Studie über Lebensqualität: "Ungleichheit zersetzt Gesellschaften"
Eine Wissenschaftlerin belegt, was viele Linke immer schon angenommen haben: In gerechteren Gesellschaften lebt man länger, besser, glücklicher.
In den USA, Großbritannien und Portugal ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer als in Japan und den skandinavischen Ländern. Da die oberen zwanzig Prozent der Bevölkerung etwa viermal so viel wie die unteren zwanzig Prozent verdienen. In den USA, Großbritannien und Portugal hingegen ungefähr achtmal so viel.
Nun legen zwei britische Forscher – Kate Pickett und Richard Wilkinson – eine umfassende Studie vor, wie sich Ungleichheit in 21 Industrieländern auf Gesundheits- und soziale Fragen auswirkt – etwa auf die Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit, auf Mord und Selbstmord, auf Teenager-Schwangerschaften und Fettleibigkeit, auf psychische Erkrankungen und Sucht, auf Bildung und soziale Mobilität.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind eindeutig: Je ungleicher eine Gesellschaft, umso größer die Probleme. Und: Auch reiche Menschen schneiden in ungleichen Gesellschaften schlechter ab. „Wenn ich jemanden aus einer ungleicheren Gesellschaft mit einer guten Bildung und gutem Einkommen in eine gleichere Gesellschaft einbinden würde, würde dieser Mensch vermutlich länger leben, und seine Kinder wären besser in der Schule“, sagt Kate Pickett im sonntaz-Gespräch.
Das Interview im Wortlaut lesen Sie in der aktuellen sonntaz – am 13. und 14. März gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Dass die Ergebnisse so eindeutig sind, hat die Wissenschaftler selbst überrascht. „Die Mordraten sind in ungleicheren Gesellschaften zehnmal so hoch wie in gleicheren. Die Zahl der psychisch Kranken ist dreimal so hoch. In ungleichen Gesellschaften bringen sechs- bis achtmal so viele Teenager Kinder zur Welt.“ Die Ergebnisse sind übrigens nahezu linear. Je größer die Ungleichheit, desto größer die Probleme. Deutschland liegt auf der Ungleichheitsskala zwischen den gleicheren skandinavischen Ländern und der ungleicheren USA. Entsprechend ist das Ausmaß der Probleme größer als in den skandinavischen Ländern aber kleiner als in den Vereinigten Staaten.
Die Wissenschaftler erklären sich ihre Ergebnisse so, dass es in ungleicheren Gesellschaften für jeden Menschen schwieriger ist, seinen Status zu behaupten. Der Kampf um Status aber verursacht Stress. Chronischer Stress ist ein Auslöser für viele gesundheitliche Probleme, da er sich negativ auf das Hormon- und Nervensystem auswirkt. Zudem gilt der Kampf um Status laut Pickett und Wilkinson als eine hauptsächliche Ursache für Gewalt.
Drei Themengebiete, die die Forscher untersucht haben, passten allerdings nicht in ihr Schema: Selbstmord, Rauchen und Berufswünsche von Jugendlichen. Geraucht wird überall. Und in gleicheren Gesellschaften gibt es mehr Selbstmorde. „Das kann man so erklären, dass Menschen in gleicheren Gesellschaften Gewalt in stärkerem Maß gegen sich selbst richten als gegen andere. Wenn das Leben schwierig wird, man diskriminiert wird oder abgewertet, kann es sein, dass Menschen in gleicheren Gesellschaften den Grund dafür eher bei sich selbst suchen“, erklärt Kate Pickett.
Die Wissenschaftler haben ausschließlich mit offiziellen Statistiken gearbeitet. Auch deshalb gelten ihre Ergebnisse unter Ökonomen und Wissenschaftlern als nicht widerlegbar. Die Ergebnisse haben eine großepolitische Dimension. Forscherin Kate Pickett leitet daraus ab: Macht die Gesellschaften gerechter. Das ist kostengünstiger und macht die Menschen glücklicher.
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