Stuntfrau auf dem Motorrad: An der Todeswand

Die Indonesierin Karmila Purba bewegt sich inmitten einer Machowelt waghalsig auf dem Motorrad. Sie möchte Vorbild für andere Frauen sein.

zwei Motorradfahrer fahren auf fast senkrechter Fläche

Motorradspektakel in Indonesiens Hauptstadt Jakarta

Karmila Purba ist eine Gestalt, die man nicht leicht vergisst, wenn man sie in Aktion gesehen hat. Freihändig und grinsend jagt die junge Frau auf einem Motorrad auf einer fast senkrechten Steilwand entlang. Sie muss die Geschwindigkeit halten, denn wenn sie zu langsam fährt, wird sie ungeschützt in die Tiefe stürzen. Gleichzeitig darf sie bei dem Höllentempo im Kreis die Orientierung nicht verlieren, auch dann stürzt sie. Wand des Todes heißt die Zirkus­attraktion, bei der Mo­tor­rad­sport­le­r:in­nen (meistens sind es Männer) in einer Art gigantischem Fass auf einer beinahe 90-Grad-Steilwand im Kreis rasen.

Manchmal stirbt tatsächlich jemand, aber seltener, als der Name vermuten lässt. Oben jubelt und bangt das Publikum, oder hält Geldscheine hin, die die Fah­re­r:in­nen im Vollspeed aus der Luft pflücken, während sie Tricks vollführen. Auf Indonesisch heißt das Spektakel Tong Setan und ist eine reine Männershow. Aber inmitten der Machowelt brettert seit einigen Jahren eine junge Frau. Bürgerlich heißt sie Karmila Purba, ihr Künstlername: Prinzessin des Tong Setan.

„Leute sagen, ich bin keine gute Frau, weil ich fast allein unter Männern arbeite“, erzählt Karmila Purba in einem Interview 2019. „Oder: Frauen sollten so einen Sport nicht machen.“ Niemand in Indonesien erwartet eine junge, verheiratete Frau in den testosterongeladenen Stuntshows. Aber genau darin liegt auch die Stärke und Popularität von Purbas Performance. „Ich erwecke bei anderen Frauen Träume, die lange begraben gewesen sind.“ Die vielleicht erste indonesische Frau, die die Todeswand fährt, lässt sich nicht in eine Schublade stecken.

Privat trägt Purba offenes Haar und Tattoos, bei manchen Auftritten aber auch Hidschab. Sie liebt Motorräder, aber auch Hello Kitty. Sie erfüllt sich an der Steilwand einen lang gehegten Traum und betont doch, eigentlich gehe es vor allem darum, ihrer in bescheidenen Verhältnissen lebenden Familie zu helfen. Und auf Instagram weiß sie sich klug zu vermarkten. Wenn die polarisierende Prinzessin des Tong Setan fährt, strömen die Leute her.

Mit Löwe als Beifahrer

Schon immer war die Todeswand ein Ort einzelner weiblicher Pionierinnen. Die Attraktion entstand wahrscheinlich in den 1880er Jahren auf Jahrmärkten und in Varieté-Shows; damals fuhr man noch mit dem Fahrrad an der Steilwand. Die Motorisierung kam später. Es gehört mehr als nur Mut und Schwindelfreiheit dazu: Wer mit 60 Stundenkilometern auf dem Motorrad waagerecht in diesem Fass fährt, schreibt der Spiegel, sei Kräften ausgesetzt wie sonst nur Kampf­pi­lo­t:in­nen und Astronaut:innen. Ein Knochenjob, der enormes Balancegefühl, Artistik, Ruhe und eben Kraft benötigt. Als die Fahrt selbst nicht mehr genug Spektakel bot, wurden die Darbietungen immer irrer.

Lolita und Marjorie Kemp, die in den Zwanzigern zu den ersten Fahrerinnen gehörten, bretterten im Sportwagen mit Löwen im Beifahrersitz über die Todeswand. Als einmal ein Löwe die Lust verlor, verlor Marjorie Kemp fast ihren Arm. Zwischen Genie und Tragik oszillierte auch die britische Pionierin Yvonne Stagg, die in den Sechzigern als vielleicht erste Frau auch Besitzerin einer Todeswand wurde. Ein Star mit reichlich bewegtem Leben – unter anderem war sie in einen Mordfall verwickelt, bei dem ihr Liebhaber ihren Ehemann erstach. Lange rang sie mit dem Alkohol, schließlich beging sie Suizid.

So spektakulär und schillernd sie waren: Weibliche Motorradfahrerinnen an der Todeswand bleiben eine Seltenheit. Karmila Purba, der unwahrscheinliche Star aus Indonesien, will das ändern. Und erst einmal selbst hoch hinaus: Sie träumt von einer internationalen Karriere. „Damit die Welt sieht, dass ich das kann.“ Eines ihrer Tattoos ist ein Stern – für den Griff zu den Sternen selbstverständlich.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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