Syrien nach dem Sturz Assads: Hoffnungsvoller Durchbruch
Die jüngste Gewalt verunsicherte Syrien und die Welt. Das Abkommen mit den Kurden gibt Hoffnung, dass das Land doch vereint werden kann.

Mit dem Abkommen geben die Kurden ihre bisherige Rolle als eine eigenständige militärische und administrative Macht in Syrien auf. Die Einigung umfasst zentrale Punkte wie die politische Teilhabe aller Syrer unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit und die Anerkennung der kurdischen Gemeinschaft als Bevölkerungsgruppe mit vollen Staatsbürgerrechten.
Die islamistische Übergangsregierung soll damit die Kontrolle über zivile und militärische Einrichtungen im Nordosten des Landes erlangen, darunter Grenzübergänge zum Irak und zur Türkei, Flughäfen sowie Öl- und Gasfelder. Zudem wurde eine sichere Rückkehr aller Vertriebenen vereinbart.
„Dies ist ein großer, großer Erfolg für die Übergangsregierung, vor allem nach den schrecklichen Ereignissen der vergangenen Tage“, sagte Charles Lister vom Middle East Institute in Washington dem Wall Street Journal.
Militäroperation oder Massaker?
Zuvor hatte die Übergangsregierung nach einer Welle der Gewalt in den Küstengebieten im Westen die Lage dort nach eigener Darstellung wieder unter Kontrolle gebracht. Die „Militäroperation“ gegen Anhänger des gestürzten Langzeitherrschers Baschar al-Assad sei beendet worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Nach jüngsten Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kostete das Blutvergießen mehr als 1.500 Menschen das Leben, die meisten davon waren Zivilisten. Besonders die religiöse Minderheit der Alawiten, der auch Assad angehört, war den Aktivisten zufolge ins Visier geraten.
Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle berichtete von „Massakern“. Die Übergangsregierung sah hinter dem heftigen Gewaltausbruch einen Versuch der Assad-Loyalisten, das Land in einen neuen Bürgerkrieg zu stürzen.
Dass die neuen Machthaber just zu diesem Zeitpunkt eine Einigung mit dem von Kurden angeführten Militärbündnis SDF im Nordosten erzielten, könnte einen Wendepunkt für die Entwicklungen in dem arabischen Land darstellen.
Wendepunkt für Syrien?
„Für die internationale Gemeinschaft bedeutet eine potenzielle Lösung des Konflikts zwischen den SDF und Damaskus einen enormen Fortschritt für den Übergang in Syrien“, sagte Nahost-Experte Lister dem Wall Street Journal.
Der Nordosten Syriens wird bislang überwiegend von den SDF-Truppen kontrolliert, die während des langjährigen Bürgerkriegs mit Unterstützung der Vereinigten Staaten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat kämpften. Dort haben sich die SDF eine eigene Selbstverwaltung aufgebaut. Die Türkei betrachtet sie als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK), stuft sie als Terrororganisation ein und bekämpft sie.
Die kurdische Führung hatte in den vergangenen Wochen mit den neuen Machthabern in Damaskus über ihre Zukunft verhandelt. Das nun vereinbarte Abkommen dürfte – vorausgesetzt, es wird wie vereinbart umgesetzt – eine der wichtigsten Herausforderungen für die neue Regierung beseitigen. Beide Seiten betonten die Einheit des Landes und lehnen nach eigenen Angaben eine Teilung Syriens ab.
Israel greift erneut Ziele in Syrien an
Unterdessen griff Israels Luftwaffe in der Nacht erneut Ziele im Süden Syriens an. Kampfflugzeuge hätten in der Nacht Radaranlagen, Kommandozentren und Waffenlager attackiert, teilte die israelische Armee mit. Diese hätten eine Bedrohung für den Staat Israel und dessen Streitkräfte dargestellt und seien angegriffen worden, um „künftige Bedrohungen“ zu beseitigen.
Nach dem Sturz al-Assads im Dezember hatte Israel mit Hunderten Angriffen die militärischen Einrichtungen und Arsenale seiner Regierungstruppen großteils zerstört. Seither weitete die israelische Armee ihre Aktivitäten in dem Nachbarland aus. Syriens Übergangsregierung fordert den Rückzug Israels.
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