unbeliebt macht, in dem man drauf hinweist: die völlig unbefangene, von keiner Scham getrübte, geradezu naive Zurschaustellung rechtsextremer Gesinnung, gibt es so im Westen nicht. Das ist typisch Osten. Sylt hin oder her, aber den Glauben, dass es völlig normal sei, zu Führers Geburtstag Pralinen mitzubringen, gibt es im Westen nicht.

    • @Suryo:

      Schön wie sie hier ihr schwarz-weiß-Denken (trotz eigenem Gegenbeispiel) zur Schau stellen. Und wo liegt nochmal Hanau?

      Und in wie fern hilft ihre Sicht die Lage zu verbessern? Verschwinden Probleme wenn man sie ignoriert?