: Symbol aus Sandstein
Jedes Jahr um Weihnachten kommen die Dresdner zur Frauenkirche und freuen sich über den Fortgang des Wiederaufbaus. Wie schon zur Bauzeit der Kirche im 18. Jahrhundert treiben auch jetzt wieder große Gefühle die Spender, Finanziers und Bauleute an ■ Aus Dresden Nick Reimer
Plötzlich war es still auf der Baustelle. Nur ein Posaunenchor war zu hören. Auf dem Neumarkt drängten sich die Menschen, trotzdem blieb es hier, rings um das riesige Baugerüst, ganz friedlich. Wie in jedem Jahr versammelten sich auch diesmal die Dresdner am 23. Dezember vor der Frauenkirche. Weit über 20.000 waren zum einst stolzesten Bauwerk ihrer Stadt gekommen. Selbst den Bomben vermochte die Kirche zu trotzen, vor nun bald 54 Jahren, als am 13. Februar 1945 Briten und Amerikaner die Innenstadt dem Erdboden gleichmachten. Der folgenden Feuersbrunst allerdings nicht: In dem Hitzesturm von bis zu tausend Grad bröckelte der Sandstein und löste sich scheibenweise ab. Am 15. Februar sackte das Gotteshaus schließlich in sich zusammen. Fortan blieb die Frauenkirche ein von Rosenhecken überwucherter Trauerberg – Dresdens schreiendes Mahnmahl gegen Krieg und Gewalt.
„Sicherlich“, sagt Eberhard Burger, „Sandsteinmörtel gibt's in jedem guten Baumarkt zu kaufen. Aber doch nicht in diesen Mengen!“ Gemeinsam mit seinen Fachleuten tüftelte der Baustellenleiter, bis sie die richtigen Rezeptur fanden. Das war vor fast sechs Jahren. Damals galt der Wiederaufbau der Frauenkirche noch als schöne Utopie. Inzwischen ist die Außenmauer auf 20,30 Meter angewachsen. Acht Pfeiler stehen im Kirchenschiff bereit, die Last der Innenkuppel auf sich zu nehmen. Es gibt in Deutschland kein anderes Bauprojekt, daß so viel Rückhalt in der Bevölkerung hat, kaum eines, daß so viel Symbolkraft besitzt. Es gibt kein anderes Vorhaben, das mit so viel Spendengeld unterstützt wird. Und sicherlich nur wenige, die derart deutlich machen, daß sich Zeiten zwar ändern, Probleme aber wiederholen.
Anfang des 18. Jahrhunderts wollte Dresdens erstarktes Bürgertum seinem protestantischen Glauben ein steinernes Symbol setzen. Sachsens Herrscher August der Starke war gerade – um König von Polen werden zu können – zu den Katholiken übergelaufen. Sollte er doch zusehen, der Katholik! Oder wenigstens „sehen“, wann immer er ans Fenster seines Dresdner Schlosses trat: Ein feste Burg ist unser Gott. Und unser Glaube, der protestantische.
Jahrelang zogen sich Planung und Genehmigungsverfahren hin. Baumeister George Bähr hatte mit einer Kantenlänge von 42 Metern einen relativ kleinen, quadratischen Grundriß gewählt, um eine turmartige Gesamterscheinung zu erzeugen. Die Haube der Frauenkirche sollte am Ende 95 Meter hoch über der Stadt thronen.
Ein solch monumentaler Bau entsprach – trotz der Glaubensdifferenzen – durchaus dem höfischen Interesse: August der Starke wollte das provinzielle Dresden zur Residenz mit europäischen Glanz umbauen. Deshalb bat er schließlich den Baumeister zur Audienz und machte sich bei der höfischen Bürokratie für dessen Vorhaben stark. 1727 konnte mit dem Bau begonnen werden. 16 Jahre später prägte eine Kirche das Stadtbild, deren Monumentalität nicht schwer, sondern geradezu zierlich wirkte.
