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Streitgespräch zum Bundesteilhabegesetz„Im Gesetz wird herumgeeiert“

Für Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen stellt das neue Teilhabegesetz keinen Meilenstein dar. taz-Redakteurin Barbara Dribbusch sieht Fortschritte. Ein Gespräch.

Selbstbestimmt leben ist für jeden das Wichtigste: Demonstration zum Teilhabegesetz in Berlin Foto: dpa
Katrin Gottschalk
Interview von Katrin Gottschalk

taz: Der Bundestag hat das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Wie schätzt Ihr das ein?

Raúl Krauthausen: Ich teile nicht die Auffassung der Bundesregierung, dass es sich hierbei um einen Meilenstein für Menschen mit Behinderungen handelt. Das letzte halbe Jahr haben wir damit verbracht, Verschlechterungen aus dem Gesetz herauszukämpfen, aber es ist ein Gesetz, das immer noch Verschlechterungen beinhaltet. Es ist aber insoweit ein Meilenstein für die Behindertenrechtsbewegung, weil sie Allianzen geschlossen hat und Menschen mit Behinderungen sichtbar waren und nicht nur ständig ihre Fürsprecher aus der Wohlfahrt.

Barbara Dribbusch: So negativ sehe ich das Gesetz nicht. Es gibt doch klare Verbesserungen. Nach dem neuen Gesetz können ab dem Jahre 2020 behinderte Menschen bis zu 50.000 Euro sparen und 30.000 Euro brutto im Jahr verdienen, bevor sie etwas dazuzahlen zu den Assistenzen. Der Partner und die Partnerin sind komplett freigestellt. Früher wurde fast alles angerechnet, das sind doch Fortschritte.

Krauthausen: Das stimmt, aber das sind Verbesserungen, die überfällig sind. Diese Regelungen mit den Anrechnungen sind ja 30 Jahre lang nicht angefasst worden. Und mal ehrlich: 50.000 Euro sind nicht viel, das ist vielleicht eine Lebensversicherung oder ein Auto, dass auch noch umgebaut werden muss. Wer Karriere macht, knackt auch die Freigrenze von 30.000 Euro brutto im Jahr und bekommt dann durch die Anrechnung am Ende weniger als die Kollegen ohne Behinderung.

Dribbusch: Aber man kann die Kostenfrage doch nicht totschweigen. Bei einer Rund-um-die-Uhr-Assistenz kosten die HelferInnen im Schichtbetrieb im Monat mehr als 10.000 Euro. Bei Hartz-IV-Empfängern und alten Menschen in Heimen werden Einkommen und Vermögen, auch des Partners, mit angerechnet auf die Sozialleistungen. Insofern ist das Teilhabegesetz mit den höheren Freibeträgen doch ein Fortschritt für behinderte Menschen.

Krauthausen: Wenn ich weniger verdiene als Kollegen, die die gleiche Arbeit machen, bin ich doch doppelt gestraft, durch die Tatsache, dass ich durch Barrieren im Alltag behindert werde und durch den Abzug. Es geht uns nicht um Luxus wie eine Yacht oder Villa. Wir wollen nur eine Gleichbehandlung mit Nichtbehinderten. Die Sozialleistung ist der Nachteilsausgleich für eine Behinderung, die man nicht aus eigener Kraft ändern kann, ein Leben lang nicht.

Bild: Sozialhelden e.V.
Im Interview: Raúl Aguayo-Krauthausen

geboren 15. Juli 1980 in Peru, lebt in Berlin. Er ist studierter Kommunikationswirt und Design Thinker und arbeitet als Blogger, Moderator, Menschenrechts- und Inklusionsaktivist. Im April 2013 hat Raúl Krauthausen für sein soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten. 2014 veröffentlichte er seine Autobiografie „Dachdecker wollte ich eh nicht werden. Das Leben aus der Rollstuhlperspektive.“

taz: Die Aktivisten kritisieren am Teilhabegesetz, dass dies den Sozialämtern erleichtern könnte, Menschen mit Behinderungen in Heime abzuschieben, anstatt ihnen das selbständige Wohnen mit Assistenzen zu ermöglichen. Wie schätzt Ihr das ein?

Dribbusch: Der entsprechende Passus ist erheblich nachgebessert worden. Dort steht jetzt, dass dem Wohnen außerhalb von Einrichtungen der Vorzug zu geben ist, wenn ein behinderter Mensch das wünscht.

Krauthausen: Nach der Einschätzung unserer Juristen, die eine Behinderung haben, ist die neue Regelung im Teilhabegesetz schwächer als sie bisher im Sozialgesetzbuch steht. Wenn man sich den Absatz im Gesetz genau anschaut, wird da tierisch herumgeeiert zwischen Zumutbarkeit und Angemessenheit. Das heißt, in Zukunft, werden es die Sozialämter leichter haben als bisher, Menschen mit Behinderungen aus Kostengründen in Heime zu schicken. Vielleicht nicht in der Masse, aber es wird mehr Einzelfälle geben, als es sie heute schon gibt.

