: Stürzt Ryschkow?
■ Der sowjetische Premier auch von Gorbatschow verlassen
Moskau(dpa) — Die Lage für den sowjetischen Ministerpräsidenten Ryschkow wird immer ungemütlicher. Im Parlament der russischen Föderation wird einhellig sein Kopf wegen „wirtschaftspolitischer Unfähigkeit“ gefordert. In Frage steht nur noch, ob der Oberste Sowjet Rußlands ihm das Mißtrauen aussprechen soll oder der Kongreß der Volksdeputierten. Rußlands Präsident Jelzin klagte die Unionsregierung und ihre Ministerien an, die Durchführung eines beschleunigten Programms für den Übergang zur Marktwirtschaft zu behindern. Die russische Föderation hat bereits den Plan des Ökonomen Schatalin angenommen, der den Übergang in 500 Tagen bewerkstelligen will. Auch Gorbatschow ist jetzt auf die Linie des Schatalin-Plans eingeschwenkt und hat damit Ryschkows Positionen weiter geschwächt. Der Wirtschaftsberater des sowjetischen Präsidenten, Petrakow, reklamierte nachträglich eine Mit-Autorschaft seines Chefs an Schatalins Projekt. Auf die Frage, ob die Einführung der Marktwirtschaft gleichbedeutend sei mit dem Kapitalismus antwortete Petrakow: „Wenn es sich um den Sozialismus handelt, den Stalin geschaffen hat, lehnen wir ihn ab.“ Bis Ende des Monats sollen sich jetzt die Exekutiven aller Sowjetrepubliken zwischen Schatalins radikalem Schnitt, Ryschkows „gelenkter Marktwirtschaft“ und zwei weiteren Varianten entscheiden. Unterdessen mehren sich Warnungen vor einem Militärputsch. 'Moskowskije Nowosti‘ hat unter Berufung auf die Soldatenorganisation „Schtschit“ sogar schon einen genauen Ablaufplan veröffentlicht, „Vielleicht“, schrieb die Zeitung, „ist gar kein Tag X notwendig. Wir laufen in Gefahr, Stück für Stück in den Ausnahmezustand abzurutschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen