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Synthetische Opioide auf dem VormarschPanik vor dem ganz schlechten Zeug

Der Verdacht auf Fentanyl in Partydrogen versetzt Berlins Clubszene in Unruhe. Aber das gefährliche Opioid scheint – noch – nicht angekommen zu sein.

Puderzucker, Koks oder was mit Fentanyl? Ganz genau kann das nur ein Labor beurteilen Foto: imago / Antony Robinson

Berlin taz | Berlins Clubszene ist in Aufruhr: In der vergangenen Woche kursierten Gerüchte, in Partydrogen sei das extrem starke Betäubungsmittel Fentanyl gefunden worden. Auf der Internetplattform Reddit schrieb ein Nutzer, er habe mit einem Fentanyl-Testkit die Mephedron-Abwandlung 3-MMC getestet und ein positives Ergebnis erhalten. Daraufhin habe er die Probe zu „Drugchecking Berlin“ gebracht. „Das ist kein Panikpost“, so der Reddit-Nutzer, „es geht um ­Awareness, bis das Ergebnis da ist.“ Trotzdem schlugt der Post hohe Wellen.

Wenig später griffen die Instagram-Accounts @know_drugs und @berlinclubmemes das Thema auf. Screenshots des Reddit-Posts und Stories anderer Nutzer wurden gepostet, allerdings warnten die AutorInnen auch vor minderwertigen Testkits: Selbst durchgeführte Tests von Stimulanzien wie MDMA oder Mephedron fielen häufiger falsch-positiv aus.

Lisa Jarzynski, die im Club RSO in Schöneweide das Aware­ness-Team leitet, war anfangs besorgt. Sie hätten sich Gedanken gemacht, wie betroffenen Menschen am besten geholfen werden könne, erzählt Jarzynski der taz. „Was, wenn dieses Wochenende schon etwas passiert? Wie müssen wir dann handeln? Was müssen wir wissen?“

50-mal stärker als Heroin

Das synthetische Opioid Fentanyl wird als Schmerzmittel etwa in der Anästhesie eingesetzt. Laut US-Gesundheitsministerium ist es bis zu 50-mal stärker als das natürliche Opioid Heroin. Das Risiko einer Überdosis durch Fentanyl ist sehr hoch, die Besorgnis in der Berliner Clubszene nachvollziehbar.

Am Montag, knapp eine Woche nachdem der besorgte Nutzer die Probe bei Drugchecking Berlin abgegeben hatte, kam das Testergebnis: Der Verdacht auf Fentanyl hatte sich nicht bestätigt (allerdings waren die als 3-MMC erworbenen Kristalle mit iso-3-CMC verunreinigt, einer Variante, über deren Wirkung es kaum Erkenntnisse gibt).

Das Projekt Drugchecking Berlin ging 2023 an den Start, finanziert wird es von der Gesundheitsverwaltung. Seine Aufgabe: die chemische Analyse der von NutzerInnen abgegebenen Substanzen und Aufklärung rund um Drogenkonsum. Im Labor der Berliner Rechtsmedizin untersucht es Pillen, Pulver und Kristalle auf Verunreinigungen. Werden andere als die er­warteten Substanzen gefunden, wird online davor gewarnt.

Tibor Harrach, pharmazeutischer Koordinator von Drugchecking Berlin, antwortet auf taz-Anfrage, die Sorge vor Fentanyl sei „verständlich, weil in Nordamerika und gelegentlich im europäischen Ausland und Deutschland Fentanyl-Verunreinigungen in Zubereitungen psychoaktiver Substanzen nachgewiesen werden“. Vor allem betreffe das aber Drogen, die als Heroin oder andere Opia­te verkauft würden, so Harrach. Er betont außerdem, seit Start des Programms in Berlin seien „noch nie synthetische Opioide wie Fentanyle oder Nitazene“ festgestellt worden.

Nicht nur Drugchecking Berlin gab am Montag Entwarnung, auch die 2016 gestartete Berliner Non-Profit-Organisation ­KnowDrugs verbreitete über ihre Kanäle das Testergebnis. Nutzer, die die App „KnowDrugs­“ auf ihrem Smartphone haben, bekamen eine Push-Benachrichtigung, dass kein Fentanyl gefunden wurde.

Lisa Jarzynski vom RSO rät dazu, das vom Land Berlin bereitgestellte Testangebot in Anspruch zu nehmen: „Benutzt auf jeden Fall Drugchecking, fangt mit kleinen Dosen an, konsumiert nie allein und schämt euch vor allem nicht für euren Konsum!“ Zusätzlich macht sie auf die Aufklärungsarbeit von „Sonar Berlin“ aufmerksam. „Die haben einige tolle Slogans wie zum Beispiel ‚start low, gow slow‘. Das sagt schon viel aus.“

Nordamerika kämpft

Derweil kämpfen die USA und Kanada schon seit über 20 Jahren mit einer heftigen Opioidkrise. In den letzten zwei Jahrzehnten starben dort knapp 600.000 Menschen an einer Überdosis, zum Ende dieses Jahrzehnts könnten es bis zu 1,2 Millionen Menschen sein, schreibt die medizinische Zeitschrift Lancet. Die meisten Todesfälle verursacht seit knapp 10 Jahren Fentanyl. Zwischen Juli 2021 und Juni 2022 starben im Schnitt jeden Tag knapp 300 Menschen in Nordamerika an einer Überdosis Fentanyl.

In den USA liege die Ursache für die Opioidkrise vor allem an den häufigen ärztlichen Verschreibungen pharmazeutischer Opioide wie Oxycodon oder Fentanyl, erklärt Tibor Harrach von Drugchecking Berlin. Dies habe „kriminellen Strukturen den Markt für hochpotente synthetische Opioide bereitet“.

In Europa zeichnet sich Vergleichbares bislang nicht ab. Aus dem Europäischen Drogenbericht 2023 geht hervor, dass alle EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2021 104 Todesfälle im Zusammenhang mit Fentanyl meldeten. In Deutschland wurde 2022 bei 73 der 1.990 Rauschgifttoten auch Fentanyl nachgewiesen. Der Bericht weist allerdings auf eine potenziell gefährliche Entwicklung hin: Die afghanischen Taliban haben 2022 den Anbau von Schlafmohn verboten. Da daraus Heroin gewonnen wird, könnte das Verbot bald zu weltweiter Heroin-Knappheit führen. Auch weil Fentanyl deutlich billiger ist, besteht die Sorge, dass versucht werden könnte, damit die Lücke zu stopfen.

Diesmal war es in Berlin noch ein falscher Alarm. Sollte die Unruhe in der Partyszene das Bewusstsein der Kon­su­men­t:in­nen geschärft haben – umso besser. Auch Lisa Jarzynski hat beobachtet, dass in den letzten zwei Wochen häufiger über Safer Use diskutiert wurde. Sie warnt aber, dass das auch schnell wieder in Vergessenheit geraten kann: „Ob das in der Praxis nachhaltige Folgen hat, liegt an den Menschen selbst.“

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1 Kommentar

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Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Club Szene die ohne Drogen nicht feiern kann.



    Lernt endlich auf den Tischen zu tanzen ohne euch wegzuballern.