Streitgespräch Sven Giegold und Ulrich Brand: "Keine Zeit für Systemfragen"
Der "Grüne New Deal" bewahrt den Status quo, sagt Ulrich Brand, Politikprofessor und Koordinator bei Attac. Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold hält dagegen.
taz: Herr Brand, der Grüne New Deal soll Wirtschafts- und Umweltkrise gleichzeitig lösen. Eine gute Idee?
Ulrich Brand: Der Grüne New Deal verengt die Krise auf eine ökologische Veränderung des Kapitalismus. Und das halte ich für sehr gefährlich. Die Grünen denken, mit den entsprechenden Technologien und einem geeigneten Ordnungsrahmen ließen sich die Märkte schon steuern. Sozial-ökologischer Umbau muss auch herrschaftskritisch sein, statt das bestehende System zu stabilisieren.
Herr Giegold, sind Sie wirklich vom Attac-Kämpfer zum Systembewahrer geworden?
Sven Giegold: Auch schon bei Attac fand ich wichtig, zwischen dem zu unterscheiden, was man jetzt erreichen kann und was langfristig zu wünschen ist. Der Grüne New Deal ist ein Konzept, das die Krise nutzt, um die sozialen und ökologischen Fortschritte rauszuholen, die im derzeitigen System möglich sind.
Also geht es doch um die Rettung des Kapitalismus.
Giegold: Natürlich stabilisieren Verbesserungen im Hier und Jetzt auch den Kapitalismus. Aber die Verelendungstheorie - dass alles immer schlimmer werden muss, damit das revolutionäre Potenzial steigt - ist einfach nur zynisch. Der Grüne New Deal ist sicher kein Konzept für eine gute Gesellschaft der nächsten 100 Jahre und beendet auch nicht die Debatte um den Kapitalismus. Sozial-ökologische Regulierung und Kapitalismuskritik sind kein Widerspruch.
Brand: Ich würde auch nicht behaupten, dass man innerhalb des Kapitalismus gar nichts verändern soll. Aber das Regulierungsverständnis der Grünen finde ich gefährlich. Denn sie vertrauen auf einen Staat, der längst selbst neoliberal transformiert ist. Die Kapitalmacht hat zugenommen, der Staat wurde auf marktradikale Linie gebracht. Damit Regulierung nicht nur auf einen neuen Deal mit den Eliten hinausläuft, müssen zunächst die Kräfteverhältnisse verschoben werden.
Giegold: Natürlich wird die Welt durch neue Gesetze allein nicht besser. Aber mit dem Grünen New Deal setzen wir doch gerade auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Bei den erneuerbaren Energien ist beispielsweise eine Art ökonomische BürgerInnenbewegung entstanden aus mittelständischen Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern, die Solaranlagen aufs Dach bauen, und Landwirten, die nachwachsende Rohstoffe anbauen. Und diese Bewegung bildet ein Gegengewicht zu den großen Energiekonzernen. Genau darum geht es auch beim Grünen New Deal: Mit Gesetzen einen Rahmen schaffen für die notwendige Verschiebung der Kräfteverhältnisse.
Alle Parteien haben die Ökologie entdeckt. Wie "grün" ist der New Deal eigentlich noch?
Giegold: Es freut mich, wenn auch andere unsere Konzepte gut finden. Aber leider haben sie nicht viel kapiert. Steinmeier etwa redet viel davon, was wachsen soll, aber schweigt, was schrumpfen muss. Wenn erneuerbare Energien und Öko-Landwirtschaft wachsen sollen, heißt das eben auch, dass Kohlekraftwerke, spritfressende Autos und Agrarfabriken verschwinden müssen. Dies klar zu benennen, trauen sich die Sozialdemokraten aber nicht.
Auch die Grünen reden lieber vom Wachstum als vom Schrumpfen.
Giegold: Sie werden in einem grünen Papier nie ein Bekenntnis zu plumpem Wirtschaftswachstum finden - anders als etwa bei der SPD oder bei Teilen der Linken. Wir sprechen lieber von wirtschaftlicher Dynamik und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Brand: Das ist doch Rhetorik. Ein klares Bekenntnis gegen Wachstum gibt es bei den Grünen auch nicht. Weil man damit nämlich auch den Kapitalismus insgesamt in Frage stellen müsste.
Giegold: In der Tat kennen wir bisher keinen Kapitalismus, der langfristig ohne Wachstum auskommt. Ich gebe zu, dass ich mir da theoretisch unsicher bin, ob es Kapitalismus ohne Wachstum geben könnte. Jedenfalls ist ewiges Wachstum weder ein soziales Ziel an sich, noch geht es ökologisch.
Brand: Es ist wichtig, dass wieder stärker über Wachstumskritik und alternative Wohlstandsmodelle diskutiert wird. Aber den Kern des Problems löst das nicht. Hinter der ökologischen Krise stehen bestimmte Produktions- und Konsumweisen. Und dafür muss auch die Eigentumsfrage gestellt werden. Aber das machen die Grünen nicht.
