Stuttgarter Hauptbahnhof: Südflügel wird nicht abgerissen
Überraschendes Zugeständnis im Streit um "Stuttgart 21": Der Südflügel des Hauptbahnhofs soll vorläufig nicht abgerissen werden, kündigte Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) an.
BERLIN dapd | Im Streit um das milliardenteure Bahnprojekt "Stuttgart 21" ist die baden-württembergische Landesregierung offenbar um Entspannung bemüht. Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) sagte am Montagabend, der Südflügel des Bahnhofs werde zunächst nicht abgerissen. "Wir werden ihn so bestehen lassen. Und ich glaube, das ist ein Signal." Zugleich lehnte sie einen Baustopp ab.
Für die Grünen ist das aber Vorbedingung für Gespräche mit den Gegnern des Projekts. Am Abend hatten wieder Zehntausende Menschen im Stuttgarter Schlossgarten friedlich gegen den Umbau des Kopfbahnhofes in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof protestiert. Die Polizei sprach von 25.000 Teilnehmern, die Veranstalter von rund 55.000. Der Innenausschuss des Stuttgarter Landtages befasst sich an diesem Dienstag mit dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten am vergangenen Donnerstag.
Politiker der schwarz-gelben Koalition in Berlin fordern die Gegner des Bahnprojekts "Stuttgart 21" derweil auf, den Weg für eine Schlichtung ohne Vorbedingungen freizumachen. Mit einem unabhängigen Vermittler bestünde die "Chance, die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene zu heben und einen konstruktiven Dialog in Gang zu bringen", sagte der baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Joachim Pfeiffer. Er fügte hinzu: "Klar ist aber, dass es keinen Baustopp gibt."
Auch FDP-Fraktionsvize Patrick Döring unterstrich, dass eine Mediation nur Sinn mache, "wenn alle bereit sind ohne Vorbedingungen einen solchen Weg zu gehen". Döring unterstrich, dass er den ehemaligen Bundespräsidenten-Kandidaten Joachim Gauck als Vermittler für eine "sehr gute Idee" gehalten hätte. Nach dessen Absage seien daher nun "alle gut beraten, einen Mediator von der Qualität, dem Ansehen und der Erfahrung eines Joachim Gauck zu suchen."
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte als Bedingung für einen Schlichter einen Baustopp. "Ehrliche und glaubwürdige Vermittlung kann und darf sich nicht dem Ziel und Interesse einer der beteiligten Konfliktparteien unterordnen, sondern muss ergebnisoffen sein", sagte Trittin. Er fügte hinzu: "Das heißt, ohne Baustopp in Stuttgart wird jeder Vermittler nur zum Feigenblatt der Befürworter. Diese Klarstellung muss jeder treffen, der diese schwierige Aufgabe übernehmen will."
Grünen-Parteichefin Claudia Roth wies die Kritik von Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) an den Gegnern des Bahnhofsprojekts in scharfem Ton zurück. "Goll beschimpft die, die ihr Recht in Anspruch nehmen und gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 demonstrieren. Aber zu der brachialen Polizeigewalt gegen die Demonstranten höre ich von der FDP nur ein lautes Schweigen. Das zeigt die ganze Verkommenheit der FDP, die mit dem liberalen Gedankengut gar nichts mehr zu tun haben will", sagte Roth. Goll hatte den Protestierern Bequemlichkeit vorgeworfen und erklärt, die Menschen seien "in zunehmender Zahl sehr unduldsam und wohlstandsverwöhnt".
Verständnis für die Kritik vieler Bürger an der Umsetzung des Bahnhofs-Großprojekts äußerte unterdessen der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Ganz sicher müssen wir lernen, dass die Umsetzung solcher Großprojekte, auch wenn sie demokratisch legitimiert sind, ganz anders und mit mehr Transparenz begleitet werden muss", sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann. "Die Bürger wollen ernst genommen werden und verstehen, was passiert, welche Auswirkungen es für sie persönlich hat", sagte Driftmann. Er fügte hinzu: "Die Entwicklung um Stuttgart 21 macht mir große Sorgen - denn Deutschland wird auch in Zukunft darauf angewiesen sein, große Infrastrukturinvestitionen durchzuführen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen