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Suizidprävention für HäftlingeZelle mit Fußbodenheizung

In der JVA Moabit wurde der erste Suizidpräventionsraum eröffnet. Berlin folgte damit dem Beispiel von Leipzig.

Sieht nicht wie ein Haftraum aus: Suizidpräventionsraum in der JVA Moabit Foto: dpa

Aus Berlin

Plutonia Plarre

Inhaftierte unterliegen einem deutlich höheren Suizidrisiko als Menschen in Freiheit. Nun gibt es in der Justizvollzugsanstalt Moabit erstmals einen Suizidpräventionsraum. Berlin sei damit dem Vorbild von Leipzig gefolgt, hieß es am Donnerstag, als der Raum der Öffentlichkeit im Beisein von Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) vorgestellt wurde.

Der 18 Quadratmeter große Raum hat die Ausmaße von zwei Gefängniszellen. Die Trennwand wurde herausgerissen, ein separater Sanitärbereich eingebaut. Die Wände sind hellblau gestrichen, die Möbel haben abgerundete Ecken. Unter dem Holzbelag verbirgt sich eine Fußbodenheizung, ein in die Wand integrierter Bildschirm ermöglicht Zugang zu einfachen Spielen und beruhigender Musik.

Die Fenster lassen sich einen Spalt breit öffnen, ohne an das dahinterliegende Gitter zu kommen, es gibt weder Riegel noch Griffe. Die gesamte Ausstattung des kameraüberwachten Raumes ist darauf angelegt, sich selbst keinen Schaden zufügen zu können.

Kameraüberwachter Raum

Bislang werden Inhaftierte, die als suizidgefährdet gelten, zumeist in besonders gesicherten Zellen mit Kameraüberwachung untergebracht. Diese Zellen sind aber „wenig wohnlich“, wie es der Leiter der Abteilung Strafvollzug in der Justizverwaltung, Christian Richard, am Donnerstag formulierte. Es handelt sich um die gleichen Zellen, in die auch als gefährlich eingestufte Gefangene zur Disziplinierung gesperrt werden. Das Mobiliar ist karg und unverrückbar, Sanitäranlagen aus Edelstahl und die Wände teilweise gekachelt. Weil eine Verlegung in diese Räume befürchtet werde, würden Suizidgedanken mitunter nicht offenbart, sagte Richard.

Bundesweit haben sich nach Angaben des Abteilungsleiters in der Zeit von 2000 bis 2024 im Durchschnitt 74 Gefangene pro Jahr das Leben genommen. In Berlin waren es 2024 und 2025 jeweils fünf. Jeweils zwei Suizide geschahen in der JVA Moabit.

In den Berliner Haftanstalten sitzen rund 3.500 Menschen ein. Ein einziger Suizidpräventionsraum wirkt da wie Tropfen auf den heißen Stein. Justizsenatorin Badenberg kündigte bei der Pressekonferenz zwar an, dass der Suizidpräventionsraum „keine singuläre Erscheinung“ bleiben werde, vermochte das auf Nachfrage aber nicht mit Angaben auf zur Verfügung stehende Haushaltsmittel zu unterfüttern. Ohne Mobiliar hat der Raum in der JVA Moabit 340.000 Euro gekostet.

An der Suizidprävention in den Gefängnissen wird laut Justizverwaltung seit Jahren kontinuierlich gearbeitet. Mit einem Screening bei Haftbeginn werde untersucht, ob Anzeichen für eine erhöhte Gefahr bestehen. Mit einem fortlaufenden Monitoring werde versucht, das Risiko zu minimieren. Sei ein Häftling bei bestimmten Risikofaktoren auffällig, werde der ärztliche oder psychologische Dienst hinzugezogen.

Zur Wahrheit gehört aber auch das: „Wenn die betreffende Person es partout verbirgt, wird es keiner merken.“ Der Psychotherapeut Jens Gräbener sagte das 2019 bei einer Expertenanhörung im Abgeordnetenhaus zum Thema Suizidprävention. Die Psychotherapeutin Maja Meischner-Al-Mousawi, seinerzeit in der JVA Leipzig für Suizidgefährdete zuständig, bezeichnete die sogenannten „weichen Kriterien“ für die Suizidprävention als sehr wichtig: ein gutes Anstaltsklima etwa, in dem sich die Insassen trauten, über seelische Nöte zu sprechen.

Zudem hatte die Anhörung gezeigt, dass die Suizidrate in den Berliner Gefängnissen zu dieser Zeit etwas höher war als im Bundesdurchschnitt. Und dass es in Berlin selbst Unterschiede gab. Mit 55 Suiziden zwischen 2000 bis 2018 war die JVA Moabit mit ihrer Untersuchungshaftanstalt für Männer mit Abstand am häufigsten betroffen gewesen.

Aktuell befinden sich in der JVA Moabit 840 Insassen, davon sind 761 Untersuchungshäftlinge. Nach Angaben der Leiterin Anke Stein hat die Anstalt einen jährlichen Durchlauf von 4.000 Gefangenen. Experten hatten in der Vergangenheit berichtet, dass die meisten Suizide in den ersten Haftwochen passieren, Stichwort Haftschock. „Das ist nicht mehr so“, sagte Stein, „dem können wir begegnen.“ Bislang habe man aber keine geeigneten Räume gehabt.

Haben Sie suizidale Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die nächste psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf an unter 112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter taz.de/suizidgedanken.

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