Sylt-Investor und ein Gasthof: Hier wird Geschichte planiert

Auf Sylt ist ein 370 Jahre alter Gasthof abgerissen worden, ohne Genehmigung, unter den Augen des Bürgermeisters. Die Insulaner sind sauer.

Der Alte Gasthof in List auf Sylt mit Reetdach

200 Jahre durchgehend zur Bewirtung genutzt: der abgerissene Alte Gasthof in Lists auf Sylt Foto: Carsten Rehder/dpa

HAMBURG taz | Das muss eine merkwürdige Szene gewesen sein: Am Vormittag des 30. Dezembers rumpelt ein Bagger in die Alte Dorfstraße von List auf Sylt und beginnt, ein großes Reetdachensemble abzureißen. Der Bürgermeister steht dabei, ringt bildlich gesprochen die Hände, kommt aber nicht auf die Idee, die Polizei zu rufen. Dabei galt das Gebäude als schutzwürdig und eine Abrissgenehmigung lag auch nicht vor.

Das Gebäude, das da für einen Investor, der das Gelände nun versilbern will, den Baggerzähnen zum Opfer gefallen ist, war 370 Jahre alt und wurde 200 Jahre lang ununterbrochen als Gasthof genutzt – daher der Name „Alter Gasthof“. Viele Sylter verbinden Erinnerungen mit ihm und sind entsprechend entsetzt über das rüde Vorgehen.

Katrin Thies von der Bürgerinitiative Merret reicht’s spricht von einem Schock. Das Gebäude sei eigentlich dadurch gesichert gewesen, dass es einer Erhaltungssatzung unterlag. „Dass sich jemand darüber hinweg setzt, ist aus Planungssicht unvorstellbar“, sagt sie.

Gemeinde unter Schock

Der Abriss hat vergangenes Wochenende 500 Sylter in die Alte Dorfstraße zu einer Kundgebung getrieben. Für Sylter Verhältnisse sei das sensationell, sagt Birte Wieda von Merret reicht’s. „Wir sind sehr froh, weil sich über die vergangenen Jahre ein großes Ohnmachtsgefühl auf Sylt eingestellt hat.“ Die Mahnwache sei eine Chance, wieder Kraft zu schöpfen.

Dass die Sylter so angefasst sind, hat nicht allein mit dem eklatanten Rechtsbruch zu tun, sondern auch damit, dass der Verwertungsdruck auf der Insel so hoch ist. Unter der Ägide des heutigen Lister Bürgermeisters Ronald Benck habe sich viel getan, sagt Thies mit einem ironischen Unterton: „Man hat sich bemüht, das Dorf größer werden zu lassen.“ Zu den Projekten gehört der Dünenpark – mit 18 Hektar das nach Angaben des Bauherrn bisher größte Bauvorhaben auf der Insel. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne sollen 300 Wohnungen für Einheimische und 87 Ferienwohnungen errichtet werden. Weitere 30 Dauer- und 54 Ferienwohnungen sollen in den Dünen neben dem Hafen entstehen.

Er könne sich den Bau eines Doppelhauses auf dem Grundstück des Alten Gasthofes vorstellen, sagte Bürgermeister Benck dem Hamburger Abendblatt. Möglich sei laut dem Bebauungsplan vom März 2022 eine Dauerwohnung mit möglicher Ferienwohnung. Eine Nutzung als Zweitwohnsitz sei ausgeschlossen. Benck war für die taz nicht zu erreichen.

Einfach nur zugesehen

Warum er dem Baggerführer zusah, wie er den Hof abriss, ist sein Geheimnis. „Die 110 kann jeder anrufen“, sagt Sven Lappoehn vom Kultur- und Heimatverein Söl’ring Foriining. „Wir hätten vermutlich erst mal Kontakt mit dem Baggerfahrer aufgenommen“, sagt Sandra Otte von der Polizeidirektion Flensburg.

Hätte der keine Abrissgenehmigung vorweisen und sich auch kein Kontakt zur Baubehörde herstellen lassen, hätten die Beamten den Abriss wohl vorläufig unterbunden. Der Landkreis Nordfriesland weist darauf hin, „die Gemeinde hätte die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde unterrichten können, um ein Einstellen der Arbeiten anordnen zu lassen“.

Margot Böhm, Gemeinderätin der Grünen, zieht das Fazit: „Wenn wir nicht aufhören, solche Bebauungspläne zu machen, wüsste ich nicht, warum das nicht Schule machen sollte.“ 30.000 Euro Ordnungsgeld dürften angesichts der Immobilienpreise auf Sylt jedenfalls nicht reichen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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