Streit um Wahltermin: Karsai pokert mit Verfassung
Afghanistans Präsident Karsai könnte den Termin der Präsidentschaftswahlen doch noch vorziehen. Viel Unterstützung bekommt er dafür nicht.
Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat für dieses Wochenende einen Befreiungsschlag aus einer Verfassungskrise angekündigt. Die hält die politische Klasse des Landes und Diplomaten in Kabul seit Wochen in Atem. Denn nachdem die Unabhängige Wahlkommission im Januar Präsidentschafts- und Provinzratswahlen für den 20. August festsetzte, lief die Opposition dagegen Sturm. Sie verlangt Karsais Rücktritt zum 21. Mai, wenn seine Amtszeit regulär abläuft - Neuwahlen müssen spätestens 30 Tage vorher stattfinden - sowie die Einsetzung einer Übergangsregierung.
Nun will Karsai allen die Argumente aus der Hand nehmen. Diese Woche rief er zunächst die Staatsspitze sowie ehemalige Dschihad-Führer und tags darauf alle Botschafter in seinen Palast. Nur der Amerikaner fehlte. Beiden Gruppen verkündete er, er beabsichtige, die Wahlen auf April vorzuziehen, um der Verfassung zu genügen.
Die afghanische Runde wollte sich nicht festnageln lassen. Parlamentschef Junus Kanuni soll Karsai gesagt haben, man sei nicht bereit, seinen neuesten Schwenk zu legitimieren, nachdem er wochenlang den verfassungswidrigen Termin verteidigt habe. Und die Botschafter erklärten dem Vernehmen nach alles zu einer rein afghanischen Angelegenheit.
Dabei trägt die internationale Gemeinschaft erhebliche Mitschuld an der Situation. Sie hätte schon 2003 darauf dringen sollen, realistische Wahltermine in der Verfassung zu verankern. Später unternahm die UNO zu wenig, um Kabul zu rechtzeitigen Wahlvorbereitungen zu bewegen. Nun ist ein Vorziehen sowohl technisch wie wegen der Sicherheits- und Wetterlage - viele Landesteile sind wegen Schnees unzugänglich - unmöglich. Zudem könnte nur ein verkürzter Wahlkampf stattfinden. Der würde Karsai ebenso bevorteilen wie seine Kontrolle über die Provinz- und Distriktverwaltungen. Erhebliche Legitimitätsprobleme wären das Ergebnis.
Möglicherweise aber pokert Karsai nur hoch. Er weiß, dass auch die neue US-Regierung, die ihn wegen endemischer Korruption seiner Regierung scharf kritisiert, keine Wahl mit heißer Nadel will. Der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke, der Kabul erst vor wenigen Tagen verließ, soll - statt sich vor Ort darum zu kümmern - sich telefonisch eingeschaltet und Karsais Verbleib im Amt vorgeschlagen haben.
Die Opposition will sich darauf nicht einlassen. Die Nationale Front der Exmudschaheddin kündigt weiter eine "orange Revolution" nach ukrainischem Vorbild an, bleibt der Präsident nur einen Tag länger als laut Verfassung vorgesehen im Amt. Karsai scheint zu hoffen, dass ihre Mobilisierung ins Leere läuft. Denn nach der ausländischen Einmischung zu seinen Gunsten, seit er Ende 2001 auf dem Petersberg bei Bonn zum Staatsoberhaupt gekürt wurde, herrscht im Land großes Desinteresse an solcher Art Demokratie. Aber ein solches Spiel wäre für Karsai auch sehr riskant. Ein Gerücht hingegen dürfte sich kaum bewahrheiten: Dass Karsai zwar Übergangspräsident bleibt, aber dann gar nicht mehr zu den Wahlen antritt und als großer Afghane in die Geschichte eingeht: Als einer, der nicht bis zum - in der afghanischen Geschichte meist bitteren - Ende blieb.
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