piwik no script img

Syrien-Tagebuch Folge 11Zwischen Prüfung und Revolution

Jedes Jahr steht auf dem Blatt mit der Aufgabe die gleiche Frage. Doch wie antworten, wenn sich in Syrien viel geändert hat?

Diese Schule in Jarmuk wurde laut Aktivisten von Faßbomben des Regimes zerstört Bild: reuters

Diese Geschichte wurde von dem Studenten Osama verfasst. Seit 2014 steht „Adopt a Revolution“ in Kontakt mit AktivistInnen im Damaszener Vorort Douma, die Geschichten aus ihrem Alltag berichten.

Zögerlich lief ich den Gang zum Prüfungssaal hinunter und betrat gedankenverloren den Raum. Ich suchte meinen Namen, setzte mich auf den mir zugewiesenen Platz und wartete auf das Prüfungsblatt. Ich wusste bereits, was auf darauf stehen würde – es war jedes Jahr die gleiche Frage. Ich kannte sie aus der Grundschule, aus der Mittelschule und der Oberschule. Eine unheimliche Stille breitete sich um mich herum aus.

Ich schaute mich um: Viele blickten genauso schockiert wie ich auf das Blatt. Einige fingen ohne großes Überlegen an zu antworten. Ich aber musste an meine verletzte und trostlose Heimatstadt denken, die ich verlassen hatte. Ich träumte davon, wie früher durch ihre Straßen und Gassen zu spazieren. Was machte ich bloß hier? Dann fielen mir die Worte meines Vaters sein: „Mein Sohn, lass die Revolution erst mal gut sein und bewaffne dich lieber mit Wissen. Deine Zeit ist noch nicht gekommen!“ Er sagte auch: „Sei nicht traurig. Du wirst beim Wiederaufbau helfen, sobald das Regime gestürzt ist.“

Die Zeit verging und ich hatte immer noch kein einziges Wort geschrieben. Ich wurde nervös und auf einmal konnte ich antworten. Die Tinte mischte sich mit meinen Tränen. Ich schrieb und schrieb. In meinem Inneren hatte ich die Antwort offenbar längst ausformuliert.

In der Titelzeile des Papiers stand: „Das Ministerium für Hochschulbildung, Fakultät für Bauingenieurwesen, Nationalkunde“, und in der linken Ecke: „Name“. Schnell schrieb ich dort „Osama“ hin und legte das Blatt auf den Tisch, als die Aufseher unaufmerksam waren. Dann verließ ich umgehend den Saal. Ich hatte die Frage beantwortet. Sie lautete: „Berichten Sie über die Leistungen des Präsidenten, Dr. Baschar al-Assad.“

Übersetzung aus dem Arabischen: Adopt a Revolution

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Nun, er hätte auch eintragen können, "Assad hat und uns Frieden und Sicherheit beschert und bietet uns die Aussicht auf eine blendende Zukunft“.

     

    Es scheint doch, dass ihm niemand aus dem Ministerium dem würde widersprechen wollen.

     

    Oder gibt es da Risiken, die ich übersehen haben könnte?