Gutachten über "Stuttgart 21"-Entscheid: Auftrag erfüllt
Die Stuttgarter Landesregierung will keine Volksabstimmung über das umstrittene Projekt "Stuttgart 21" durchführen - und stützt sich dabei auf zwei Gutachten.

Fand die Regierung gar nicht gut: Eine Volksabstimmung zu "Stuttgart 21". Bild: dapd
FREIBURG taz | Die Stuttgarter Landesregierung will keine Volksabstimmung über Stuttgart 21 durchführen. Dies hat das Kabinett am Montag beschlossen. Die Regierung stützt sich dabei auf zwei Gutachten, die den von der SPD vorgeschlagenen Weg in vielfacher Hinsicht für verfassungswidrig halten.
Die SPD hatte eine Bestimmung in der Landesverfassung entdeckt, die bei einem Dissens zwischen Landesregierung und Landtag eine Volksabstimmung zulässt (Artikel 60 Absatz 3). Die Landesregierung hätte dabei, so der SPD-Vorschlag, ein Ausstiegsgesetz einbringen müssen, das der Landtag dann abgelehnt hätte. Über dieses Ausstiegsgesetz hätte nun eine Volksabstimmung stattfinden können. Im Auftrag der SPD hatten die renommierten Rechtsprofessoren Joachim Wieland (Speyer) und Georg Hermes (Frankfurt) das Projekt geprüft und erklärt, es gebe "Anhaltspunkte, dass dieser Weg gangbar" ist.
Zu anderen Ergebnissen kamen nun im Auftrag von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) die am Dienstag vorgestellten Gutachten. Sowohl Exverfassungsrichter Paul Kirchhof als auch der Stuttgarter Rechtsanwalt Peter Dolde erklärten den SPD-Vorschlag für "verfassungswidrig".
Im Kern geht es darum, ob das Volk per Gesetz dem Land verbieten kann, Stuttgart 21 mitzufinanzieren. Die Regierungsgutachter betonen, dass das Land im Eisenbahnwesen weder die Kompetenz zur Gesetzgebung noch zur Verwaltung habe. Und haushaltswirksame Gesetze dürften nicht per Volksentscheid beschlossen werden. Die Klausel der Landesverfassung, dass über das Staatshaushaltsgesetz keine Volksabstimmung stattfinde, sei weit auszulegen, so Dolde und Kirchhof. Alle Gesetze, die den Landtag zu einer Neuordnung des Gesamthaushalts zwingen, dürften nicht vom Volk beschlossen werden, weil dies mit komplexen Haushaltsfragen überfordert sei. Dies gelte sogar dann, wenn wie hier das Land zum Verzicht auf eine Ausgabe gezwungen werden soll.
Überzeugender sind die Ausführungen der Gutachter zum Verfahrensvorschlag der SPD. Wenn es keinen Konflikt zwischen Landesregierung und Landtag gebe, dürfe so ein Konflikt nicht einfach fingiert werden. Sonst werde die Landesverfassung unterlaufen, die Volksabstimmungen eben nur in bestimmten Fällen vorsehe.
Peter Dolde begründete auch, dass eine Kündigung der Verträge zwischen Land und Bahn nicht möglich sei. Zwar sieht das Verwaltungsverfahrensgesetz eine Kündigung öffentlich-rechtlicher Verträge bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ausdrücklich vor (Paragraf 60). Es verstoße aber gegen Treu und Glauben, wenn das Land die Änderung der Verhältnisse durch ein Ausstiegsgesetz selbst herbeiführe. Die SPD-Gutachter Hermes und Wieland hatten argumentiert, dass eine Änderung der Verhältnisse in der Demokratie auch in einem Regierungswechsel nach Neuwahlen bestehen könne - oder eben in einem Volksentscheid, der die bisherige Position des Landes revidiert.
Am Donnerstag wird im Landtag auch über einen Vorschlag von SPD und Grünen debattiert, der die Hürden für Volksbegehren deutlich senken würde. Dadurch würde zwar der von der SPD gewählte Trick mit dem fingierten Konflikt überflüssig. Die Regierungsgutachter halten aber jede Volksabstimmung über Stuttgart 21 für verfassungswidrig.
Leser*innenkommentare
Holger Bunke
Gast
An Celus:
Beide Gutachten der Profs. Kirchhof und Dolde sind seit dem Tag ihrer öffentlichen Präsentation im Volltext unter www.baden-württemberg.de zu finden und herunterzuladen, was man vom SPD-Gutachten der Profs. Wieland und Hermes leider nicht sagen kann. Warum wohl wird letzteres geheim gehalten?
