Studie über Onlinenutzung Jugendlicher: Grüße aus den 2000ern
Ergebnisse einer Studie über Internetnutzung Heranwachsender wirken alarmierend. Doch die gestellten Fragen sind veraltet.
Fast ein Drittel der deutschen Jugendlichen würden elektronische Medien zu viel oder auf ungesunde Weise nutzen. Das legt ein Studienbericht nahe, den die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) am Dienstag veröffentlicht hat.
Bei 30 Prozent der 12- bis 17-Jährigen vermutet man eine „problematische Internetnutzung“ und diagnostiziert bei 7,6 Prozent sogar eine „internetbezogene Störung“. Die Zahlen seien in den letzten Jahren massiv gestiegen.
Bevor man jedoch in Unruhe verfällt, lohnt sich ein Blick auf die Methodik der Erhebung. Es handelt sich um einen Teilbericht der Drogenaffinitätsstudie, einer repräsentativen Befragung, die die BZgA regelmäßig bei 12- bis 25-Jährigen in Deutschland durchführen lässt. 7.000 nahmen diesmal teil, die telefonische Befragung fand im zweiten Quartal 2019 statt, erfasst also Daten von vor der Pandemie.
Fragenkatalog aus den 2000ern
Mit „problematischem Verhalten“ oder „Störung“ meinen die Forscher*innen Verhalten, das andere Lebensbereiche einschränkt oder Kontrollverluste erzeugt. Dafür nahm man die Compulsive Internet Use Scale (CIUS) zur Hilfe, einen Fragenkatalog aus den 2000ern, mit Kriterien aus der Drogen- und Spielsuchtforschung. Die CIUS enthält 14 Fragen zur Selbsteinschätzung, die man auf einer Punkteskala von 0 („nie“) bis 4 („sehr häufig“) beantwortet. Die Punkte werden addiert und ab bestimmten Werten ist von „problematischem Verhalten“ oder „Störung“ die Rede.
Die CIUS enthält nicht nur Fragen, die eindeutig auf ungesundes Verhalten hindeuten („Wie häufig schlafen Sie zu wenig wegen des Internets?“), sondern auch solche, die 2020 eher normal wirken („Wie häufig haben Sie erfolglos versucht, weniger Zeit im Internet zu verbringen?“) oder auf Werturteile anderer abzielen („Wie häufig sagen Ihnen andere Menschen, dass Sie das Internet weniger nutzen sollten?“).
Wer 8 der 14 Fragen mit „selten“ beantwortet und 6 mit „manchmal“, hätte 20 Punkte, ab denen der BzgA-Bericht von „vermutlich problematischer Internetnutzung“ ausgeht. Mit 12 „manchmal“ und zwei „häufig“ hätte man 30 Punkte, ab denen eine „internetbezogene Störung gegeben sein könnte“.
Die CIUS liefert Anreize für einen Selfcheck, jedoch ist fraglich, inwiefern von „Störungen“ die Rede sein muss. Womöglich ist die digitale Gesellschaft aus den Messkriterien der 2000er herausgewachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin