Stückemarkt des Theatertreffens Berlin: Was vor uns liegt
Wie sieht die Zukunft aus? Wie steht es zwischen Mensch und Tier? Wer wird arm, wer reich? Das verhandelten junger Autoren auf dem Stückemarkt.
Draußen, vor dem Haus der Berliner Festspiele, kommt ein junger Flaschensammler mit einer Gruppe junger Leute ins Gespräch, die ihm schließlich alle ihre Flaschen geben. Eine alltägliche Szene? Nein, eher ungewöhnlich, denn die Scham davor, seine Bedürftigkeit sichtbar werden zu lassen, zieht meist Trennungslinien zwischen den Flaschensammlern und denen, die ihre Pfandflaschen stehen lassen.
Davon weiß das Kolektiv Igralke & Tjaša Črnigoj aus Rijeka (Kroatien) viel zu erzählen. Sie haben über Rentnerinnen recherchiert, deren Rente trotz langer Arbeitsjahre nicht reichte, sie vor dem Rauswurf aus der Wohnung zu bewahren. Mit vier der alten Damen haben Sendi Bakotić, Ana Marija Brđanović, Anja Sabol und Vanda Velagić schließlich länger in einem Workshop gearbeitet: Herausgekommen ist ein wunderbar berührendes dokumentarisches Theaterstück über vier ältere Flaschensammlerinnen, die zuvor als Lehrerin, Bankangstellte oder Hausmeisterin gearbeitet haben.
Dass sie gebildet sind und einmal bürgerlich waren, welche Filme sie gerne sahen und wo sie glücklich waren, ist ebenso Teil der Geschichten wie der Versuch, in zwei Minuten in einer öffentlichen Dusche zu duschen und Unterwäsche zu waschen oder achtzig Flaschen am Tag zu sammeln. Ihr Leben ist anstrengend.
Das Kolektiv Igralke & Tjaša Črnigoj war mit dieser Inszenierung zum Stückemarkt des Theatertreffens eingeladen. Die vier Frauen auf der Bühne erzählen von der behutsamen Annäherung während der Recherche. Sie bauen poetische Momente ein, in denen auch die gesammelten Flaschen eine eigene Biografie haben, von Glamour und dem Eingehen ins Nirwana träumen. Die Inszenierung, in Originalsprache mit deutscher Übertitelung zu sehen, ist faktenreich, bezieht das Publikum in seiner Unkenntnis über den Alltag der Verarmten mit ein – niemand aus dem Publikum weiß, ob und wo es öffentliche Duschen in Berlin gibt. Und ihr Stück wird zunehmend auch zu einer Liebeserklärung an die alten Frauen.
Die Kontrolle? Die scheint futsch
Der Stückemarkt präsentiert fertige Inszenierungen und neue Texte in szenischen Lesungen. Sie alle beschäftigten sich mit Vorstellungen von Zukunft; niemand sieht die mehr als gesichert. Im Versuch der Menschen, die Kontrolle zu behalten, nehmen immer mehr Absurditäten Gestalt an in den beiden Stücken von Eric Marlin (USA) und ruth tang (Singapore/USA/New Zealand), die an einem Abend hintereinander weg in englischer Sprache im Foyer präsentiert wurden.
„Die Zukunft ist mehr wert, als wir ihr mit unserem Handeln zugestehen. Jeden Tag verbrennen wir die Zukunft, damit es in der Gegenwart beim „weiter so“ bleiben kann. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich diejenigen, die denken, die Welt gehöre ihnen, die das Verbrennen erfunden haben, die darauf bestehen, dass ein Nicht-Verbrennen unmöglich ist.“ In ihrem Statement im Programmbuch des Theatertreffens gibt sich ruth tang kämpferisch.
In der szenischen Lesung ihres Stücks „future wife“ braucht man hingegen einige Zeit, um das Setting zu begreifen. Da gibt es Piraten, die darüber abstimmen, wer den Schatz behalten darf und wer umgebracht wird. Da gibt es ein Liebespaar, das sich im Schlachthaus gefunden hat: Sie mit dem Messer an der Schlachtbank und er, nun ja, kopfunter an der Kette hängend, ein Ziegenbock. Mit Liebe auf den ersten Blick können die Schlachterinnen ein Tier erretten. Diese Beziehung zwischen der jungen Frau und der Ziege ist so weit weg von unserer Vorstellungskraft, dass sie gerade damit den Abgrund ausleuchtet, der uns von Gleichberechtigung im Verhältnis Mensch und Tier trennt.
Im Ungewissen
So arbeitet ruth tang zwar einerseits mit überraschenden Bildern. Denen allerdings andererseits nicht immer leicht zu folgen war in der szenischen Lesung, die Marie Schleef eingerichtet hatte. In welcher Zeit, an welchem Ort man sich befindet? Die Zuschauer schwammen im Ungewissen.
Das Gefühl für das Hier und Jetzt zu verlieren, sich abgenabelt zu fühlen von der eigenen Geschichte: Das war dann in „AirSpace or In the Next Century“ von Eric Marlin direkt das Schicksal der Protagonistin. Sapir Heller hatte die szenische Lesung mit viel Temperament und Witz eingerichtet. Susannah, Ende 30, die vermutlich aus den USA in Rumänien angekommen ist, um ein Unternehmen bei seiner Expansion zu beraten, greift wahlweise nach der Keksschachtel, dem Blumentopf oder der Hand des rumänischen Firmenchefs, um sie sich als Telefon ans Ohr zu halten, wenn wieder ihre Mutter anruft. Der Vater ist gestorben, nein, sie kommt nicht zurück.
Zunehmend genervt wimmelt sie die Mutter ab, legt sich mit der rumänischen Kollegin an, die sich nicht von ihr bevormunden lassen will, vergisst ihre Freundin im Hotel. Die Welt der globalisierten Wirtschaft ist bei Eric Marlin eine, in der die Menschen ihre Seele und ihre Identität verlieren. Was auf der Bühne freilich schon öfter erzählt wurde.
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