Studie zu Alter und Digitalisierung: Skypen mit den Enkeln
Hilft die moderne Technik, Gebrechlichkeit und Einsamkeit im Alter zu kompensieren? Kommt drauf an, sagen Experten.
„Der Kontakt mit der Familie ist entscheidend für die Akzeptanz von Kommunikationstechnologien durch die Älteren“, sagt Jan Knipperts, Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung. Am Freitag stellte die Stiftung eine neue Studie zur „Digitalisierung für mehr Optionen und Teilhabe im Alter“ vor. Der Anteil der älteren Menschen, die online sind, „steigt stetig an“, so Knipperts.
69 Prozent der 60- bis 69Jährigen und 36 Prozent der über 70Jährigen nutzen das Internet inzwischen regelmäßig, heißt es in der Studie. Auch ist zwischen 2007 und 2013 die Nutzung sozialer Netzwerke unter den Internetnutzrn ab 50 Jahren von sieben auf 16 Prozent gestiegen. „Die Generation ‚Ü 65‘ entdeckt zunehmend die modernen Kommunikationsmittel für sich – beispielsweise in Form der Video-Telefonie mit den Kindern und Enkeln“, so die Studie.
Selfies nicht so wichtig
Die Enkel in Bild und Ton zu sehen, ist schön. Das Posten von Selfies oder die Selbstdarstellung via Skype, mit gekonnter Ausleuchtung und dezenter Schminke, ist allerdings nicht jedermanns Sache. „Mein Eindruck ist, dass Ältere eher weniger Fotos von sich schicken, sondern sich lieber Bilder von den Enkelkindern senden lassen“, sagt Christa Fricke, Wissenschaftlerin am Berliner Sibis-Institut für Sozialforschung, das sich mit dem Thema Alter und Technologie beschäftigt.
Im Alter bleibt der Lustgewinn bei der visuellen Selbstdarstellung begrenzt. „Die optische Selbstpräsentation ist im Alter nicht wesentlich für das Selbstwertgefühl“, erklärt Thomas Rentsch, Philosoph und Altersethiker an der Technischen Universität Dresden.
Um den unerfahrenen Älteren den Einstieg ins Internet zu erleichtern, gibt es inzwischen hilfreiche Assistenzsysteme. Mit dem System „Paul“ zum Beispiel kann man über das Antippen der Icons auf einer Art großem Tablet Videoverbindungen zu Verwandten und Freunden herstellen, aber auch Einkäufe, Buchungen erledigen und die Elektrik in der Wohnung steuern.
„Intelligente“ Klos ohne Papier
Die neuen Technologien helfen nicht nur bei der Kommunikation. Laut Studie können sich 83 Prozent der Bundesbürger vorstellen, im Alter zu Hause einen Serviceroboter zu nutzen, wenn sie dadurch länger in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können und nicht in ein Heim müssen.
Die Studie listet umfangreiche neue Hilfstechnologien auf: Heute kann ein gebrechlicher Mensch Sturz- und Inaktivitätsmelder zuhause installieren lassen, die bei Gefahr einen Notruf auslösen. Ein „Trink Tracker“, ein Becher mit Sensorik, kann anzeigen, wenn der oder die Ältere zuwenig trinkt, eine „intelligente Matratze“ kann Druckstellen vermeiden, eine „intelligente“ Duschtoilette mit Trockenfunktion kann den Hintern mit Wasser abwischen und anschließend fönen und ein Geruchsmelder sogar einem inkontinenten Menschen anzeigen, wenn die Umgebung olfaktorisch belästigt wird.
All diese Aufpasser-, Versorgungs- und Pflegesysteme sollen künftig fallweise sogar die „24-Stunden-Pflege“, die hierzulande meist osteuropäische Pflegekräfte leisten, ersetzen, heißt es in der Studie.
Zur Bank gehen ist auch Kontakt
Doch Altersethiker Rentsch warnt davor, die technischen Erleichterungen rückhaltlos zu begrüßen. „Diese Entwicklungen sind auch Teil einer Effizienzökonomie, in der es darum geht, das Geld für die Bezahlung von Dienstleistern zu sparen“, sagt Rentsch, „die Technik sollte nicht zum Ersatz für menschliche Kommunikation werden“.
Die Frage ist, ob es die Lebensqualität für Ältere grundsätzlich verbessert, wenn man das Banking, Buchungen und Einkäufe von zuhause erledigt, anstatt wie früher zur Bank, ins Reisebüro oder zum Bäcker und Gemüsehändler zu gehen, auch wenn man nicht mehr so gut auf den Beinen ist. „Es ist immer etwas anderes, hinauszugehen und mit Personen zu sprechen, als alles online zu erledigen“, sagt Rentsch.
Doch wenn die Technologie Selbstständigkeit erhält, ist sie unumstritten. „Möglichst lange unabhängig zu bleiben, nicht auf Hilfe angewiesen zu sein und nicht pflegebedürftig zu werden“, sei einer der größten Wünsche der Älteren, heißt es in der Studie.
Besonders Pflegeheime hoffen allerdings auf neue Technologien, die ihnen die Versorgung erleichtern. Für Demenzkranke setzt das Personal in manchen Heimen inzwischen sogar weiche Kuschelrobben ein, die fiepen und die Augen aufschlagen, wenn man sie streichelt.
Die Streicheltier-Roboter können menschlichen Kontakt aber nur ergänzen. „Selbst bei Alzheimerkranken in fortgeschrittenem Stadium kann man noch feststellen, dass sie den Besuch der Kinder, der Enkel und den Kontakt, wenn diese die Hand halten, spüren. Das ist durch nichts zu ersetzen“, meint Rentsch.
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