Studenten im Dauerstress: Arbeit ist das halbe Studentenleben
Obwohl Studierende wegen der Bachelorstudiengänge deutlich weniger Freizeit haben, arbeiten sie nebenbei - viele setzen sich so teilweise massiv unter Druck. Auf Dauer mache das krank, warnt ein Unipsychologe.
Auf den ersten Blick sieht Sandra Mücke nicht gestresst aus. Eher geschäftig, konzentriert. 15 Minuten, dann beginnt das nächste Seminar. "Also noch Zeit genug fürs Mittagessen", sagt die Studentin, stößt die Tür des Schnellrestaurants auf und bestellt am Tresen. Nach dem Seminar geht es sofort weiter, erzählt sie, sandwichkauend: "Zum Alexanderplatz, Erdbeeren verkaufen." Neben den 30 Stunden Uni pro Woche arbeitet die 24-Jährige, die an der Humboldt-Universität (HU) Asienwissenschaften studiert, zusätzliche 40 Stunden für einen Erdbeeranbaubetrieb. Um das Studium zu finanzieren, wie sie sagt. "Meine Eltern können mich leider nicht ausreichend unterstützen, und Anspruch auf Bafög habe ich so gut wie gar nicht."
Die Arbeitslosenzahl in Berlin ist im Juni gesunken - aber deutlich schwächer als für die Jahreszeit üblich. 236.159 Menschen waren erwerbslos gemeldet, so die Bundesagentur für Arbeit. Das waren 2.917 Leute weniger als im Mai, aber 7.136 mehr als im Juni 2008.
Die Arbeitslosenquote verringerte sich im Vergleich zum Vormonat um 0,2 Punkte auf nun 14 Prozent. Vor einem Jahr hatte die Quote noch 13,6 Prozent betragen. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen lag nun bei 33.941. Das waren 573 weniger als vor einem Jahr.
"Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist in diesem Juni - verglichen mit den anderen Jahren - ungewöhnlich gering", erläuterte die Chefin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Margit Haupt-Koopmann. (dpa)
Sandra Mücke ist kein Einzelfall. Laut der 2006 herausgegebenen 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studenten, einer Studie, die alle drei Jahre neu durchgeführt wird, gehen zwei Drittel der Studenten in Deutschland einer Nebentätigkeit nach. Die seitdem angelaufene Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Masterabschlüsse dürfte daran wenig geändert haben.
Die Nachfrage nach Nebenjobs jedenfalls sei groß, so Daniel Cohn von den "Heinzelmännchen", der Arbeitsvermittlung des Berliner Studentenwerks. Die Heinzelmännchen vermitteln seit fast 60 Jahren Nebenjobs an Studenten, laut Cohn rund 30.000 im Jahr. "Und in der Regel gibt es auch genug Angebote." Besonders häufig seien Bürojobs, Haushaltshilfen, Service in der Gastronomie und Tätigkeiten im IT-Bereich. "Wir versuchen, möglichst langfristige Jobs zu vermitteln. Idealerweise bekommen die Studenten eine Arbeit, bei der sie Kenntnisse aus dem Studium anwenden können", erklärt Cohn.
Auch Michael Derieth kennt sich gut mit aus mit Studentenjobs. Der 25-Jährige, der ebenfalls noch studiert, arbeitet für Jobmensa, ein Web-Portal für Studierende und Unternehmen, das im November 2008 online gegangen ist. In 13 deutschen Städten vermittelt die Plattform Jobs, darunter auch in Berlin.
"Die Unternehmen registrieren sich auf unserer Seite", erklärt Derieth das Konzept von Jobmensa. "Die Studenten können sich dann mit Hilfe einer Suchmaschine für den Nebenjob bewerben, der ihnen am meisten zusagt." Der Zulauf sei immens - auch weil es verstärkt Studenten gebe, die arbeiten müssten, um über die Runden zu kommen. "Nicht jeder bekommt genügend Geld von den Eltern oder vom Staat", so Derieth. Zwar gebe es in Berlin keine Studiengebühren, aber auch hier würden die Lebenshaltungskosten stetig steigen. Laut Derieth sind auf Jobmensa.de zurzeit 6.200 Berliner Studenten registriert. Dem gegenüber stünden 230 Jobangebote, hauptsächlich im Werbe- und Bürobereich. Immerhin: die Tendenz sei steigend.
