Strukturhilfen für Braunkohleregionen: Notwendiger Umbau

Zwei Großforschungszentren sollen die Ängste der Ostdeutschen vor dem Kohleausstieg mildern. Ihre stabilisierende Wirkung stößt auf Skepsis.

Im Fordergrund ein Fedlmit Sonnenblumen, weit hinten ist das Kohlekraftwerk Jänschwalde in der Lausitz zu sehen

Das Ende des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde in der Lausitz ist für 2028 vorgesehen Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

DRESDEN taz | Stimmungskontraste an den letzten beiden Septembertagen. In Berlin strahlen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Michael Kretschmer und Reiner Haseloff, um die Wette. Als Kompensation für den auslaufenden Wirtschaftsfaktor Braunkohle bekommen sie zwei mit je 1,1 Bundesmilliarden geförderte Großforschungszentren im einsamen Sorbengebiet der Oberlausitz und in der mitteldeutschen Chemieregion zwischen Delitzsch und Leuna. Eine mit 63 internationalen Fachleuten besetzte Kommission hatte sie im Auftrag der Bundesregierung aus sechs Bewerbern bestimmt, die vor einem Jahr wiederum aus 97 Antragsskizzen ausgewählt wurden.

Am Tag danach ist es in der Dresdner Staatskanzlei neben Professor Peter H. Seeberger für das künftige Center for the Transformation of Chemistry (CTC) vor allem der Astrophysiker Professor Günther Hasinger, der eine ansteckend gute Laune verbreitet. Die muss man allerdings in der adressierten Förderregion Lausitz meist vergeblich suchen.

Schon vor zwei Jahren winkten auf die Forschungspläne angesprochene Einwohner ab. „Das rauscht an uns ebenso vorbei wie der geplante IC Berlin–Görlitz“, hieß es. Die Region brauche vor allem Ersatzarbeitsplätze und Gewerbeförderung, die aber das Strukturstärkungsgesetz nicht vorsieht.

Der jüngst veröffentlichte „Sachsen-Monitor 2021/22“ belegt außerdem, dass alle Zuversichts- und Zufriedenheitsquoten in der Oberlausitz dem Landesdurchschnitt um mindestens 10 Prozent hinterherhinken. Die Hälfte der Befragten empfindet ihre Region als abgehängt. Die Angst vor einem erneuten Strukturbruch wie vor 32 Jahren sitzt in der ehemaligen DDR-Vorzeigeregion tief.

Losgelöst vom Kontext des Trostes für den Osten bieten die beiden Großforschungszentren aber interessante wissenschaftliche Ansätze. Die überschwängliche Weise, wie CTC-Sprecher Seeberger die Bedeutung der chemischen Industrie lobt, erinnert zwar etwas an die DDR-Chemiekampagne Mitte der 1960er Jahre. Die Notwendigkeit einer Umstrukturierung hat aber einen aktuellen rationalen Kern. Chemie steckt zwar in fast allen Produkten und steht am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. Aber sie ist auch besonders krisenanfällig, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und Energieträgern betreffend. Ohne Beschönigungsversuche räumt Peter Seeberger schädliche Folgen ein, spricht von „Umweltvergiftung“ und „immensem Kohlendioxid-Ausstoß“.

Kreislaufwirtschaft aufbauen

Transformation lautet deshalb das Schlüsselwort. „Wir müssen die Chemie in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft wandeln“, beschreibt der CTC-Sprecher das Hauptziel künftiger Forschungsarbeit. Auf welchen Feldern sie im Einzelnen vorangetrieben werden soll, wird noch nicht mitgeteilt. Bekannt ist aber, dass die Ablösung traditioneller Kohlenstoffquellen ein zentrales Problem ist. Seeberger spricht von „Grundchemikalien“, die nicht mehr nur aus Rohstoffen, sondern in Recyclingprozessen gewonnen werden sollen. Partner des CTC werden die Universitäten in Halle, Leipzig und Dresden sein.

20 Kilometer nördlich von Leipzig wird der Hauptstandort in der ehemaligen Zuckerfabrik von Delitzsch liegen, bislang eher für seine Schokoladenprodukte bekannt. Die Stadt wurde auch deshalb ausgewählt, weil sie einen Elektroenergieüberschuss alternativ produziert. Einbezogen wird aber auch das sogenannte Chemiedreieck Halle-Merseburg-Bitterfeld mit den Leuna-Werken. Die rund tausend Beschäftigten, darunter vier Fünftel Facharbeiter und nichtwissenschaftliches Personal, sollen aus diesem Gebiet kommen. Angestrebt wird auch eine regionale Wirksamkeit durch Ausgründungen von Start-ups.

