Streit um Zulassungsverfahren: Das Studienplatz-Lotto
Weil sich Studierende zur Sicherheit an mehreren Orten bewerben, verlieren die Unis den Überblick. Die doppelten Abiturjahrgänge werden 2011 Chaos auslösen.
Früher lief das so: Nach dem Abitur schickten angehende Studierende ihre Unterlagen an die Zentrale Studienplatzvergabe, kurz ZVS. Danach interrailten sie quer durch Europa - und als sie zurückkamen, war der Bescheid der ZVS da. Hatte man Glück, gab es sofort einen Studienplatz in Freiburg oder - mit Pech - in Paderborn. Wenn es ganz blöd lief, musste man mehrere Semester warten. Das hatte was von Lotto und brachte der ZVS den Ruf einer Kinderlandverschickungsanstalt ein.
Heute ist die ZVS weitgehend entmachtet, Studienplätze vergibt sie nur noch in ganz wenigen Fächern wie Medizin und Pharmazie. Ansonsten dürfen sich die Unis ihre Studenten selber aussuchen; mal machen sie das mit Auswahltests, mal mit Noten. Die Hälfte der insgesamt 11.000 Studiengänge hat eine örtliche Zulassungsbeschränkung. All das war von Politik und Hochschulen so gewollt. Was sie dabei nicht berücksichtigt haben: wie sich angehende Studenten verhalten, die unbedingt einen Studienplatz wollen.
Heute läuft das so: An acht Hochschulen verschickte Bartholomäus Zielinski nach seinem Abitur Bewerbungen, darunter Tübingen, Stuttgart, Bamberg und Erlangen-Nürnberg. An einer musste er einen Multiple-Choice-Test ablegen, an der nächsten brauchte er einen Nachweis über sein Engagement bei der Schülerzeitung. Am Ende bekam Zielinski fünf Zusagen - doch da hatte er sich bereits für Soziologie in Heidelberg eingeschrieben. "Dreieinhalb Monate habe ich mich damit beschäftigt, einen Studienplatz zu bekommen", sagt Zielinski. "Zum Davonlaufen!"
Dabei ist Zielinski noch nicht einmal ein besonders drastisches Beispiel. An der Uni Bochum soll sich eine Abiturientin für alle 35 zulassungsbeschränkten Studiengänge beworben haben. Sie bekam 21 Zulassungen - aber in Bochum trat sie ihr Studium nie an.
Für die Universitäten ist die Situation nur noch peinlich. Schließlich waren sie es, die jahrelang lautstark mehr Autonomie eingefordert hatten. Nun sind sie das Opfer ihrer eigenen Mündigkeit, stöhnen über Mehrfachbewerbungen und Doppeleinschreibungen. Wie Airlines überbuchen sie ihre Studienplätze - mit wechselnden Erfolgen. In Potsdam waren es vergangenes Jahr in der Wirtschaftswissenschaft existenzgefährdend wenige Studenten - dieses Jahr sind die Ökonomen mehrfach überbelegt.
Erfolg sieht anders aus. Die Regel sind Nachrückerverfahren, die sich bis weit ins Semester hineinziehen. Das ist für die Studenten schon nervig genug - für die selbsternannte Bildungsrepublik Deutschland es ein Desaster. Nie gab es mehr Studenten, nie war das so sehr gewünscht, niemals war auch das Zulassungschaos so groß. 10 bis 20 Prozent der Studienplätze werden am Ende gar nicht besetzt - in einem Land, dem die OECD immer wieder vorhält, zu wenige Akademiker hervorzubringen.
Dabei sollte das ganze Zulassungschaos längst ein Ende haben. Seit mehreren Semestern verspricht die Politik ein einheitliches System, angesiedelt bei einer zur Servicestelle geschrumpften ZVS. Die Hochschulen sollen über eine sichere Internetverbindung die Daten über die Bewerber und frei werdende Studienplätze abgleichen können und so Doppeleinschreibungen und Nachrückverfahren vermeiden. Bisher ist statt eines solchen Systems nur ein "Übergangs"-Serviceverfahren der ZVS herausgekommen. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) zeiht die ZVS öffentlich der Inkomptenz.
Nach den Entwicklungen der vergangenen Woche ist aber auch klar: Das Chaos regiert auf nicht absehbare Zeit weiter.
