Syrische Flüchtlinge vor der Abschiebung: Über Umwege zurück ins Krisengebiet
In München sitzen vier Syrer in Abschiebehaft. Sie sollen nach Ungarn abgeschoben werden. Doch dort gilt Syrien als "sicheres Herkunftsland".
Während die Welt mit wachsendem Entsetzen auf die Massaker an syrischen Aufständischen schaut, sitzen in München-Stadelheim vier SyrerInnen in Abschiebehaft. Die Flüchtlinge müssen fürchten, bald wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt zu werden.
Eigentlich sollten sie in Deutschland derzeit sicher sein. Denn seit Ende April gilt hier wegen der Gewalt des Assad-Regimes gegen die Opposition ein vorläufiges Abschiebemoratorium. Doch im Fall der vier Häftlinge greift das nicht: Sie kamen auf dem Landweg hierher, das Schengengebiet erreichten sie über Ungarn. Nach der europäischen Dublin-II-Richtlinie ist deshalb Ungarn für ihren Asylantrag zuständig. Und Ungarn schiebt weiter nach Syrien ab.
Zwei der Häftlinge haben angegeben, sich dem Kriegsdienst entzogen zu haben. "Den beiden Männern wurde im Spätsommer von den Dorfvorstehern mitgeteilt, dass ihre Einziehung zum Militär bevorsteht", sagt ihr Anwalt Dündar Kelloglu. "Daraufhin haben sie gemeinsam mit zwei Schwestern das Land verlassen." In Ungarn stellten sie dann einen Asylantrag. "Man hat ihnen dort aber signalisiert, dass der Antrag abgelehnt werden soll", sagt Kelloglu. "Sie bekamen Panik und flüchteten weiter nach Deutschland."
Ungarn schiebt nach Syrien ab
Doch hier sollen sie nicht bleiben dürfen. Am 2. Dezember verhafteten Bundespolizisten sie an der deutsch-österreichischen Grenze. Danach stellte das Bundesamt für Flüchtlinge an Ungarn einen Rücknahmeantrag.
Dort zeigt man offenkundig wenig Sensibilität für die Lage syrischer Dissidenten. Der taz liegt eine Stellungnahme der ungarischen Behörde für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (BAH) vom 13. September 2011 vor. Die blutige Aufstandsbekämpfung in Syrien war da bereits seit Monaten im Gang. Die BAH erklärt dennoch, dass man gegen eine damals geplante Abschiebung eines syrischen Mannes in seine Heimat keine Einwände habe.
"Syrien kann als sicheres Herkunftsland betrachtet werden", heißt es in dem Papier. Es sei "nicht zu erwarten", dass der Flüchtling dort "wegen Herkunft, Religion, Nationalität, gesellschaftlicher Zugehörigkeit oder wegen seiner politischen Meinung der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt ist". Auch drohten ihm "keine Todesstrafe, Folter, unmenschliche, erniedrigende Behandlung oder Bestrafung". Ob Ungarn an dieser Bewertung festhält, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage der taz ließ die BAH unbeantwortet.
Im Dezember lehnte das Verwaltungsgericht Dachau einen Antrag Kelloglus ab, die vier aus der Haft zu entlassen. "Deutschland muss den syrischen Flüchtlingen ermöglichen, ihr Asylverfahren hier durchzuführen", fordert Simone Fischer vom bayerischen Flüchtlingsrat. Dieses sogenannte Selbsteintrittsrecht steht gemäß der Dublin-II-Richtlinie jedem Land frei.
Alltägliche Misshandlung
Erst im Oktober hat das UN-Flüchtlingskommissariat die Dublin-Abschiebungen nach Ungarn kritisiert. Abgeschobene kämen dort in Haft, ihnen drohe die Rückführung in unsichere Drittstaaten, die Misshandlung von Asylbewerbern in Gefängnissen durch Polizeibeamte sei "alltäglich".
Das Bundesinnenministerium beeindruckt all dies nicht. Über 200 Anträge auf Rücknahme hat Deutschland im ersten Halbjahr 2011 an Ungarn gestellt. Auch jetzt hält Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an dieser Linie fest. "Wir sehen keine Veranlassung, von Überstellungen gemäß der Dublin-Verordnung nach Ungarn abzusehen", sagt ein Sprecher Friedrichs. Auch für Asylbewerber, "die Deserteure der syrischen Armee sind, gilt keine Ausnahme". Man gehe davon aus, dass Ungarn das Flüchtlingsrecht wahre. "Gegenteilige Erkenntnisse liegen uns nicht vor", so der Sprecher.
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