„Süddeutsche“ zu Anne Will: Journalistische Promikomplexe
Relevanz, Distanz und Qualitätskriterien? Egal, bei Journalistinnen-Pärchen juckt es den Redaktionen einfach zu sehr in den Fingern.
Dass die Journalistinnen Anne Will und Miriam Meckel verheiratet sind, diese Information ist nicht gerade von großem öffentlichen Interesse. Dass sie sich getrennt haben eigentlich auch nicht, trotzdem konnten sich einige Redaktionen dann doch nicht verkneifen, zu berichten.
Talkerin Will und Meckel, die Ex-Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, heute Verlegerin des Magazins Ada, haben Montag kurz und knapp ihre Trennung gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bekanntgegeben. Wohl um anderen Quellen zuvorzukommen und nicht, weil sie unbedingt möchten, dass berichtet wird. Dafür spricht das mitgelieferte Statement: „Weiteres werden wir hierzu nicht erklären und bitten, unsere Privatsphäre zu achten.“ Die dpa versendete pflichtschuldig eine Meldung im Ressort „Leute“ – Übersetzung: Eigentlich egal, aber irgendwie zu interessant zum liegenlassen –, die viele Medien übernahmen.
Man kann sich aber denken, dass es hie und da juckte in den Fingern der Newsrooms, doch noch eine richtige Trennungsstory zu bringen. Erlegen ist diesem Verlangen (neben den Boulevardblättern) die Süddeutsche, die am Dienstag dann doch noch zum „Ehe-Aus“ publizierte.
Dazu muss man wissen, dass Journalist*innen dazu neigen, andere Journalist*innen für Promis zu halten, auch wenn sie es gar nicht sind. Klar, Anne Will sehen am Sonntagabend mehrere Millionen in der Glotze, da kann man drüber reden. Aber eine Chefredakteurin-Verlegerin ist außerhalb der Branche kein Promi, so verdienstvoll ihre Arbeit ist. Und ja, die Coming-outs der beiden 2007 erschienen in mehreren Illustrierten. Aber bleiben wir auf dem Boden: Die Will-Meckels sind nicht gerade die Kardashian-Wests.
Trotzdem lässt sich die Süddeutsche zum Starschnitt hinreißen, schreibt über die Haarfarben und die „oft konträren, aber dann auch wieder sehr gut zusammenpassenden Outfits“ der beiden – und fragt sich, so zum Thema „Perfekte Paare“: „Was ging eigentlich ab, wenn mal die Haustür und die Gardinen zugezogen waren?“ Und schließt dann damit, dass man eben nichts weiß, weil die beiden ihre Privatsphäre gut zu hüten wissen. Auf dem Weg zu dieser Nichtinformation hat die Qualitätszeitung aus München aber wenigstens mal ordentlich geraunt. Unbefriedigend.
Der Boulevard hätte wenigstens den Anstand besessen, etwas Hanebüchenes zu erfinden.
In einer früheren Version dieses Artikels schrieben wir, das Magazin „Ada“ von Miriam Meckel sei sozialistisch. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt, bzw. gab zwei „Adas“. Das sozialistische finden Sie demnächst unter www.jacobin.de. wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe