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Systematischer VerbraucherbetrugBio-Eier von unglücklichen Hühnern

Gegen 200 Hühner-Betriebe wird wegen Verbrauchertäuschung ermittelt: Mehrere Millionen Bio- und Freiland-Eier stammten aus überbelegten Ställen.

Ist das noch artgerechte Haltung? Bild: dpa

Hamburg taz | In Niedersachsen bahnt sich einer der größten Betrugsfälle in der Geschichte der deutschen Landwirtschaft an. Nach Spiegel-Informationen ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen 150 niedersächsische Eierproduzenten.

Fast jeder fünfte Eierproduzent des Landes steht in Verdacht, Eier von auf engstem Raum zusammengepferchten Legehennen als Freiland- oder gar Bio-Eier in den Handel gebracht zu haben. Freiland-Legehennen müssen pro Tier mindestens über vier Quadratmeter Auslauffläche verfügen, Bio-Eier von Hennen stammen, die speziell ernährt wurden.

Millionen Eier sind nach Recherchen des Hamburger Nachrichtenmagazins so falsch deklariert in den Handel gekommen. Neben Agrarerzeugern in Niedersachsen sollen auch rund 50 Hennen-Halter in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern in den kriminellen Etikettenschwindel involviert sein. Auch in Belgien und den Niederlanden wird derzeit gegen Betriebe ermittelt.

Betroffen sind nach Informationen aus dem niedersächsischen Landwirtschaftsministerium zum Großteil konventionelle Betriebe, aber auch gegen einige Bio-Landwirte sollen die Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Die Namen der verdächtigen Eierproduzenten will die Staatsanwaltschaft allerdings erst nennen, wenn klar sei „in wie vielen und welchen Fällen“ sich der Verdacht bestätige. Das solle „relativ zeitnah“ feststehen, hoffte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Frauke Wilken, am Sonntag, ließ aber offen, ob sie bei dieser Formulierung von Tagen, Wochen oder Monaten ausgeht. Die Ermittlungen seien „sehr aufwendig, so etwas dauert seine Zeit“, so Wilken.

Straftatbestand Betrug

Erste Nachforschungen nahm die Staatsanwaltschaft im Herbst 2011 auf. Ermittelt wird gegen die rund 150 Firmen – deren Namen die Staatsanwaltschaft noch nicht nennt – wegen möglicher Verstöße gegen das Lebensmittel- und das Futtermittelgesetz. Auch Vergehen gegen das ökologische Landbaugesetz und der Straftatbestand „Betrug“ stehen auf der Liste der möglichen Anklagepunkte.

„Der Verdacht besteht, dass es sich um systematischen Betrug handelt“, erklärte der neue niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) am Sonntag. „Das ist kein Kavaliersdelikt, das wäre Verbrauchertäuschung.“

Das Agrarministerium habe Berichte über die jüngsten Kontrollen der Betriebe angefordert, für die die Kommunen zuständig seien, so Meyer weiter. Nun werde geprüft, ob den betroffenen Eierproduzenten womöglich die Zulassung entzogen wird. „Wir können aber nur entziehen, wenn sich der Betrug bestätigt und die Betriebe überführt sind“, verdeutlicht Meyer die Spielregeln.

Exzessiver Preiskampf

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) erklärte am Sonntag, in den Supermärkten hätten auch in der Bio-Sparte die Eier großer Agrarfabriken längst die mittelständischer Bio-Bauern verdrängt - die Folge eines exzessiven Preiskampfes. „Ökologischer Landbau und eine artgerechte Tierhaltung sind aber nur in flächengebundenen, mittelständisch-bäuerlichen Strukturen mit überzeugten Bio-Bauern möglich“, urteilt die Arbeitsgemeinschaft.

Boden- und Freilandhaltung nehmen in Deutschland kontinuierlich zu, die Käfighaltung ab. Laut Statistischem Bundesamt leben bundesweit zwei Drittel aller erfassten Legehennen (26,8 Millionen) in Bodenhaltung. An zweiter Stelle folgt die Freilandhaltung mit 14,8 und erst an dritter Stelle die Käfighaltung mit 13,4 Prozent. Bio-Betriebe hielten Ende 2012 2,9 Millionen Legehennen, das entspricht 7,9 Prozent aller Tiere. Seit 2009 ist die herkömmliche Käfighaltung in Deutschland verboten.