Josef Riga
Gast
ALTERNATIVLOS - UNUMKEHRBAR - UNABÄNDERLICH
"Diese Entscheidung ist alternativlos" Merkel/Mappus
1910
"Diese Entscheidung ist unumkehrbar" Dr. Helmut Kohl
1980
"Dieser Entschluss ist unabänderlich; er ist der
Wille der Vorsehung" RK Adolf Hitler
1940
reblek
Gast
"Alle Gesetze, die den Landtag zu einer Neuordnung des Gesamthaushalts zwingen, dürften nicht vom Volk beschlossen werden, weil dies mit komplexen Haushaltsfragen überfordert sei." - Zum Glück für Landesregierung und Landtag haben die Gutachter keine Aussage darüber getroffen, wie es mit deren Überforderung steht.
likewise
Gast
Tja, Pech nur für Mappus und seine Gutachter, daß die Merkel selbst ja schon von einer Volksabstimmung gesprochen hat. Letztlich sollte es auch in seinem Sinne sein, ob der Wähler die Frage nach dem Bahnhof von der nach dem Minisiterpräsidenten trennen kann. Aber Mappus scheint die Klugheit nicht mit Löffeln etc.
Und wie war das nochmal mit dem Stuttgarter Bahnhof? War/Ist der nicht denkmalgeschützt? Da muß der Kirchhof wohl noch ein Auftragsgutachten schreiben...
Ronald T. Finke
Gast
Aha, das Volk ist also mit "komplexen Haushaltsfragen" überfordert. Politiker etwa nicht ? Und wenn nicht, muss es sich offenbar um einen sogenannten Haushaltsexperten handeln, der dann per Definition eher seinem Wissen und nicht nur seinem Gewissen verpflichtet ist. Was hier (und auch in der Hamburger "Harfencity" und Gorleben) gespielt wird ist ein Gerangel um die Definitionshoheit bzgl. des Wortes "Demokratie". Dürfen die gewählten Volksvertreter während der Legislatur alles ? Oder müssen sie wichtige Fragen erörtern und regelmäßig abstimmungsfertig an den eigentlichen Souverän = das Volk (z.B. per Internetvoting) übergeben ?
Chris
Gast
"Alle Gesetze, die den Landtag zu einer Neuordnung des Gesamthaushalts zwingen, dürften nicht vom Volk beschlossen werden, weil dies mit komplexen Haushaltsfragen überfordert sei. Dies gelte sogar dann, wenn wie hier das Land zum Verzicht auf eine Ausgabe gezwungen werden soll."
Das hört sich wirklich abenteuerlich an. Die Regierungsvertreter, die dem Volk dienen sprechen uns, dem Volk die Mündigkeit ab. Das bedeutet doch indirekt, dass das Verständnis für Demokratie dem anderer autoritärer Regime entspricht.
Gleichzeitig möchte das Volk aber mehr mitsprechen! Es hat keine Möglichkeiten, da dies von der politischen Klasse einfach unterbunden wird. Wer nun meint, dass sich die Bürger in Parteien organisieren sollen, liegt falsch, da die Parteienprogramme zu min. 90 % gegen die Identität und Einstellung des jeweiligen Individuums des Volkes ausgelegt sind.
Wir benötigen ENDLICH eine Gesetzgebung der direkten Abstimmung wie etwa in der Schweiz, ansonsten werden irgendwann das Demokratieverständnis der politischen Klasse und des Volkes miteinander kollidieren.
Celus
Gast
Es dürfte keine Überraschung sein, dass das Gutachten das gewünschte Ergebnis erbracht hat. Und trotzdem werden die Gutachten dann präsentiert als stünde da eine unumstößliche juristische Meinung hinter. Da mögen die Verantwortlichen jetzt erläutern, warum gerade diese Gutachter ausgesucht worden sind. Wie nah stehen sie den Regierenden?
Und da das Ergebnis öffentlich pränsentiert wurde und der Inhalt die Öffentlichkeit angeht, sollte und müsste das Gutachten zur demokratischen Diskussion der Fachleute veröffentlicht werden. Ein gutes Gutachten kann sich das leisten. Ein schlechtes Gutachten dann lieber nur im Ergebnis veröffentlichen und dann am besten darauf hinweisen, dass eine Veröffentlichung nicht zulässig sei. Vielleicht nach den vetraglichen Vereinbarungen mit dem Gutachter??? Nur so eine Idee.
reflektion
Gast
Hat jemand etwas anderes erwartet?
Da wurden doch schon so viele "Spenden" gezahlt, da darf man doch die Herren Großverdiener nicht enttäuschen.
Das ist schließlich, was der CDU in BW gilt: Ihre Freunde aus dem Spendensumpf. Das Volk und dessen Meinung ist denen doch egal.
Wie üblich also.
Werne H.
Gast
Klasse wie die "chrislichen Demokraten" schnell das Projekt beschlossen und Ende letzten Jahres unterschrieben haben, damit blos keiner mehr aus dem Vertrag herauskommt. Supper diese Spätzle-Connection; los lasst uns das Geld bald in der Grube vergraben.