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Superstar ohne Gesicht

Italiens Showgröße Nummer eins kehrt ins Rampenlicht zurück – per Internet

von REINHARD KRAUSE

Mina zeigt ihr Gesicht! In Deutschland dürfte die Meldung eher Ratlosigkeit bewirken. Welche Mina? Und warum sollte sie nicht ihr Gesicht zeigen? In Italien jedoch schlägt der kurze Satz wie eine Bombe ein. Eine Sensation! Denn Mina ist nicht nur ein italienischer Showstar, eine Sängerin wie viele andere. Mina ist ein nationaler Fixstern. Jedes Kind in Italien kennt ihren Namen und ihre Lieder – und doch weiß auch jenseits der Alpen kaum ein Mensch, wie diese Mina denn nun wirklich aussieht. Mina ist ein Phantom. Ihr Mythos resultiert aus dem Umstand, dass sie sich seit 23 Jahren kategorisch den Blicken der Öffentlichkeit verweigert hat.

Auch in Deutschland hatte die Sängerin einmal einen Hit, einen Superhit gar: „Heißer Sand“ überzeugte 1962 eine halbe Million Plattenkäufer – Minas glutvolle Interpretation betörte die Zuhörer derart, dass die den überaus kryptischen Text gleich wieder vergaßen. Im Refrain raunte es: „Heißer Sand und ein verlorenes Land und ein Leben in Gefahr“, der Rest des Textes verschwamm in dunklen Andeutungen über ein Eifersuchtsdelikt zwischen zwei Herren namens Rocko und Schwarzer Tino.

Achtzehnjährig hatte Mina Anna Mazzini, wie die Sängerin bürgerlich heißt, ihren ersten Auftritt. Mit flotten und stilvollen Twistnummern feierte sie erste Erfolge, in den Sechzigerjahren reihte sie in Italien Hit an Hit und wechselte dabei die Musikstile ebenso souverän wie ihre Haarfarben und ihre exzentrischen Outfits. Ihr zwanzigstes Bühenjubiläum wurde zum Wendepunkt von Minas Karriere. Sie gab ein Jubiläumskonzert und wurde für die Öffentlichkeit unsichtbar: keine Auftritte, keine Pressefotos. Unverhofft konnte man ihr in entlegenen Bergdörfern des Tessin beim Einkaufen begegnen, wohin sie sich zurückzogen hatte. Seltene Paparazzifotos zeigten die einstige Bohnenstange als ausgesprochene Matrone; von einem Stoffwechselleiden war die Rede. Nach ein paar Jahren wich die Neugier ihrer alten Fans nachgerade einem Mina-Kult. Denn keineswegs war mit dem Verschwinden der Sängerin auch deren Karriere beendet. Kaum eine Kollegin dürfte so unerschütterlich Doppelalbum auf Doppelalbum mit neuem Material veröffentlicht haben wie Mina. Auf den Covern: Mina als Athlet, Mina als bärtiger Prophet, Mina als Butterkeks. Alles in vollendeter Collagetechnik.

Doch nun soll mit der kunstvollen Gesichtslosigkeit Schluss sein: Am 30. März will sich die inzwischen Sechzigjährige unter www.inwind.it eine Stunde lang live präsentieren.

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