Die Angst vor einem erneuten Strukturbruch wie vor 32 Jahren sitzt in der ehemaligen DDR-Vorzeigeregion tief

Solche Effekte erhofft man sich auch in der Lausitz. Ralbitz-Rosenthal hat mit Delitzsch zunächst nur die altsorbisch-slawische Namensherkunft gemein. Den frommen Sorben und Pilgern ist Rosenthal mit seiner großen Kirche bislang nur als Wallfahrtsort bekannt. Und hier soll auf der grünen Wiese ein wissenschaftlicher Brutkasten entstehen, der an das sowjetisch-sibirische Akademgorodok bei Nowosibirsk erinnert?

Nicht auf der Wiese, sondern unter der Wiese. Ein „Low Seismic Lab“ mit den Ausmaßen von 40 x 30 x 30 Metern in 200 Meter Tiefe als Zentrum eines kilometerlangen Tunnelsystems bildet eine von drei Komponenten des künftigen Deutschen Zentrums für Astrophysik. Für Präzisionsmessungen, für die Beobachtung durch bewegte Himmelsmassen erzeugter Gravitationswellen und die Entwicklung von Zukunftstechnologien sind hochstabile Standorte erforderlich. Die große Lausitzer Granitplatte ist weitgehend frei von seismischen Erschütterungen. Ihre wissenschaftliche Nutzung nährt außerdem die Hoffnung der Lausitzer, von einem dort erwogenen Atommüll-Endlager verschont zu bleiben.

Ursprünglich hatte man in der Lausitz mit Wasserstoffforschung gerechnet, der bisherigen Energieregion verwandt. Jedenfalls nicht mit Sätzen des designierten Direktors Professor Günther Hasinger wie „Was soll ein UFO in der Lausitz?“ und „Die großen Rätsel liegen da draußen“, also im Universum. Als einer von drei Standorten für das ab 2025 geplante europäische Einstein-Teleskop bleibt der Lausitzer Granit immerhin im Gespräch. Vor allem soll in Görlitz an der Neiße in einem offenen Campus ein Superrechenzentrum entstehen, das den „Datentsunami“ aus dem All verarbeiten kann. Das Zusammenschalten mehrerer Observatorien zu einem weltweiten Superteleskop verlangt solche immensen Verarbeitungskapazitäten.

Auch die Verantwortlichen für das künftige Astrophysikzentrum betonen die segensreiche Wirkung für die Region, nicht nur wegen der geplanten ebenfalls etwa tausend Arbeitsplätze. Schon jetzt habe man ein Netzwerk von etwa 50 Firmen aufgebaut, vom Ingenieurbüro bis zu Mittelständlern. „Wir stärken die richtigen Leute, die nicht resignieren“, sagt der beteiligte Professor Christian Stegmann, Direktor am Elek­tro­nen-­Syn­chotron in Zeuthen.

Arbeitsplätze für Pendler

Gleichwohl regt sich auch Kritik. Regionale Linken-Abgeordnete wie Caren Lay aus dem Bundestag und Antonia Mertsching aus dem Sächsischen Landtag hatten schon im Juli moniert, dass Entscheidungen nicht mit den Bürgern abgestimmt würden und die Kohle-Kernregion der Lausitz unberücksichtigt bleibe. Professor Reint Gropp, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, stellt die Frage, warum man nicht gleich an bestehende Institute angedockt habe und ob wirklich Ersatzarbeitsplätze entstehen. Vermutet wird ein hoher Anteil an Pendlern.

Skepsis löst vor allem der Umstand aus, dass nach einer dreijährigen Vorbereitungsphase praktisch erst ab 2026 mit den Bauten begonnen werden soll. Wirkungen werden also erst in einigen Jahren erwartet. Am selben 29. September überholte hingegen der Lausitzer Kraftwerksbetreiber LEAG die Hightech-Großforschungsvorhaben mit der Ankündigung, schon bis 2030 auf Tagebaubrachen einen regenerativen Energiepark im Gigawattbereich zu installieren. Bis zu vier Millionen Haushalte könnten mit Elektroenergie versorgt werden.

Zuvor hatten bereits das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und die Technische Universität Cottbus-Senftenberg in Studien Chancen der Energiewende für die Lausitz aufgezeigt und eine jährliche Wertschöpfung von bis zu 450 Millionen Euro für die Region errechnet. Unter existenzsichernden Aspekten erscheinen den Einwohnern solche Vorhaben greifbarer als die abstrakt wirkende Grundlagenforschung.

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