Giegold: Eine Antwort auf die Frage, wie eine funktionierende Ökonomie jenseits von Privateigentum an Produktionsmitteln aussehen soll, haben wir tatsächlich nicht. Die hat aber auch sonst niemand. Deshalb ist es absurd, das nur von uns einzufordern. Ich teile die Position, dass wir die Suche nicht aufgeben sollten. Aber in der Zwischenzeit sollten wir all jene Unternehmen unterstützen, die zwischen dem kapitalistischen Markt und dem eher autoritären Staat arbeiten. Dazu gehören Genossenschaften und viele andere Formen von solidarischer Ökonomie.
Wie sieht das bessere Wirtschaftssystem aus, Herr Brand?
Brand: Ich halte die Debatte um solidarische Ökonomie und um Unternehmen in öffentlichem Eigentum auch für wichtig. Doch es geht auch um die gesellschaftliche Organisation der Arbeit und hier ist derzeit die Arbeitszeitverkürzung eine zentrale Frage. Denn damit kann nicht nur Arbeitslosigkeit und der Fetisch Lohnarbeit bekämpft werden, sondern ebenso Produktivismus, Konsumismus sowie die Fixierung auf Wachstum. Aber auch das genügt nicht. Kapitalismus heißt eben immer auch, dass wir es mit bestens organisierten Kräften zu tun haben. Deswegen gilt es vor allem darum, die gesellschaftlichen Gegenkräfte stärken.
Das klingt eher nach einem längerfristigen Projekt. Brauchen wir in der akuten Krise nicht konkretere Antworten?
Brand: Der Druck der immer notwendigen "konkreteren Antworten" ist ein Problem. Gerade in der Krisenkonstellation haben wir doch das Potenzial, Diskussionen anzustoßen und Strategien zu formulieren, die deutlich weiter gehen. Die Krise wird anerkannt, es gibt eine breite Neoliberalismuskritik. Das sollte man nicht durch eine Verengung der Debatte auf den Grünen New Deal blockieren. Wir müssen mittel- und langfristig denken.
Giegold: Wenn wir unsere Zeit mit solchen Grundsatzdebatten verschwenden, vergeben wir eine historische Chance. In einer solchen Krise muss man die Gunst der Stunde nutzen, um wenigstens das Mögliche durchzusetzen - auch wenn das einen Pakt mit dem Teufel bedeutet. Eine Ökologisierung und soziale Bändigung des Kapitalismus abzulehnen, weil damit unser Wirtschaftssystem nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, scheint mir angesichts der Klimakrise zynisch. So viel Zeit haben wir nicht mehr.
Brand: Ich würde mich auch in der Klimadebatte nicht unter Druck setzen lassen. Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn es unter den derzeitigen Bedingungen kein neues Klimaabkommen gibt.
Sie wollen ernsthaft, dass die Konferenz im Dezember in Kopenhagen scheitert?
Brand: Wenn man sich ansieht, wie schlecht das Kioto-Abkommen funktioniert hat, wäre ein Scheitern vielleicht augenöffnend. Bevor es wieder so ein Fake-Abkommen gibt, sollten wir lieber darüber nachdenken, wie solche globalen Probleme künftig besser angegangen werden können.
Giegold: Eine solche Argumentation finde ich extrem gefährlich. Das Kioto-Abkommen war enttäuschend, weil nur wenige Länder mitmachen; und von denen hat sich nur ein Teil an die Vereinbarungen gehalten. Trotzdem war das Abkommen gerade für die kritische Zivilgesellschaft eine große Hilfe, denn sie konnten ihre Regierungen daran messen. Ohne ein neues Abkommen haben wir keine Chance, die notwendigen Treibhausgas-Minderungen zu schaffen.
Brand: Einspruch. Im Moment wird zwar so getan, als ob man die Welt von oben mit einem globalen Umweltmanagement steuern kann und die Nationalstaaten das dann schon umsetzen werden. Kioto hat aber gezeigt, dass das nicht funktioniert. Vielmehr wurde die Verantwortung auf die internationale Ebene wegdelegiert. Die zentrale Frage aber ist doch, wie Regierungen vor Ort und andere lokale Akteure unter Druck gesetzt werden können, wirklich etwas zu ändern. Ein neues Abkommen auf internationaler Ebene wird dies nicht leisten.
Giegold: Das sehe ich anders. Ein neues internationales Abkommen mit weitergehenden Minderungszielen und mehr beteiligten Ländern wäre auf jeden Fall ein Fortschritt - für die Verschiebung von Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft und für den Schutz der Schwächsten der Welt, die die Opfer des Klimawandels sind.
Trotz Finanzkrise profitiert die FDP. Ihre Erklärung?
Giegold: Die Stimmung in Deutschland bleibt mir teilweise wirklich rätselhaft. In der Krise setzen alle auf den Staat, aber gleichzeitig haben viele eine extrem große Skepsis gegenüber allem Staatlichen. Das zeigt, dass wir eine Demokratiekrise haben. Wir müssen zeigen, wie Politik so demokratisiert wird, dass die BürgerInnen das Ausweiten dieses Öffentlichen wieder als emanzipatorisch empfinden, etwa weil sie wirklich mitentscheiden können.
Brand: Zentrales Problem ist das mangelnde Vertrauen in die Politik. Bei den Neoliberalen liegt das an ihrem Grundmisstrauen gegen den Staat. Linke nehmen den Staat hingegen als klientelistisches Eliteprojekt wahr - zu Recht, wenn man sieht, dass die Banken die Gesetze zur Bankenregulierung selbst schreiben.
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