: Stress für französische Waldorfschulen
Steiner am Pranger: Nachdem die französische Regierung die Anthroposophie erstmals in ihrem offiziellen Sektenbericht aufgeführt hat, bläst den 18 Waldorfschulen in Frankreich ein eisiger Wind ins Gesicht
Wenn die Schulbehörden in Frankreich aktiv werden, wird es für manche Lehreinrichtungen ungemütlich. Seit über einem Jahr beobachten Inspektoren im ganzen Land den Unterricht und prüfen Esssäle und Toiletten von Waldorfschulen.
Das Urteil über die derzeit 18 Schulen fällt in vielen Fällen schlecht aus. Bemängelt wird unter anderem, dass die staatlich verordneten Impfungen in vielen Fällen nicht stattfinden, außerdem seien die Kompetenzen der Lehrer zweifelhafter Natur. Rückendeckung erhalten die Behörden dabei von der Regierung. Sie selber hat in ihrem aktuellen Sektenbericht die Anthroposophie an den Pranger gestellt. „Wir haben es mit einer Bewegung zu tun, die sich als spirituelle Wissenschaft präsentiert und deren diverse Unternehmungen durch ein autonomes oder gar unabhängiges Bankwesen gestützt werden“, lautet unter anderem die Begründung der „Interministeriellen Kommission für den Kampf gegen Sekten“.
Da die Anthroposophie in Frankreich so gut wie keine Rolle spielt, verwundert die Heftigkeit, mit der die Lehre Rudolf Steiners gegeißelt wird. Doch seit dem Massentod der Anhänger des „Ordens des Sonnentempels“ misstraut die französische Öffentlichkeit jeder nichtstaatlichen Gemeinschaft, besonders, wenn es um das Schulwesen geht. Im Gegensatz zu Deutschland haben pädagogische Strömungen wie Montessori- oder Waldorfpädagogik in Frankreich nie richtig Fuß gefasst. Das Schulwesen wird zentralistisch vom Staat kontrolliert, Vielfalt ist nicht erwünscht. Allenfalls katholische Schulen werden als Alternative akzeptiert.
Kein Wunder also, dass die paar Waldorfschulen argwöhnisch beäugt werden. Tatsächlich lässt der Standard vieler Schulen zu wünschen übrig. „Höchstens drei Schulen der französischen Waldorfschulen sind vergleichbar mit unseren Schulen“, so Walter Hiller, Pressesprecher des Bundes Freier Waldorfschulen e. V. in Stuttgart. In der Mehrzahl von französischen, deutschen oder holländischen Aussteigern gegründet, verfügen die Waldorfschulen in Frankreich selten über mehr als 80 Schüler, die Lehrer sehen sich vielfach als die letzten Aufrechten im Kampf gegen das staatliche Schulsystem. Schnell prallen Ideologien aufeinander, und das sehen auch die deutschen Anthroposophen nicht gern. „Wenn das alles zu hermetisch wird, bekomme ich auch Probleme“, erklärt Hiller.
Deutsche Waldorfschulen sind dagegen weitgehend in die Gesellschaft eingegliedert. Viele Schüler der über 180 Lehrstätten kommen aus gutbürgerlichen Familien. Ehemalige Waldorfschüler haben politische Ämter oder gründen Unternehmen, die auf der Grundlage der Anthroposophie arbeiten. Doch auch in Deutschland wird Steiners Lehre immer wieder argwöhnisch beäugt. Kritiker unterstellen der Waldorfpädagogik unter anderem eine gewisse Weltfremdheit, die Kindern beim Umsatteln in konventionelle Schulen Schwierigkeiten bereite. Auch der Vorwurf, Steiners Schriften verbreiteten rassistisches Gedankengut, wird immer wieder laut.
In Deutschland schmälern solche Vorwürfe kaum noch das Ansehen der Anthroposophie in der Gesellschaft. Besonders in Großstädten sind die Wartelisten für einen Platz an einer Waldorfschule lang. Und nicht wenige LehrerInnen an staatlichen Grundschulen greifen mittlerweile bei der Konzeption ihres Unterrichts auf Montessori- und Waldorfpädagogik zurück. CHRISTINE BERGER
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