Auch heute sucht das wieder erstarkende Bürgertum nach baulichem Kontrast zur billigen Beliebigkeit, die sich überall in „Elbflorenz“ breit macht. Bedrohlich schieben sich Riegel schmuckloser Konsumtempel dem barocken Stadtkern – oder was von diesem übrigblieb – entgegen. Westlich zwängt sich ein gläserner Bürokoloß in die Silhouette zwischen Zwinger und Taschenbergpalais. Im Süden pflasterten Karstadt, C&A und Co. mit kalten Allerweltsbetonklötzen die Prager Straße und den freien Raum am Altmarkt zu. Die neue Innenstadt besteht aus schmucklosen Fassaden, hinter denen sich Berge von schmucklosen Waren türmen. „Dresden hat überhaupt kein städtebauliches Konzept“, meint Burger. Der Volksmund behauptet, daß ein Bauherr noch den gräßlichsten Betonklotz genehmigt bekomme, wenn er nur die Fassade mit Sandstein verkleide. „Eine arme Architektur macht sich da breit“, sagt Burger. Dagegen wollen er und sein Team ankämpfen.
Vor über sechs Jahren begannen die Bauleute damit, den Trümmerberg von etwa 20.000 Kubikmetern beiseite zu räumen. Die meisten der verwitterten Steine werden wieder eingebaut. Der Computer bestimmte ihren ursprünglichen Platz. Allein in der Außenmauer sind bislang 1.800 Quader der alten Kirche eingemauert. Archäologischen Wiederaufbau nennt man das. „Am Ende wird die neue Frauenkirche zu 40 Prozent aus der alten bestehen“, sagt Burger. Die anderen 60 Prozent kommen aus den Sandsteinbrüchen der sächsischen Schweiz.
Alle Jahre wieder ist die weihnachtliche Andacht an der Frauenkirche auch eine Bilanz der Steine. Vor zwei Jahren konnte erstmals ein Gottesdienst in der wiederhergestellten Unterkirche gehalten werden. Diesmal können Steinmetze, Architekten und Maurer vermelden, neun Monate Bauvorsprung gegenüber dem Plan geschafft zu haben. Geht das so weiter, wird der größte Sandsteinbau zwei Jahre früher fertig, als geplant. Das wäre 2004.
Wann immer Baudirektor Burger eine Interessentenschar über den Bauplatz führt, gibt er seine zurückhaltende Art auf. Dann wird der Mittfünfziger schwärmerisch und erklärt mit Begeisterung die extra entwickelte Dachkonstruktion, die, wenn nötig, um 10,50 Meter hydraulisch angehoben werden kann. Das spart Zeit und Geld, und die Maurer können auch bei Minusgraden arbeiten. Das mit Planen verspannte Gerüst ist wie ein Zelt – und damit beheizbar. Burger zeigt die modernen Stahlverstrebung, die in der alten Frauenkirche noch aus Holz und damit anfällig war. Und er erklärt die Bährsche Vision, die sich in ihn eingepflanzt zu haben scheint.
„Mir bereitet nicht so sehr die technische wie die finanzielle Seite des Baus Kopfzerbrechen“, sagt der Baudirektor. Das war bei seinem barocken Vorgänger nicht anders. Als George Bähr 1727 mit den Arbeiten begann, wurden die Kosten auf etwa 86.000 Taler veranschlagt. Obwohl Bähr statt teurer Fachleute viele ungelernte Tagelöhner aus dem Erzgebirge beschäftigte – fünf Jahre später war das Geld alle. Da setzte Bähr sein gesamtes Vermögen ein. 1738 starb der Baumeister völlig verarmt. Seine Kirche wurde erst 1743 fertig – und hatte über 285.000 Taler verschlungen.
Die neue Frauenkirche wird mehr als 285 Millionen Mark kosten. Kritikern, die das Projekt als „Wahnsinn“ bezeichnen, hält Burger entgegen, daß zehn Kilometer Autobahn genauso teuer sind. Und: „Wir wollen die Mittel überwiegend durch Spenden beschaffen.“ Es gibt eine GmbH, die Frauenkirchen-Uhren, CDs oder Literatur vertreibt. Der Förderverein organisiert Benefizkonzerte und verkauft Stifterbriefe. Es gibt Initiativen, die Geld für den Neubau der Silbermann-Orgel beschaffen. Und in fast allen größeren deutschen Städten mühen sich Unterstützer. So übergab der Förderkreis aus Osnabrück gerade die vierte Rate über 100.000 Mark. Die Osnabrücker wollen den 500.000 Mark teuren Stützpfeiler C komplett finanzieren.
