piwik no script img

Suchmaschine schafft Tod abHat da jemand Hybris gesagt?

Google steigt in den Gesundheitsmarkt ein. Die Tochter Calico soll das Altern aufhalten, das Leid mildern, das Leben verlängern. Toll, oder?

Typisch Internet: Die Google-Bildersuche nach „Calico“ ergibt bis jetzt vor allem Treffer von gescheckten Katzen. Bild: dpa

Teenager neigen zur Selbstüberschätzung. Es erinnert an die Suche der Alchemisten nach dem Stein der Weisen, was CEO Larry Page kurz vor Googles 15. Geburtstag ankündigte: Die Gründung von Calico („California Life Company“) markiert den Wiedereinstieg in den Gesundheitsmarkt. Nach dem Ende von Google Health, einer Plattform zur Verwaltung medizinischer Daten, ist der nächste Wurf des kalifornischen Unternehmens ungleich größer.

Die Tocherfirma Calico wird sich der Erforschung von Alterungsprozessen und deren Verhinderung widmen. Eine Website oder konkrete Informationen über die geplanten Forschungsgebiete gibt es noch nicht – aber eine Titelgeschichte im Time Magazine, deren Tenor nun vielfach reproduziert wird: „Das Leben verlängern? Den Tod aufhalten? Klingt verrückt – wäre es nicht Google.“

Der servile Gehorsam gegenüber Googles Auftreten mag sich aus dem Umstand speisen, dass das Unternehmen langsam aber stetig in all unsere Lebensbereiche eindringt und dabei meistens innovativ und erfolgreich abschneidet. Aus dem Anbieter einer Web-Suchfunktion ist ein horizontal integriertes Wirtschaftunternehmen geworden.

Aktuell umfassen Googles operative Geschäfte: Das Kerngeschäft Online-Werbung, Mobile Betriebssysteme, eine Social Media-Plattform, einen Landkartendienst, die größte Videoplattform der Welt, Notebooks, Google Docs – ein Konkurrenzprodukt zu Microsoft Office, Browser und Email Provider.

Selbststeuernde Fahrzeuge mit Google-Equipment warten auf ihre Marktreife, die berühmte Brille mit Internetanschluss wird uns ab 2014 auf der Straße begegnen. Ob Internet-Providing mit Glasfaserkabel, Windkraft oder Breitband-Internet per Ballon: Googles Aktivitäten scheinen keine Grenzen gesetzt. In Le Monde Diplomatique stellte Robert Darnton am Beispiel von Google Books als größter Bibliothek der Welt heraus, wie Google Profite erzielt, ohne selbst im Besitz der gehandelten Güter zu sein.

Journalist Jeff Jarvis schrieb 2009 in seinem Buch „What would Google do?“, dass die breite Aufstellung am Markt keinesfalls unlogisch sei: Dem Selbstverständnis des Unternehmens nach ist Google nämlich kein Internetkonzern, sondern als Informations- und Organisations-Dienstleister tätig. Ihm zufolge wäre es also falsch, von einer unnachvollziehbar um sich greifend wachsenden Suchmaschine zu sprechen – denn bis jetzt ist jedes neue Geschäftsfeld unter Lebensorganisation und Informationsbeschaffung summierbar.

Traumkarriere: Pharmaforschender Google CEO im Apple-Aufsichtsrat

Art Levinson, einer der bekanntesten Biotechnologie-Manager, wird CEO bei Calico. Pharmafirmen, Biotechnologie-Unternehmen und führende IT-Konzerne schmücken seine Vita. Sein gegenwärtiges Engagement im Management des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, bei Apple und NGM Biopharmaceuticals plant er fortzuführen.

Pascal Herbert von Googlewatchblog sieht in der Personalentscheidung für Levinson Anzeichen dafür, dass Google Calico ernster nimmt als den im Januar eingestellten Dienst Google Health. Auch die 2007 getätigte Investition in //www.23andme.com/:23andme, das sich der Erforschung von Erbkrankheiten widmet, zeige das seit Jahren bestehende Interesse Googles am Bereich Biotechnologie und Genomforschung.