Und das ist auch eine Ohrfeige für Bildungsministerin Annette Schavan: Nur wenige Tage zuvor hatte die CDU-Politikerin bei einem Krisengipfel in ihrem Ministerium noch optimistisch verkündet: Schon zum kommenden Wintersemester werde es eine Übergangslösung geben. Und im Jahr darauf dann endlich ein einheitliches System, um dessen Gelingen sich das renommierte Fraunhofer-Institut für Rechentechnik kümmern soll. Schavans Botschaft: Alles wird gut.
Beobachter waren da schon skeptisch, halten Experten doch die Einführung des Systems im Jahr 2010 für zu optimistisch.
Obendrein kündigten drei Tage nach Schavans Alles-wird-gut-Auftritt dreizehn Universitäten an, ein eigenes Verfahren entwickeln zu wollen, darunter die Eliteunis Heidelberg und FU Berlin. Die Unis wollen die Termine der Zulassung vereinheitlichen. Zudem soll eine Onlineplattform für frei werdende Studienplätze entstehen - "Chancenbörse" nennen sie das beinahe zynisch.
Das klingt zunächst gut. Wäre da nicht die Ankündigung der Präsidentin der Hamburger Uni, von der die Initiative ausgeht: "Teure Investitionen in zentrale Servicestellen" seien "überflüssig". Das heißt auf Deutsch: Sie pfeift auf ein bundesweit einheitliche Verfahren. Dabei kann das nur funktionieren, wenn sich alle Hochschulen daran beteiligen.
Der Studentenverband fzs beschimpfte die Unis PR-trächtig als die "Wilden 13". Wie es gehen soll, wissen aber auch die Studis nicht recht. fzs-Sprecher Florian Keller sagte der taz, man wolle schnellstmöglich ein bundeseinheitliches Verfahren. Ob das die Rückkehr zur bürokratischen Absolventenlenkung à la ZVS ist, kann Keller aber nicht sagen. Da muss er erst mit anderen fzs-Funktionären Rücksprache halten. Erstaunlich: Keller sieht keine Mängelverwaltung - sprich: Die Hochschulen seien korrekt finanziert.
Da ist man selbst bei der Kultusministerkonferenz (KMK) weiter - und kritischer. "Die Eltern und Studenten werden uns prügeln und das zu Recht", sagte der bayerische KMK-Amtschef, Josef Erhard, der taz. "2011 kommen die doppelten Abi-Jahrgänge. Wenn wir bis dahin kein funktionierendes System der Studienplatzvergabe haben, stehen wir vor einer Katastrophe."
Christoph Mühlke, Kanzler an der LMU München, die ebenfalls an der Initiative der dreizehn Hochschulen beteiligt ist, beschwichtigt. Er sei das Chaos mit den Mehrfachbewerbungen leid. "Was wir brauchen, ist ein funktionierendes Verfahren", sagt auch er. "Wer das organisiert, ist mir relativ gleichgültig." Doch bis tatsächlich irgendwann ein einheitliches System steht, will die LMU "mehrgleisig fahren", wie Mühlke es nennt. Das heißt: Seine Universität nimmt am bereits bestehenden "Serviceverfahren" der ZVS teil, allerdings nur in zwei Fächern: BWL und Jura. Und bei der Hamburger Initiative sei die LMU nicht nur wegen der Internetbörse dabei, sondern auch wegen der einheitlichen Bewerbungsfristen, die Mühlke sinnvoll findet.
Die Not der angehenden Studierenden lindern all diese Klein-Klein-Angebote und Insellösungen kaum. Viele dürften sie weiter verwirren. Die Folge: Auch im kommenden Wintersemester werden sie sich wieder an zehn oder zwanzig Hochschulen bewerben.
Allerspätestens 2011 aber muss das neue Zulassungssystem stehen. Denn von da an drängen doppelte Abiturjahrgänge an die Hochschulen, weil die letzten Jahrgänge des neunjährigen Gymnasiums und die ersten Jahrgänge des achtjährigen Gymnasiums, des sogenannten G 8, gleichzeitig die Schule verlassen. 265.000 bis 370.000 zusätzliche Studienplätze sind an den deutschen Hochschulen bis 2015 nötig, sagen Prognosen. Ohne ein funktionierendes Zulassungsverfahren ist das Chaos dann komplett.
So langsam wird auch Bildungsministerin Schavan nervös. Sie erwarte bereits in diesem Herbst "ein transparentes Verfahren - und nicht erst in drei oder vier Jahren", sagte sie am Wochenende bei einer Tagung des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten. Es klingt wie ein frommer Wunsch.
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