Und nicht nur in Deutschland wird gesammelt. In den USA trugen die „Friends of Dresden“ bislang zwei Millionen Mark zusammen, der englische „Dresden Trust“ knapp eine Million. Kürzlich stellte die Queen das wiederhergestellte Kreuz vor, das die Kuppel zieren wird. Die nach Originalplänen gefertigte Spitze tourt bis zum Jahr 2000 für weitere Spenden durch Großbritannien.
Die Engländer sprechen von Wiedergutmachung, was Burger nicht mag. Natürlich sei es schon ein schönes Symbol, wenn sich der Sohn eines Bomberpiloten heute für den Wiederaufbau engagiere. „Wiedergutmachtung bedeutet doch aber, daß eine Schuld vorliegt“, sagt der Baudirektor. „Und wir Deutschen sind an Dresdens Zerstörung genauso schuld, wie Engländer oder Amerikaner.“ Nicht wenige der alten Dresdner verstehen solche Worte nicht. Manche empfanden sie gar als Zumutung und traten aus dem Förderverein aus. Burger bedauert das. Denn der Wiederaufbau stehe ja auch für Friedenswillen und Versöhnung.
Derzeit vermauern die Arbeiter anderthalb Millionen Mark pro Monat. „Unsere Mittel reichen noch bis Mitte 2000“, sagt Burger. Um der Kirche danach die krönende Kuppel aufzusetzen zu können, fehlen mindestens noch 85 Millionen Mark. Burger zählt sein Lebenswerk nach Metern und Jahresplänen. Nicht ohne seine Handwerker zu loben: „Ich staune immer wieder, was die hier erschaffen.“ Mit zunehmendem Baufortschritt wächst darüberhinaus bei Steinmetz, Architekt oder Baudirektor die Achtung vor dem Meister von einst.
Gemeinsam bauen alle an einer Idee. „Ich glaube“, sagt Burger, „daß die Menschen wieder eine Sehnsucht nach der wärmeren, persönlichen Architektur haben.“ In Burgers Team hegen viele die Hoffnung, daß diese Sehnsucht gestillt werde. Steht die Frauenkirche erst wieder, werden die alten Bürgerhäuser um den Neumarkt folgen. Zwölf sogenannte Leitbauten sind geplant. Sie prägten einst das Gesicht des Marktes. Wunderbarerweise blieben von deren Fassaden etliche Originalteile erhalten. Im kommenden Jahr soll der Wiederaufbau des Kurländer Palais beginnen. Am Cosel-Palais wird schon gearbeitet. Wollen sich hier Nostalgiker ihr altes Dresden wieder aufbauen?
„Nein, nein“, sagt Architekt Christoph Frenzel, darum gehe es nicht. „Als wir mit der Frauenkirche anfingen, war es schwer, den eigenen Weg zu finden.“ Die Kritiker hätten damals entweder die Ruine als Mahnmahl konservieren wollen oder aber jede Abweichung vom Bährschen Original verteufelt. „Wir haben heute aber nun mal andere Bedürfnisse. Die alte Substanz muß dem angepaßt werden“, sagt Frenzel. So wird die Unterkirche heute von moderner Beleuchtung ausgestrahlt. „Schließlich“, so Frenzel, „soll wieder Leben in der Frauenkirche einziehen. Trafostation, Brandmeldezentrale, Heizsysteme oder Gemeinderäume – ein ganzes Kellersystem ist rings um die Grundmauern unterirdisch in Beton gegossen. Auch im Kirchenbau gibt es leichte Abweichungen zu damals.
Mit den Häusern rings um die Kirche wird das ähnlich sein: Hinter den an die historischen Vorbilder angelehnten Fassaden werden sich Büros, Hotels oder Wohnungen befinden. Wichtig ist Burger und Frenzel, daß der Spiritus loci von einst wiederentsteht. Der Architekt: „Wer an einer Kirche baut, baut nicht nur an einem Gebäude sondern an einer Idee.“
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