Bild: Jutta Henglein-Bildau
Im Interview: Barbara Dribbusch

taz-Redakteurin für Soziales, berichtet unter anderem über Behindertenpolitik, das erste Mal vor 30 Jahren zum monatelangen Streit über die Kürzung bei den Telebusfahrten für Rollifahrer in Berlin.

Dribbusch: Auf einer Veranstaltung der Grünen sagten Sachverständige, dass spätestens die Gerichte in der Regel bisher schon so entscheiden, dass behinderte Menschen alleine mit Assistenzen leben können und nicht ins Heim geschickt werden dürfen, nur weil die Versorgung dort billiger ist.

Krauthausen: Es gibt zwei prominente Fälle, wo behinderte Menschen ins Heim gezwungen wurden, ganz aktuell die Geschichte von Dirk Bergen zum Beispiel und ich kann weitere Fälle nennen. Man muss sich außerdem mal vorstellen, welche Kraft, welche Zeit und welche Mühe es kostet für einen behinderten Menschen, gegen eine solche Entscheidung des Sozialamts zu klagen. Ich war selbst einmal undercover, unter anderem Namen in einem Heim zur Recherche. Ich habe dort einen jungen Bewohner kennengelernt, der war geistig voll da, nur körperlich schwer eingeschränkt. Der wurde überhaupt nicht unterstützt, aus dem Heim mal herauszugehen, etwas auszuprobieren. Der hat fünf Tage RTL II geguckt. Das ist eine Schattenwelt, die hat mich so zornig gemacht. Man muss sich auch genau anschauen, wer beim Teilhabegesetz wo klatscht. Das ist nämlich auch die Wohlfahrt, darunter sind Verbände, die Heime betreiben. Die wollen nicht, dass die Heime leer werden.

taz.mit behinderung

Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.

Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.

taz: Wie geht es denn jetzt weiter mit dem Protest?

Krauthausen: Wir als AbilityWatch werden jetzt Fälle sammeln, die von dem neuen Gesetz betroffen sind und wir werden das begleiten, auch juristisch, und dokumentieren, wo es regional unterschiedliche Auslegungen gibt, etwa in Bayern oder in Niedersachsen. Wir werden Alarm schlagen.

Moderation: Katrin Gottschalk

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3 Kommentare

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  • Die kritische Beobachtung und Überprüfung der angeblichen Verbesserungen bzw. deren Gegenteil finde ich sehr wichtig. Anders geht es nicht, weil sonst nur in Paragraphen und Fantasien der Politiker gestöbert wird, mit dem Ergebnis "ist doch alles gut, wir sind so sozial und inklusiv..."

     

    Es ist behinderten und nichtbehinderten Menschen nicht zuzumuten, für ihre Rechte auf juristischer Ebene zu kämpfen. Wer so was sagt, hat keine Ahnung, wie so was von sich geht und wie lange es dauert und wie demütigend es ist.

     

    Die wenigen Kräfte und sehr überschaubaren finanziellen Mittel der Betroffenen brauchen sie für den Alltag.

     

    Übrigens: Wer als Behinderte/r sehr viel verdient oder verdient hat bzw. gut abgesichert ist - wie z.B. Frau Lierhaus, kann sich einerseits beste Unterstützung auf eigene Kosten leisten und wird andererseits auch keinen Cent von Sozialämtern dafür bekommen. Blöd bleibt die Einschränkung dennoch. Aber der ganze demütigende Aufwand für die "Teilhabe" entfällt wenigstens.

  • Teilhabe ist nicht einfach. Teilhabe an den Errungenschaften und Wohlständen ist das eine, Teilhabe am Erleisten und Erwirtschaften das andere. Ansprüche haben irgendwie alle.

     

    Die Kritik an der Wohlfahrt kann ich gut verstehen, lenkt die doch die bereitgestellten Mittel in eine bestimmte Richtung.

     

    Andererseits finde die Ansprüche von Herrn Krauthausen schon ziemlich sportlich. Für 50.000 Euro muss eine Familie mit Kindern "ewig" sparen ... und diese Mittelstandsfamilie wird dann der Rechtsanwältin mit Behinderung, die viellicht solche Summen ersparen kann, die tägliche persönliche Assistenz finanzieren während der anrechnungsbefreite Partner geschont wird.

     

    Als kinderloser Student*in fand ich diese Gruppe unterstützenswert, als junge Familie wollte ich mehr für Familien, als "Spitzen"verdiener will ich nun Entlastung für Leistungsträger und irgendwann als Rentner werde ich mehr Geld für diese Gruppe fordern. Jeder schön durch seine Brille, wobei sich die Interessen im Laufe des Lebens ändern. Und ... auch andere haben "Ansprüche". Insofern ist das neue Gesetz durchaus ein Schritt nach vorne.