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Syrische OppositionMachtwille und Isolation

Syriens Opposition will für den von ihr kontrollierten Teil des Landes eine Übergangsregierung bilden. Gleichzeitig boykottiert sie internationale Treffen und erntet dafür Kritik.

Sie zeigen sich: Demonstration der syrischen Opposition am Freitag in Aleppo. Bild: reuters

ISTANBUL/WASHINGTON dpa | Fast zwei Jahre nach Beginn des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad will Syriens größtes Oppositionsbündnis wenigstens in einem Teil des Landes die Macht übernehmen. Wie ein Oppositionssprecher ankündigte, soll am 2. März bei einem Treffen in Istanbul eine Übergangsregierung gebildet werden, die dann die Verantwortung in den von Rebellen eroberten Gebieten übernimmt.

Das nächste Treffen der Freunde Syriens in Rom will das Oppositionsbündnis dagegen boykottieren – trotz der erstmaligen Teilnahme des neuen US-Außenministers John Kerry. Diese geschehe aus Protest gegen das „internationale Schweigen“ zur Gewalt in der Heimat. Auch ein im März in Moskau geplantes Gespräch mit Vertretern der russischen Regierung und ein – nicht näher bezeichnetes – Treffen in den USA seien wegen der „beschämenden“ Haltung der internationalen Staatengemeinschaft abgesagt worden, hieß es in einer am Samstag verbreiteten Erklärung.

Der Sprecher der Koalition, Walid al-Bunni, betonte: „Wir können nicht immer nur den Erklärungen zuhören. Wir wollen, dass unsere Freunde auch handeln.“ Es sei die Pflicht der Weltgemeinschaft, die Menschen in Syrien zu schützen. Die Rebellen wollen militärische Hilfe und Waffen. Doch der UN-Sicherheitsrat ist im Syrien-Konflikt zutiefst zerstritten.

Ein Vertreter der US-Regierung nannte den Boykott kontraproduktiv. Das Oppositionsbündnis lasse sich damit die Gelegenheit für eine erste Zusammenkunft mit US-Außenminister Kerry entgehen.

Islamistischer Einfluss wächst

In den syrischen Oppositionshochburgen wächst derzeit der Einfluss der Islamisten – und die dürften einer Übergangsregierung die Arbeit erschweren. Zu den militärisch erfolgreichsten Brigaden gehört die Al-Nusra-Front, deren Ziel die Gründung eines islamischen Staates ist. In einigen „befreiten Gebieten“ hat die Al-Nusra-Front bereits Scharia-Gerichte eingerichtet. Die USA hat die Gruppe, auf deren Konto auch zahlreiche Selbstmordanschläge gehen, als Terrororganisation eingestuft.

Gegen „jeglichen Extremismus“ sprach sich derweil der Islamist Imad al-Din Raschid aus, dessen Bewegung in Syrien ebenfalls an Popularität gewinnt. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa sagte er, seine Partei vertrete einen gemäßigten Islam und strebe einen zivilen Staat an.

In Syrien dauerte das Blutvergießen am Samstag an. Aktivisten vermeldeten bis zum frühen Nachmittag rund 53 Tote, die meisten von ihnen in der Stadt Aleppo im Norden des Landes. Dort waren bei einem Raketenangriff am Freitagabend laut Opposition mindestens 29 Menschen ums Leben gekommen. Die drei Raketen hätten zahlreiche Häuser zerstört und mehr als 150 Menschen verletzt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte von Russland mehr Druck auf Syrien mit dem Ziel einer Ablösung von Präsident Assad. „Wir reden immer und immer wieder mit Russland auch darüber, dass wir Druck ausüben müssen und der (...) Herrscher Assad seine Chance vertan hat und wir eine politische Lösung für eine neue Regierung in Syrien brauchen“, sagte Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. Russland gehört zu den wichtigsten Verbündeten Assads.

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6 Kommentare

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  • W
    Wolfgang

    Zu: @ "von Thomas H."

     

    Gegen die Kapitalmacht und saudische Monarchie, können auch die "Assad-Streitkräfte" (?) auf Dauer nichts ausrichten! Selbst wenn sie eine Mehrheit der Bevölkerung (ursprünglich) auf ihrer Seite hätten.

     

    Bemerkenswert bleibt: Saudi-Arabien entwickelt zusammen mit Frankreich, China und den USA, ein Atomprogramm (einschließlich Atomwaffen) im Gesamtwert für 80 Milliarden Dollar. Bis ins Jahr 2030/32 befinden sich 16 Atomblöcke in Fertigstellung! -

     

    Die deutsche Bundesregierung liefert Panzerwaffen, auch für den Schutz der künftigen Atomanlagen!