Kaum seriös zu beantworten ist derzeit die Frage, inwieweit sich die Wirtschaftskrise auf das Angebot an Studentenjobs auswirkt. Derieth zufolge gibt es deswegen mehr Nebenjobs: Arbeitgeber würden in Zeiten der Rezession zunehmend Studierende einstellen, weil diese weniger Geld kosten und "schnell wieder auf die Straße geschickt werden können". Bei der Studentenvermittlung der Berliner Agentur für Arbeit bekundet Sprecher René Dreke derweil, dass die Wirtschaftskrise das Angebot an Jobs nicht beeinflusse. "Die Anzahl der bei uns gemeldeten Studentenjobs ist gleichbleibend hoch", sagt er. Angewiesen auf studentische Arbeitskräfte seien die Betriebe dabei aber nicht. "Auch andere Jobsuchende können die ausgeschriebenen Tätigkeiten erledigen", so Dreke.
Daniel Cohn dagegen berichtet, dass bei den Heinzelmännchen seit der Krise ein "Einbruch" an Angeboten deutlich zu spüren sei. Dazu kämen die straffen Studienpläne der Studenten in den Bachelor- und Masterstudiengängen: "Trotz Arbeitswille können sich viele Studenten keinen Job nebenher erlauben", sagt er. "Und viele Arbeitgeber wollen, dass die Jobber mindestens 20 Stunden in der Woche arbeiten - für die meisten Studis ist das unmöglich."
Dass die Kombination von Studium und Nebenjob Stress verursacht, im Extremfall sogar psychisch krank machen kann, weiß Holger Walther, zuständig für die psychologische Beratung der Studierenden an der HU. Seit 15 Jahren betreut der Psychologe Studierende, hauptsächlich bei Prüfungsängsten und Motivationsproblemen. Eines hätte sich, so Walther, seit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge erheblich verändert: "Die Studierenden beklagen sich immer mehr über Zeitdruck und zu hohe Leistungsanforderungen", sagt er. "Sie stellen ihren Nebenjob und das Studium in den Vordergrund und vernachlässigen Hobbys und Freunde." Durch diese "Werteverschiebung" könnten die Studenten zwar trotz Bachelor Nebenjob und Studium unter einen Hut bringen. "Aber wer sich keine Erholungsphasen mehr gönnt, wird auf Dauer psychisch krank."
In der Regel, so der Psychologe, rate er gestressten Studenten, sich innerlich dem Zeitdruck zu entziehen. Zudem ermutige er sie, das Studium auf eigene Weise und mit eigener Zeiteinteilung zu absolvieren. "Manchmal hilft es den Studenten schon, wenn ich sie auf die Möglichkeit des Teilzeitstudiums hinweise oder ihnen andere Wege der Studienfinanzierung aufzeige, als nebenher zu jobben", sagt er. "Das Studentenwerk bietet zum Beispiel eine Sozialberatung an, die auch Kredite berücksichtigt."
Für Martin Weigelt ist derweil die Finanzierung seines Studiums klar geregelt: Der 21-Jährige bekommt regelmäßig Geld von seinen Eltern. Weigelt studiert Geowissenschaften an der Freien Universität, ein Bachelorstudiengang. "Letztes Semester hatte ich sechs Klausuren", berichtet er. "Und habe noch in einer Bar geschuftet." Seinen Job hat Weigelt nun sausen lassen. Er würde gerne neben dem Studium arbeiten - an Möglichkeiten, in Berlin einen Nebenjob zu finden, mangele es nicht. "Aber im Moment ist das einfach nicht drin."
Derweil nippt Sozialwissenschaftsstudentin Silke Brosinski im Café an der HU an ihrem Chai-Tee. Wie Sandra Mücke ist sie auf ihre Nebentätigkeit angewiesen. Zwölf Stunden in der Woche arbeitet die 26-Jährige in einer privaten Arbeitsvermittlung, als "Mädchen für alles". "Natürlich wäre es leichter, wenn ich nicht arbeiten müsste", räumt sie ein. Doch durch den Job lerne sie, sich ihre Zeit einzuteilen. Manchmal, so Brosinski, treffe sie Studenten, die nicht arbeiten, und die seien "viel gestresster". "Bei mir stellt sich nicht die Frage, nicht zu arbeiten. Ich habe keine Wahl."
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