Syrien-Verbrechen vor deutschem Gericht: Anklage gegen mutmaßlichen Folterer
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mediziner vor, für das syrische Regime gefoltert zu haben. 2015 kam der Mann nach Deutschland, er arbeitete hier als Arzt.
Alaa M. war demnach zwischen April 2011 und Ende 2012 als Assistenzarzt in Militärkrankenhäusern der Städte Homs und Damaskus in Syrien tätig, außerdem in einem Gefängnis des Militärgeheimdienstes in Homs.
„Im Sommer 2011 übergoss Alaa M. in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses Nr. 608 in Homs die Genitalien eines 14 oder 15 Jahre alten Jungen mit Alkohol und entzündete die Stelle mit einem Feuerzeug. Auf dieselbe Weise misshandelte der Angeschuldigte im Juli oder August 2011 einen in die Notaufnahme des Militärkrankenhauses eingelieferten Mann“, so die Zusammenfassung der Anklage durch den Generalbundesanwalt. „Im Juli oder August 2012 trat Alaa M. im Militärkrankenhaus Nr. 608 in Homs einem Gefangenen mit Stiefeln auf dessen vereiterte Wunde am Ellenbogen, aus der daraufhin Blut und Eiter austraten.
Sodann begoss der Angeschuldigte die Wunde mit einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel und entzündete dieses. Anschließend trat der Angeschuldigte dem Gefangenen in das Gesicht (…) Wenige Tage danach schlug und trat Alaa M. auf mehrere in einer Zelle des Militärkrankenhauses Nr. 608 in Homs untergebrachte Gefangene ein. Weil sich ein Häftling durch Tritte wehrte, prügelte Alaa M. mit einem Schlagstock auf ihn ein und fixierte ihn sodann mit Hilfe eines Krankenpflegers am Boden. Kurze Zeit später verabreichte der Angeschuldigte dem Häftling eine Injektion mit einer tödlich wirkenden Substanz in den Oberarm, an der er innerhalb weniger Minuten verstarb.“
Alaa M. praktizierte als Arzt in Göttingen und Bad Wildungen
Alaa M. reiste Mitte 2015 nach Deutschland – nicht als Flüchtling, sondern mit einem von der deutschen Botschaft in Libanons Hauptstadt Beirut ausgestellten Arbeitsvisum, wie der Spiegel berichtete. Den Recherchen zufolge praktizierte der Arzt danach in Göttingen und Bad Wildungen und qualifizierte sich als Orthopäde. Am 19. Juni 2020 wurde er festgenommen, nachdem ehemalige Kollegen ihn in Deutschland belastet hatten. Er sitzt seit dem 20. Juni in Untersuchungshaft.
Einen Termin für die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Alaa M. wird es erst mit der Zulassung der Anklage geben, also nach Prüfung der Anklageschrift durch das Gericht. Möglicherweise wird der Prozess somit erst beginnen, wenn der erste deutsche Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher des Assad-Regimes, der seit April 2020 in Koblenz läuft, zu Ende gegangen ist. Anders als den beiden Koblenzer Angeklagten wird Alaa M. vorgeworfen, persönlich gefoltert zu haben.
In Koblenz wurde der Angeklagte Eyad A. im Februar wegen Beihilfe zu Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung in 30 Fällen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil gegen den Hauptangeklagten Anwar R., angeklagt wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexueller Nötigung, wird im Herbst erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden