Suizidassistenz: Gemeinsam gehen nach langer Ehe
Der Anteil der begleiteten Doppelsuizide nimmt zu. Die Zahl der Suizidassistenzen steigt aber nicht bei allen Organisationen.
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Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) erzählt von dem Beispiel der beiden sterbewilligen Eheleute, das ihn „sehr berührt“ habe. In dem Fall sei keiner der beiden Partner:innen todkrank gewesen, so Roßbruch. Die beiden erklärten vielmehr, sie hätten ein schönes gemeinsames Leben gehabt und nun sei es genug. Den Tod des anderen erleben zu müssen und die zunehmenden Einschränkungen, das wollte keiner der beiden, die lange schon Mitglieder der DGHS waren. Die Familie der beiden, so Roßbruch, toleriere die Entscheidung.
„Lebensattheit“ heißt das Motiv, das in einem solchen Fall bei den Suizidhelfer:innen in der Statistik erscheint. 22 Prozent der begleiteten Selbsttötungen erfolgten deshalb, erst danach folgen Krebserkrankungen oder neurologische Erkrankungen in der Statistik. Häufiger noch, nämlich zu 28 Prozent, wird die „Multimorbidität“, also eine Vielzahl von Krankheiten auf einmal, als Motiv angegeben. Es sind Fälle, in denen Menschen zum Beispiel die Wohnung nicht mehr verlassen können, wenn Schmerzen dazukommen, schilderte Roßbruch. Viele der Sterbewilligen wollten zudem nicht zum Pflegefall werden. Das Durchschnittsalter der Suizidwilligen liege bei 79 Jahren.
In 623 Fällen vermittelte 2024 die DGHS die von ihr sogenannten „Freitodbegleitungen“. Ein Jahr zuvor lag die Zahl der Fälle noch bei 418. In 38 Fällen handelte es sich um sogenannte „Doppelbegleitungen“, so Roßbruch. Dabei wird Ehepaaren beim gemeinsamen Suizid assistiert. Die Zahl der Doppelbegleitungen habe sich im Vergleich zum Jahr davor verdreifacht, so der DGHS-Präsident. Er führte dies darauf zurück, dass das Alter der DGHS-Mitglieder steige und sich hochaltrige Ehepaare dann entschieden, gemeinsam aus dem Leben zu gehen.
Bevölkerung schlecht informiert
Die Zahl der Suizidassistenzen werde in diesem Jahr aber tendenziell eher stagnieren, sagte Roßbruch. Dies schließe er aus den Anträgen im Januar. In den anderen beiden Sterbehilfeorganisationen, Dignitas und dem Verein Sterbehilfe, ist die Zahl der Fälle im Jahr 2024 bereits leicht zurückgegangen. Der Verein Sterbehilfe leistete 2024 in 171 Fällen Suizidhilfe, 2023 waren es 196 Fälle. Dignitas verzeichnete 183 Fälle 2024. Eine Erklärung für den Rückgang konnte der Verein Sterbehilfe auf Anfrage der taz nicht geben.
Roßbruch beklagte am Dienstag, dass die Bevölkerung über die Möglichkeit der Suizidassistenz zu wenig informiert sei. Eine von seinem Verein beim Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragte Umfrage ergab, dass 83 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass es verboten ist, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Dies ist aber nicht der Fall. Befragt wurden dazu im Oktober rund 1.200 Volljährige per Telefon.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, dafür die Hilfe dritter, auch professioneller Kräfte, in Anspruch zu nehmen. Die „Freiverantwortlichkeit“ der Sterbewilligen müsse gesichert sein. Die genaue Motivlage der Suizidwilligen dürfe aber keine Rolle spielen, urteilte das Gericht.
Kirchliche Heime weigern sich
Voraussetzung der Suizidhilfe durch die DGHS ist in der Regel eine mindestens halbjährige Mitgliedschaft. Nach einem Antrag auf Suizidhilfe erfolgt eine Begutachtung durch einen Juristen und einen Arzt. Liegt in der Vorgeschichte eine psychische Erkrankung vor, muss ein Psychiater die Freiverantwortlichkeit attestieren. Die Kosten für die Assistenz belaufen sich auf rund 4.000 Euro.
Roßbruch bemängelte, dass sich viele Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft weigerten, Suizidhilfe in ihrer Einrichtung zuzulassen. Die DGHS bereite gerade eine Klage gegen ein katholisches Heim vor, das den Suizidbegleitern einen Zutritt verwehrte.
Der Präsident der DGHS betonte, es bräuchte keine weiteren rechtlichen Regelungen für die Suizidassistenz. Der Bundestag beriet in der Vergangenheit allerdings über mehrere Gesetzentwürfe, die eine Beratung oder Begutachtung vor der Hilfe zur Selbsttötung vorsahen und dies rechtlich festschreiben wollten. Keiner dieser Entwürfe fand jedoch eine Mehrheit.
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