Larry Page spricht im Fall von Calico von einem „Moon Shot Investment“: So nennt Google Projekte, die von Langfristigkeit und totaler Neuerfindung der Problemlösungs-Strategie geprägt sind. Die Idee ist, einen vorliegenden Fall nicht um 10 Prozent, sondern um das Zehnfache verbessern zu wollen. Orientierung an gewünschten Idealzuständen statt an vorgefundener Realität darf man guten Gewissens als utopisches Denken bezeichnen. Gibt Google uns die Impulse für eine neue, bessere Zukunft? Ist Google gar der neue Thomas Morus?

Halb Thomas Morus, halb Gordon Gekko

Höchstens anteilig. „Moon Shot Investment“ enthält nämlich nicht nur den weltverbessernden Schuss Richtung Mond, sondern auch schlicht „Investment“. Ob bei Calico selbst geforscht oder vor allem mit Venture Capital das Know-How junger Unternehmen eingekauft werden wird, ist gegenwärtig nicht klar.

Wenn es sich also vorrangig um wie auch immer geschickt platziertes Geld aus Googles gut gefüllten Töpfen (liquide Mittel von knapp 40 Mrd. US-Dollar) handeln sollte, welche Aussichten hat Calico dann? Arndt Kussmann, Leiter der Finanzanalyse der quirin bank, sagte der taz dazu: „In aller Regel sind Investitionen in die Krankheitserforschung und -bekämpfung mit hohen Risiken und Kosten behaftet, vor allem wenn es sich um innovative Projekte und neuartige Forschungsansätze handelt. Nicht von ungefähr hat Larry Page die Gründung der neuen Tochtergesellschaft als „Langzeit-Wette“ bezeichnet. Die Gesundheitsbranche ist aber allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung in vielen Industrieländern ein zukunftsträchtiger Markt. Zudem spielt die steigende Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen in den aufstrebenden Schwellenländern mit ihrer wachsenden, zahlungskräftigeren Mittelschicht eine gewichtige Rolle."

Das Leben ist eine Beta-Version

Google zementiert derzeit mit Calico vor allem sein Image als Unternehmen, dem Herausforderungen nicht groß genug sein können. Und zwar jetzt, in der Gegenwart. Wer nach Calico im Internet sucht, wird auf reichlich Content stossen, der Furchtlosigkeit und Innovationsfreude aus der Gründung Calicos herausliest – unterdessen sei mit ersten Resultaten frühestens in 10 bis 20 Jahren zu rechnen, so Larry Page. Oscar Wilde schrieb, Fortschritt sei nur die Verwirklichung von Utopien. Und eine Zukunft, in der das Altern behandelt werden kann wie ein Softwarefehler, ein „Bug“, das nur „gefixt“ werden muss, wäre in der Tat fortgeschritten. Ob in Richtung Utopia oder Schöne Neue Welt, bleibt abzuwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • LM
    Lothar Michael Muth

    "Man braucht nur irgendwann einmal bei sogenannten wohlgesinnten Menschen von der Möglichkeit der Abschaffung des Todes zu sprechen. Da wird man sofort der Reaktion begegnen: Ja, wenn der Tod abgeschafft würde, wenn die Menschen nicht mehr sterben würden, das wäre das Allerschlimmste und das Allerentsetzlichste. Ich würde sagen, genau diese Reaktionsform ist das, was eigentlich dem utopischen Bewusstsein am allermeisten entgegensteht. Das, was noch über die Identifikation der Menschen mit bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen hinausgeht, worin sich die verlängern, ist die Identifikation mit dem Tod. Und utopisches Bewußtsein meint ein Bewußtsein, für das die Möglichkeit, daß die Menschen nicht mehr sterben müssen, nicht etwas schreckliches hat, sondern im Gegenteil das ist, was man eigentlich will. (...) Ich glaube allerdings, daß ohne dieses Moment, also ohne die Vorstellung eines fessellosen, vom Tod befreiten Lebens, der Gedanke der Utopie überhaupt gar nicht gedacht werden kann."

     

    (Theodor W. Adorno im Radiogespräch mit Ernst Bloch von 1964 "Möglichkeiten der Utopie heute", das als Audiobook zusammen mit anderen Vorträgen von Bloch auf CD-Rom erhältlich ist. Die Textfassung ist abgedruckt im Buch "Gespräche mit Ernst Bloch", Herausgegeben von Rainer Traub/Harald Wieser, Suhrkamp, 1975.)

  • I
    ion

    "Der servile Gehorsam gegenüber Googles Auftreten mag sich aus dem Umstand speisen, dass [....]." Hysteron-Proteron(!), Frau Kindesperk: Wird Google das Problem der Servilität der Erdlinge auf allen Ebenen lösen helfen können?! Nein!

    Eine positive Grundeinstellung zum Transhumanismus (im weitesten Sinne) ist doch längst Grundvoraussetzung in fast allen von der Wirtschaft gelenkten Nationen!

     

    Kontextuell auch immer wieder sehenswert:

    «Manufacturing Consent - Noam Chomsky and the Media (1992)»

    https://www.youtube.com/watch?v=RO51ahW9JlE

  • S
    santafe

    Hoch differenzierte Gesellschaften brauchen den

    den normalen altersbedingten Tod

    ihrer Individuen, um Möglichkeiten der Entfaltung

    und des Aufstiegs nachrückenden

    Generationen bieten zu können.

    Auch Steve Jobs hat das erkannt.

    Nur primitive Lebewesen und Viren mit einen für sie unerschöpflichen

    Ressourcenreservoir können zum

    Teil ewig leben, wenn sie nicht getötet werden.

    Ein bis zum Tod gesundes und

    leistungsfähiges Leben ist erstrebenswerter, als das perfekte ewige Leben.

    Die ethischen Prämissen der Wissenschaft stimmen nicht.

    Hier stehen hohle Obsessionen

    aus Individualinteressen

    den Gesellschaftsinteressen überlegen gegenüber.

    Eine gesunde sich neu reproduzierende, innovative

    Gesellschaft im Wandel ist wichtiger, als die Maximierung

    des Luxuskomforts und

    der Kompetitivität potentieller

    KäuferInnenschichten.

    Ewiges Leben und enorme Finanzmacht für einige bedeutet

    in der Endkonsequenz die Unterwerfung aller, die nicht darüber verfügen für ihr gesamtes Leben. Es ist der Putsch der Wissenschaftsschichten gegen den Rest der Menschheit und

    allmählich Ausschaltung ihrer Relevanz!

  • KK
    Karl Kraus

    Die zahlungskräftige Mittelschicht in den aufstrebenden Schwellenländern. Wie lieb. Was ist denn aufstrebend? Konzerne füttern brauchbare Gruppen von Menschen an, die sie dann melken können. Wen nicht zahlen kann, verrecke. Voll die collen Innovatoren, hey, ho.

    Ach ja, und ganz wichtig: Denkt immer daran: Seit es Forschung gibt, können das nur und ausschließlich reiche Konzerne machen, okay? (Unis und steuerfinanzierte Forschung sind eigentlich, also irgendwie soll das doch auch ein bisschen für Privatkonzerne gut sein, ja? Die zahlen ja auch ein bisschen Steuern manchmal. Und das ist auch voll nett, weil die ja eigentlich die Unis nicht brauchen, die Schulen nicht, die Straßen, die Polizei, den Rechtsstaat und so weiter.) Denkt niemals darüber nach, dass es vollkommen anders gehen kann! Am besten zahlen wir ihnen Steuern, dann müssen sie nicht mehr so teures Marketing machen, sondern können sich auf noch mehr zahlungskräftigere Mittelschichten konzentrieren. Für den Fortschritt, den nur Google (Unilever, Monsanto, Nestle, Bayer, ...........................................................................................................) kann.

  • Die Traume der Eugenik und der Genforschung sind alt, aber noch nie waren wir der Gesundheitsdatenerfassung und deren Durchforstung mittels Rasterfahndungen so nahe, wie sie in der von der EU hinsichtlich zahlreicher Volkskrankheiten mittels des Programmsvorschlags der PRÄDIKTIVEN MEDIZIN aus dem Jahre 1988 geplant waren, um Risikopersonen zu ermitteln. Von daher ist der Schritt von Google mit der Gründung von Calico nur konsequent. So wie die Schufa hinsichtlich der Bonität von Kunden Scorewerte ermittelt und gewichtet, so wird dieser in absehbarer Zeit auch im Gesundheitswesen Einzug halten - natürlich als Hilfe!