     

    Aufwachen, braver treudeutscher Michel!

  • TH
    Thomas H

    Laut übereinstimmenden Medienberichten aus Libanon und Nahost haben sich heute (Montag, den 25.02.2013) mindestens acht hochrangige alawitische Offiziere der Assad-Streitkräfte mit ihren Familien über die Grenze nach Jordanien abgesetzt.

     

    https://now.mmedia.me/lb/en/nownews/top-syria-alawite-officers-defect-sources-say

     

    Selbst in den inzwischen rein alawitisch besetzten Führungszirkeln von Assads Streitkräften erodiert inzwischen die Macht des Assad-Clans!

     

    Bereits am Wochenende übernahmen Einheiten der bewaffneten syrischen Opposition die Kontrolle über das wochenlang schwer umkämpfte geheime Nuklearforschungszentrum Al Kibar, in der Wüste der Region Deir ez-Zor, dessen heimlich mit Hilfe Irans und Nordkoreas errichteten Atomreaktor Israel erst Anfang Sept. 2007 in einem überraschenden Luftschlag ("Operation Orchard") zerstört hatte.

     

    http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2013/Feb-24/207739-syrian-opposition-says-captures-suspected-nuclear-reactor-site.ashx#axzz2LMST37Fi

     

    In der syrischen Provinz Aleppo hat die bewaffnete syrische Opposition ebenfalls am Wochenende eine Offensive gegen die letzten dort verbliebenen Bastionen der Assad-Kräfte gestartet.

     

    http://www.naharnet.com/stories/en/73178-syria-rebels-close-in-on-last-regime-bastion-in-western-aleppo

     

    In Damaskus haben am Wochenende mutmaßlich Schergen des Assad-Regimes den populären syrischen Entertainer Yassin Bakush ermordet, der Assads repressives und blutiges Terrorregime immer wieder laut und vernehmlich kritisiert hatte.

     

    http://www.yalibnan.com/2013/02/25/syrian-comedian-yassin-bakush-killed-army-blamed/

  • A
    Ant-iPod

    Ich glaube nicht daran, dass die Staatengemeinschaft mit "Nichtachtung" zu "strafen" irgendwelche positiven Aspekte erbringen wird.

    Die Weltgemeinschaft will nicht handeln - was zumindest aus europäischer Sicht ein fataler, strategischer Fehler ist.

     

    Absolut lächerlich wird es, wenn man durch langes Zuwarten und Tatenlosigkeit einerseits, sowie massives Wegschauen bei Saudischen Spenden an Al-Nusra & Co. andererseits eine islamistische Unterwanderung der Opposition erst einmal herstellt und das selbst geschaffene Phänomen dann heranzieht, um seine menschenverachtende Politik weiter zu betreiben.

     

    Ich denke, der Schritt nun eine Regierung für die befreiten Gebiete zu definieren, welche strukturiert beginnt, dass öffentliche Leben zu organisieren - und diese Aufgabe eben nicht Al-Nusra & Co. überlässt, die nur eine finanzielle, aber keine demokratische Legitimation haben - ist genau der Richtige.

    Wenn die so genannten "Freunde Syriens" Interesse daran haben sollten, wenigstens ein bißchen Glaubwürdigkeit zu behalten, können sie dann direkt unterstützend tätig werden.

    Das ist in jedem Fall hilfreicher, als sich in die Schmollecke zurückzuziehen.

     

    Es stimmt aber, dass es nicht hinnehmbar ist, wass das Regime derzeit veranstaltet. Es reicht nicht alleine mit der Luftwaffe die eigene Bevölkerung zu ermorden, sondern es werden SCUD-Raketen eingesetzt und somit rein strategische Waffen, die in keiner Weise geeignet sind, taktisch auf dem Schlachtfeld eigene Truppen zu unterstützen oder den Gegner zu behindern - dies sind großflächig wirkende, strategische Terrorwaffen, welche das Regime einsetzt.

    Dies ist eine neue Qualität und nicht hinnehmbar - sowie mit einer modernen Luftwaffe & -aufklärung relativ einfach zu unterbinden.

    Baschar hat nur 800 davon und wir wissen, wo sie liegen. Auch benötigen sie Zeit um Feuerbereit zu sein - Zeit in welcher aufgeklärt und vernichtet werden kann, bevor der Einsatz möglich ist.

    Es gibt keine Flächenbrandtgefahr - es gibt nur Anlass zu handeln!

  • TH
    Thomas H

    Nun rächt es sich für den Westen wie für die syrische Bevölkerung extrem bitter, dass es keine westliche Intervention zur Friedenserzwingung und zum Regimechange in Syrien gegeben hat, als so eine militärische Intervention (nach dem Vorbild Libyen) noch möglich gewesen wäre.

     

    Denn während sich aus Russland, Iran, China und Nordkorea ein unablässiger Zustrom an Waffen, Munition, Bargeldbeständen und Söldnern in die vom Assad-Regime gehaltenen Teile Syriens ergießt, erhält die oppositionelle Rebellenkoalition FSA nahezu gar keine Waffen aus dem Ausland, was logischerweise nur dazu führt, dass nun die sunnitischen Islamisten mit Al Qaida-Connection immer stärker und dominierender in den vom Assad-Regime befreiten Teilen Syriens werden, so wie auf der Gegenseite die radikalen alawitischen und schiitischen Gotteskrieger mit Verlinkung zum iranischen Mullahregime mehr und mehr das Assad-Lager dominieren.

     

    Der Westen lässt also die Menschen in Syrien feige im Stich, die sich gegen die faschistische Assad-Minderheitsdespotie erhoben haben, aus Furcht davor, dass Syrien nach dem Sturz des (von Russland, Iran, China und Nordkorea am Leben erhaltenen) massenmörderischen Assad-Regimes an die Islamisten fallen könnte.

     

    Aber genau diese westliche Angst und Feigheit sorgt nun erstrecht dafür, dass die diversen Islamistenklüngel nun immer stärker in Syrien werden!

     

    Diese kontraproduktive anhaltende Untätigkeit des Westens und der UNO zu Syrien lässt nun den verschiedenen Kräften innerhalb der syrischen Opposition gar keine andere Wahl mehr, als sich der untätigen "Weltgemeinschaft" zu verweigern und mit den sunnitischen Islamisten gemeinsame Sache zu machen, wenn sie sich nicht wehrlos von den in- und ausländischen Schergen Assads (Shabiha, Hisbollah, Pasdaran, Mehdi-Armee usw.) zur Schlachtbank führen lassen wollen.

     

    Der faktisch längst stattfindende Genozid am eigenen aufständischen syrischen Volk wird dem verbrecherischen Assad-Regime vom Westen und von der "Internationalen Gemeinschaft" durch deren untätiges Wegsehen überhaupt erst ermöglicht, so wie es auch schon mit den Genoziden in Ruanda und in Bosnien Mitte der 90er Jahre der Fall war!

     

    Wäre ich ein von Assads Genozid akut bedrohter Syrer, würde ich mich in so einer verzweifelten Lage notgedrungen auch JEDEM anschließen, der mir aktiven Beistand gegen die Mörder meiner Nächsten und Liebsten leistet!

  • H
    Harald

    Wenn sich jener Imad al-Din Raschid gegen „jeglichen Extremismus“ ausspricht, so sollte auch ausgesprochen werden dürfen, daß Islamisten ein maßgeblich anderes semantisches Sprachverständnis haben, als beispielsweise Europäer.

     

    "Doch der UN-Sicherheitsrat ist im Syrien-Konflikt zutiefst zerstritten."

     

    Im syrischen Stellvertreterkrieg stehen der Iran, Rußland und China gegen die USA und Europa. Der 'Menschenrechtsrat' kann auch nicht helfen, denn dieser ist mit einem anderen Staat vollauf beschäftigt und ausgelastet.

     

    Unter dem gehijackten Label 'Opposition' ist die ursprüngliche, zivilgesellschaftliche Bewegung des ehemaligen Frühlings längst marginalisiert. Zudem wird es immer schwieriger, die Anteile der FSA zu identifizieren.

     

    Um sich bloß nicht mit der tragenden Rolle des Iranproxy Hezbollah beschäftigen zu müssen, wird diese einfach mal gar nicht erwähnt. Was schon gar nicht geht, ist über den Aufmarsch von Kaida und Global Jihad zu berichten. Immerhin wird die Terror-Soldateska der Al Nusra Front genannt.

  • D
    D.J.

    Nach dem Sieg von 1948 hat die israelische Regierung mit der jüdischen Terrororganisation Irgun aufgeräumt, was nicht ohne Opfer vonstatten ging. Aber so hatte die Demokratie in Israel eine Chance (selbst ein Terrorist und ehemaliger Irgunkämpfer wie Begin wurde zur Mäßigung gezwungen).

    Sicher, die Verhältnisse sind nicht 1:1 zu übertragen (die Irgun strebte keinen religiösen Staat an). Aber insofern: Ohne das Problem der in- und ausländischen Mörderbanden konsequent zu lösen, wird es keinen zivilisierten Staat in Syrien geben. Leider bin ich hinsichtlich des Wollens und der Fähigkeit dazu aber bei der syrischen Opposition überaus skeptisch.