: „Strich„-Liste unter Anklage
■ „Milieukartei“ der Kripo weiterhin umstritten / Datenschutzbeauftagte kritisiert „diskriminierendes“ Verfahren
West-Berlin. Die Fragen, die sich im Zusammmenhang mit der umstrittenen „Milieukartei“ bei der Berliner Kriminalpolizei stellen, blieben in der letzten Sitzung des Datenschutzausschusses offen.
Juristisch unterschiedliche Positionen und Argumentationen standen sich gegenüber, und ungeklärt blieb weiterhin, auf welcher Rechtsgrundlage die Berliner Kripo in dieser Kartei 8.000 Daten von Personen - darunter auch die von Prostituierten - gespeichert hat. Nach welchem Modus werden die Prostituierten registriert? Reicht der bloße Verdacht der Prostitution? Woher stammen die „künstlerischen“ Porträtfotos der Frauen in dieser Kartei? Denn offensichtlich seien es keine Ermittlungsfotos, monierte Claudia Schmidt, Pressereferentin des Berliner Datenschutzbeauftragten.
Ohne daß ein konkretes Ermittlungsverfahren vorliege, sei es unnötig und rechtswidrig, Namen und Daten von Prostituierten in einer Kartei zu speichern, kritisierte der Berliner Datenschutzbeauftragte, Hansjürgen Garstka, die Sammelwut der Polizei. Die undifferenzierte Registrierung von Prostituierten sei diskriminierend, ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und verstoße gegen das Verbot der Vorratsspeicherung.
Schon 1983 hatten die Richter des Bundesverfassungsgerichts in dem Volkszählungsurteil eine Normenklarheit gefordert und entschieden, daß jedeR BürgerIn wissen muß, wer welche Daten zu welchem Zweck erhebt. Vor dem Hintergrund dieses Urteils bewege sich die Berliner Kripo juristisch auf sehr dünnem Eis, kritisierte der Berliner Datenschutzbeauftragte. Der Sprecher der Innenverwaltung, zuständig für die Aufsicht der Polizei, und der Kripobeamte Helmut Mey wollten diese Argumentation nicht gelten lassen. Sie beriefen sich mit dem Argument der allgemeinen Gefahrenabwehr auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Die Rechtsgrundlage für diese Kartei sei somit ausreichend. Prostitution gehöre zum Bereich der Organisierten Kriminalität. Das Milieu sei geprägt von Straftaten wie Menschenhandel, Zuhälterei und Förderung der Prostitution und der damit einhergehenden Begleitkriminalität wie Vergewaltigung, Raub, Nötigung und Körperverletzung. Prostituierte seien nun mal potentielle Opfer dieser Strafttaten.
Der Ausschuß konnte in der Frage der Rechtsgrundlage zu keiner Einigung kommen. Konsens aber war, daß die unterschiedlichen Stellungnahmen von Innenverwaltung, Polizei und Datenschutzbeauftragtem dem Innensenator zur Prüfung vorgelegt werden. Die AL wird einen Antrag auf Vernichtung der Kartei ins Abgeordnetenhaus einbringen, um den Innensenator zu einer eindeutigen Stellungnahme in puncto „Prostituiertenkartei“ zu zwingen.
Den Stein ins Rollen brachte ein Gerichtsverfahren im vergangenen Jahr. Eine Frau war wegen Zuhälterei angeklagt worden, weil sie Prostituierte telefonisch Hausbesuche bei Freiern vermittelt habe. Im Zuge der Ermittlungen wurde ihr Adreßbuch beschlagnahmt. Daraus pickte sich die Polizei drei Zeuginnen heraus. Was zuerst als Zufall schien, entpuppte sich als gezielte Aktion. Bei der Vernehmung wurde klar: Alle drei Zeuginnen hatten ehemals als Prostituierte gearbeitet. Eine Zeugin hatte bereits vor zehn Jahren damit aufgehört. Woher wußte die Kripo von der Vergangenheit der Zeuginnen? Der Beamte gab unumwunden zu, die Kripo habe eine Kartei.
Michaela Eck
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