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14 Kommentare

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  • S
    Sven

    Obwohl hauptsächlich konventionelle Betriebe betroffen sind, entblödet sich auch die taz nicht, in der Überschrift nur die Bio-Branche als böse Buben darzustellen.

    "Konventionelle Eier von unglücklichen Hühnern" gibt eben keine gscheite Schlagzeile her, das gilt für BILD wie für Spiegel und taz gleichermaßen.

  • G
    grünfreak

    Es wird Zeit, das hier mal Namen genannt werden und Bezugsquellen. Sind es vielleicht die Bio-Eier von Feinkost Albrecht? Würde mich nicht wundern, bei dem Schleuderpreis.

    Kommt jetzt der nächste 10 Punkte Plan von Frau Aigner ? Bei der steht ja auch nicht drauf, was drin ist. Verbraucherschutz jedenfalls nicht

  • E
    ello

    Oooch, das ist aber schrecklich: da wurde gegen eine Norm verstoßen! Vielleicht wars ja "ziviler Ungehorsam" (siehe Grottian) der Bauern? Probleme habt ihr...

  • W
    Wolfgang

    Die ungeschminkte und stets noch erfolgreich geleugnete Wahrheit ist:

     

    Die Lebensmittelmafia regiert Deutschland und EU-Europa!

     

    Es handelt sich um Milliarden Eier und mehrere hundert Millionen Euro, die zusätzlich pro Jahr von den Verbrauchern in Deutschland und EU-Europa abkassiert werden! An diesen Verbrechen - nur mit Eiern - sind Tausende Betriebe in Deutschland und Europa beteiligt!

     

    Der Umfang der tatsächlichen Nahrungsmittel-Betrügereien, pro Jahr, nur in Deutschland, geht in die viele Milliarden Euro und in Europa in mehrere hundert Milliarden Euro, durchaus analog den staatlich-juristisch geschützten Verbrechen der europäischen Banken und Spekulanten!

  • BW
    B. wondraschek

    Zitat: "Betroffen sind ... zum Großteil konventionelle Betriebe, aber auch gegen einige Bio-Landwirte sollen die Ermittlungen auf Hochtouren laufen."

     

    Wie stimmt der Inhalt mit der Überschrift "Bio-Eier von unglücklichen Hühnern" zusammen?

     

    Ich lasse mir reißerische Überschriften gerne gefallen, sie sollten nur zum Text passen.

  • L
    Lurker

    Was mir wirklich fehlt ist die klare Benennung der Schuldigen & Konsequenzen. Warum sind für Privatpersonen Strafen oft übertrieben empfindlich und "abschreckend" (bis zu 3 Jahre Haft für Raubkopierer) und werden im Falle einer Person "öffentlichen Interesses" noch durch den nationalen Pressekakao gezogen, wenn bei Unternehmen es offenbar nicht möglich ist Strafen die über Symbolwert hinausgehen zu verhängen und man bloß nicht öffentlich sagen will welches Unternehmen dahinter steckt.

     

    Warum heißt immer nur "die Biobranche" oder "die Fleischindustrie"? Ich dachte wir leben im überregelten Deutschland in der jeder Rinderpups noch mit einem Ettikett zur Klimaverträglichkeit versehen wird. Wie kann es sein, dass dann systematische Verwendung von falschem Fleisch wie beim aktuellen Pferdefleisch"skandal" oder die Bioeitäuschung so lange nicht auffallen und jetzt so schwer zu ermitteln sind. Oder _will_ man auf keinen Fall öffentlich sagen wer da Versucht die Verbraucher zu betrügen? Warum werden diese Unternehmen geschützt?

  • JK
    Jensen Knie

    Es stellt sich doch erneut die Frage, welche der sogenannten Öko-Kontrollstellen offensichtlich geschlampt haben. Und - sind es nur EU-bio zertifizierte Betriebe oder auch wieder Verbandsbetriebe um die es geht? Da scheint ja das System an sich nicht zu funktionieren.

     

    Aber letzten Endes gilt was immer galt: auf aufgeklärte Vebraucher kommt es an.

  • B
    Übergewicht

    Wofür und warum brauchen wir soviele Eier?

