Streit um ein Kunstwerk: Stein des Anstoßes
Im Tiergarten ruht seit 13 Jahren ein roter Sandstein. Ein Künstler hat ihn aus Venezuela mitgebracht. Nun fordern Demonstranten die Rückgabe. Heute wird dafür demonstriert.
Es ist ein seltsam erhabener Anblick: Rostrot schimmert der Monolith, er hebt sich ab vom Grün des Tiergartens und vom wolkenverhangenen Himmel. Seine Maße sind beeindruckend: fünf Meter lang, einen Meter breit, zwei Meter hoch. Der Stein, der aus einer Ecke der Welt stammt, die seit gut 500 Jahren Venezuela heißt, ist wahrlich kein Leichtgewicht. Auch politisch nicht.
An diesem Vormittag laufen ein Kamerateam und ein Mann mit weißem Haar quer über die Parkwiese zielstrebig in Richtung Monolith. Der ältere Herr ist der 79-jährige Wolfgang von Schwarzenberg: Er schiffte den Koloss vor 13 Jahren aus Venezuela nach Berlin. Der rote Sandstein wurde Teil seines Projekts „Global Stone“: Zusammen mit vier weiteren Felsbrocken aus Afrika, Asien, Australien und Europa platzierte Schwarzenberg ihn im Tiergarten. Das Kunstwerk sollte die Hoffnung auf Frieden zwischen den Völkern ausdrücken. Inzwischen löst es in Venezuela Straßenproteste aus.
Vergangenen Freitag demonstrierten rund 50 Pemón-Indianer vor der deutschen Botschaft in Caracas: Sie forderten den Stein, der für sie spirituelle Bedeutung hat, zurück. Einem lokalen Mythos zufolge ist in dem Stein ein verzaubertes Mädchen eingeschlossen. Es hatte sich trotz eines Verbots in einen Jungen aus einem anderen Stamm verliebt, woraufhin beide in einen Stein verwandelt wurden. Die Pemón werfen Schwarzenberg vor, den Stein in der Nähe ihres Stammesgebiets im Amazonas entwendet zu haben, ohne sie zu fragen. Der Klotz im Tiergarten ist zum Politikum geworden.
Aus diesem Grund steht auch das Kamerateam einer Nachrichtenagentur vor dem Stein und macht mit Schwarzenberg ein Interview zur Einschätzung der Lage: „Die Leute, die momentan in Venezuela protestieren, sind eindeutig politisch manipuliert“, sagt Schwarzenberg. „Ich denke, dass der venezolanische Präsident Hugo Chávez im Wahlkampf ein schmutziges Propagandaspiel mit dem Stein treibt.“
Schwarzenberg leugnet, dass genau dieser eine Stein eine spirituelle Bedeutung für die Pemón-Indianer hätte. „Chávez will im Wahljahr den starken Mann markieren und der Bevölkerung ein Geschenk machen.“
Während das Interview läuft, tastet ein Mann mit indigenen Zügen behutsam mit seinen Händen über den Stein. Er wundert sich über die glatt geschliffene Oberfläche und über das von Schwarzenberg eingravierte Wort „Liebe“. Der Steinstreichler ist Eduardo Villegas, ein 58-jähriger Musiker aus Venezuela. Er besucht derzeit seine Frau und Familie in Berlin. 1975 war er zum Studieren in die DDR gekommen, heute pendelt er zwischen Venezuela und der deutschen Hauptstadt. „Ich will, dass der Stein wieder zurück nach Venezuela kommt“, sagt Villegas. Er stimmt damit ein in den Kanon der protestierenden Indianer in Caracas.
Laut dem 58-jährigen Villegas hat der rote Fels aber Bedeutung für alle Venezolaner: „Unser Volk braucht die Kraft des Steines, um die schwierige politische Lage zu überstehen.“ Während der Amtsperioden von Hugo Chávez hätten sich die Lebensbedingungen deutlich verschlechtert – die Stromversorgung falle immer wieder aus, es fehlten Ärzte. Der Musiker bestreitet, dass es sich bei der Rückgabeforderung sich um eine politische Kampagne des Präsidenten handelt: „Der Stein soll zurückkommen, wenn die Indianer das auch wollen.“ Den politischen Zirkus dahinter findet er „zum Kotzen“.
Als das TV-Interview vor dem Stein beendet ist, geht Villegas auf Schwarzenberg zu. Der Herr im grauen Anzug packt gerade seine offiziellen Dokumente der damaligen venezolanischen Regierung weg. Die Schenkungsurkunde und die Genehmigung zum Abtransport des Steins aus dem Naturschutzgebiet sind von den Behörden und Botschaften unterzeichnet worden. Villegas will sehen, wer die Papiere unterschrieben hat, und wirkt erstaunt über einen ihm bekannten Namen. „Ich habe den Stein ja nicht mal selbst ausgesucht“, schildert Schwarzenberg den Vorgang, „das haben damals die Behörden vor Ort gemacht.“
Ob er die Pemón gefragt habe, will Villegas wissen. Energisch erwidert Schwarzenberg: „Vor 15 Jahren hat niemand irgendeinen Indio wegen irgendetwas gefragt“, beschreibt er die Lage im Venezuela der 90er Jahre. Er habe lediglich einen Stein für sein Kunstwerk gewollt, in das er einen Großteil seines Vermögens gesteckt habe und das er als sein Lebenswerk begreife. Schwarzenberg ist zornig: „Jetzt werde ich plötzlich als Konquistador gebrandmarkt. Ich wurde bereits auf der Straße angespuckt. Außerdem drohte mir jemand: ’Sie werden kommen und dich holen!‘ “
Dass hier das geschichtliche Feindbild des Europäers als Räuber bemüht wird, bestätigt Villegas; dies sei ein aktueller Aspekt in der Debatte über den Stein innerhalb Venezuelas. Es sei eine alte Wunde aufgerissen worden: „Der intellektuelle und professionelle Europäer kommt zu den dummen und unprofessionellen Ureinwohnern, gibt ihnen Scherben und will dafür Gold – so wie schon Columbus.“ Dieses alte Feindbild habe Hugo Chávez im Wahlkampf wiederbelebt.
Ob die Sage der Pemón-Indianer nun genau auf diesen Stein im Tiergarten zutrifft – oder gar tatsächlich eine unglücklich Verliebte eingeschlossen in einem Stein liegt –, kann derzeit offenbar keiner mehr sagen. Spirituelles und Politisches wurden unlängst miteinander verquickt. Fest steht nur: Im Oktober wird in Venezuela gewählt.
Die Diskussion zwischen Villegas und Schwarzenberg kühlt sich allmählich ab. Spätestens als sie zum Thema Musik kommen, sind die beiden Liebhaber venezolanischer Klassik wieder beieinander. Sie tauschen noch einige Sätze aus und gehen dann auseinander – in Frieden. Es ist, als hätte das Kunstwerk seinen Zweck erfüllt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe