Streit um die Brexit-Verhandlungen: Die Briten verlieren die Geduld
Der Brexit dreht sich im Kreis: Die EU stellt immer neue Forderungen, die Briten schaffen keine Klarheit. Dann doch lieber ein schneller Bruch?
Denn die EU-Leitlinien für die bis Ende 2020 gedachte Übergangszeit, aus Barniers Sicht „logisch“, finden nicht nur Brexit-Enthusiasten in Großbritannien inakzeptabel. Das EU-Papier gibt den Briten für diese zwanzig Monate sämtliche Pflichten eines EU-Mitglieds, aber keine Rechte – und schützt Großbritannien nicht vor Brüsseler Alleingängen.
So soll auch neues EU-Recht, an dessen Zustandekommen London keinerlei Anteil hatte, in Großbritannien Gültigkeit erlangen. Im Falle britischer Neuregelungen, die vom bisherigen EU-Recht abweichen, behält sich die EU hingegen das Recht auf Sanktionen vor. Nur auf EU-Einladung sollen Briten an Konsultationen teilnehmen dürfen, und Streitfälle landen vor dem EU-Gerichtshof, also einer Institution einer der beiden Parteien. Für die EU ist das britische Parlament in der Übergangszeit kein Parlament und die britische Zentralbank keine Zentralbank – sie hätten ja sonst in Brüssel etwas zu sagen.
Großbritannien werde „Vasallenstaat“, sagte der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg dazu, und niemand widersprach ihm: Sogar die EU-freundlichen Liberaldemokraten kritisierten, Großbritannien solle „in die Ecke gestellt“ werden. Die Vasallenäußerung katapultierte Rees-Mogg an die Spitze der Brexit-Hardliner, die von ihrer Regierung ein entschlossenes Auftreten verlangen. Der altmodisch und präzise auftretende Redner führt den einflussreichen Fraktionsarbeitskreis European Research Group und taucht dieser Tage ungefähr so viel in den Medien auf wie das gesamte Kabinett zusammen.
Brüssel und London sagen nur, was sie nicht wollen
Munition bekam Rees-Mogg vom konservativen Daily Telegraph, der eine Liste von 37 möglichen neuen EU-Gesetzesvorhaben enthüllte, die in der Übergangszeit ihren Weg in die britischen Gesetze finden könnten. Jurist Steve Peers macht auf seinem Blog „EU Law Analysis“ hingegen geltend, dass die Europawahlen im Juni 2019 die EU bis Herbst 2019 lähmen und neue Direktiven sowieso erst nach zwei Jahren in Kraft treten, wenn die Übergangszeit schon wieder vorbei sei.
Allerdings könnte sich die Übergangszeit als verlängerungsbedürftig erweisen. Denn solange nicht klar ist, zu welchem Endzustand der Übergang führt, kann man ihn nicht abschließen. Und zum Endzustand äußern sich sowohl Brüssel als auch London vage. Sie sagen nur, was sie nicht wollen. So will Großbritannien weder im EU-Binnenmarkt noch in der EU-Zollunion bleiben, weil dies eine eigenständige Außenhandelspolitik unmöglich macht. Stattdessen will London ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU, also zwischen zwei gleichberechtigten Partnern.
Die EU hingegen, die Großbritannien sonst Rosinenpickerei vorwirft, hält das nur beim Warenverkehr für möglich, wo sie einen Handelsüberschuss mit Großbritannien hat, nicht aber bei Finanzdienstleistungen, wo London dominiert. Dabei hatte sie bei den TTIP-Gesprächen mit den USA auf die Einbeziehung des Finanzsektors gedrängt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte kürzlich in London, wenn Großbritannien Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten wolle, müsse der Staat in den EU-Haushalt einzahlen – das wäre eine rechtswidrige, weil einseitig gegen ein Land gerichtete Handelsbarriere, sagen Experten in London.
Brexit-Stolpersteine tauchen schneller auf, als dass sie verschwinden. In London mehren sich nun die Forderungen an die eigene Regierung, klare Endziele zu formulieren und auf sie hinzuarbeiten, unabhängig vom weiteren Verlauf der Gespräche mit der EU. Doch eine zweitägige britische Regierungsklausur zu dieser Frage ging vergangene Woche ohne Einigung auseinander. Stattdessen sind nun über die nächsten drei Wochen gleich sechs Grundsatzreden zum Thema geplant, beginnend mit Außenminister Boris Johnson am Valentinstag und endend mit Premierministerin Theresa May, die auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz sprechen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“