     

    Es gibt auch ein Leben ohne Eier.

     

    Nudeln, z. B. kommen prima ohne solche aus.

    Bei anderen Produkten ist es nicht anders.

     

    Oder sind dann wieder Arbeitsplätze gefährdet?

    Die von Eier Aufschlagern, Hühnerschlächtern oder so was?

     

    Oder die vorgegaukelte Lebensqualität ist betroffen?

  • HP
    H. P. Petersen

    Wo ist das Problem?

     

    Der Verbraucher will doch betrogen werden, ansonsten würde er solche Eier nicht kaufen. Nach der Künast Bio-Verordnung muss einem Huhn gerade mal während eines Drittels seines Lebens Freigang gewährt werden um die Eier als „Bio-Eier“ verkaufen zu dürfen. Einziger Nachweis hierfür sind die Angaben des Biobauern selbst. Den „Rest“ der Zeit verbringen diese „glücklichen Bio-Hühner“ zu 3000 in einen Stall von 250m2 Grundfläche gezwängt damit, im eigenen Mist zu wühlen. Ist ja auch irgendwie Bio! Trotz weitaus höherem Antibiotikaeinsatz als bei der Käfighaltung krepieren deutlich mehr Hühner bei dieser „Bio-Haltung“.

  • MG
    Manfred Gerber

    Das ist nicht der einzigste Skandal. Viel schwer wiegender ist die Verwendung von sogenannten Biopestiziden und Pflanzenhilfsstoffen.

    Nervengifte wie Spinosad und Rotenon sind im Bioanbau üblich. Die schlechte Beratung der Anbauverbände geht sogar soweit, hydrolysierte Schlachtabfälle als Bakterienfutter auf die Pflanzen aufzubringen. Eine hygienische Katastrophe made by Fibl, einer dubiosen Zulassungsstelle mit eigenen wirtschaftlichen Interessen.

    Unter diesen Umständen sollten wir nicht nur von Verbrauchertäuschung, sondern über die Gefährdung der Verbraucher durch biologische Lebensmittel sprechen.

    Giftfreie Alternativen wie Blattdesinfektion mit Düngemitteln, lehnen die Anbauverbände ab. Zu einfach und zu billig daher für BIO verboten. Also weiter so bis zum nächsten Skandal.

    Irgendwann sterben (wieder(Ehec)) Menschen!

  • K
    klaus

    Eier sollte man prinzipiell meiden solange die männlichen Küken auch in der Biobranche am ersten Lebenstag in den Schredder wandern, weil nur die Weibchen Eier legen und für Masthühner andere Rassen gebraucht werden. Nicht mal Demeter und Bioland schaffen es, Eier von so genannten Zweinutzungshühnern anzubieten, bei denen die Weibchen zum Eierlegen taugen und die Männchen bis zum Brathähnchen immerhin noch 150 Tage zu leben haben. Das ist doch alles einfach ein Scheißsystem mit dieser Fleischfresserei.

  • J
    JadotA

    Bin kein Hellseher, sondern knapp bei Kasse.

    Kaufe sonst „glückliche Eier von freirennenden Hähnen und Damen“.

    Das letzte Mal nicht.

     

    Mein schlechtes Gewissen – Bankseidank – hielt sich in Grenzen, weil…

    merkte bei Verzehr der ersten kein großen Unterschied.

    („Billig davon gekommen“ sagte ich mir.)

     

    Und dann lese ich das: „Schavan und der Papst treten zurück, mein Bio-Alibi auch.“

     

    Wenn die Käfighühner auch noch Pferdefleisch essen würden, wäre ich nicht erstaunt.

     

    Bin auf die nächste Enthüllung gespannt.

     

     

    PS: Mein Spamvermeidungscodewort ist "huhn"

  • AO
    apparatschik ohé

    20% betrügerische Hühnereierproduzenten in Niedersachsen ? Herr Lindemann, was sagen Sie denn dazu, das geschah in Ihrer Amtszeit ?

     

    Pferdeeier zu Wiesenostern,sagen Sie, und das soll völlig normal sein, ach so, na dann Prost

  • S
    Sontag

    Namen bitte! Schließlich will der Verbraucher wissen, von wem er noch welche Eier beziehen kann!