Streit um Verantwortung: Eine fragwürdige Einschätzung

Auch ein Jahr später ist der Tod eines Hamburger Babys nicht aufgeklärt. Der zuständige Bezirk und die Sozialbehörde streiten um einen Bericht - und darum, ob das zuständige Jugendamt Fehler gemacht hat.

Kerzen und Kuscheltiere lagen am Tag nach Laras Tod vor ihrem Wohnblock. Bild: dpa

Beinahe ein Jahr ist es her: Am 11. März 2009 starb in Hamburg-Wilhelmsburg die neun Monate alte Lara. Das Baby wog nur noch 4,8 Kilo und war zuvor seit Wochen nicht mehr beim Arzt gewesen, obwohl eine städtische Familienhelferin Laras bei der Geburt noch minderjährige Mutter betreute. Der Fall war nicht unentdeckt: Hier starb ein Kind unter den Augen der Behörden.

Gegen Mutter und Betreuerin hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Zwischen dem Bezirk Hamburg-Mitte und der Aufsicht führenden Behörde für Soziales und Gesundheit (BSG) gibt es bis heute Streit: um die Frage der politischen Verantwortung und darum, ob das Jugendamt - in Hamburg Amt für soziale Dienste (ASD) genannt - richtig handelte. Der taz liegen Teile eines unveröffentlichtem Behördenberichts vor, in dem von einem "grundlegenden Dissens in der Bewertung jugendamtlichen Handelns" die Rede ist.

Die junge Mutter wurde bereits vor der Geburt vom benachbarten ASD Süderelbe betreut: Eine Mitarbeiterin erstellte eine Problemanalyse und einen Hilfeplan, der das auch das Wohl des ungeborenen Kindes im Blick hatte. Betreut wurden Mutter und Kind dann zehn "Fachleistungsstunden" pro Woche.

Entsprechend des späteren Wohnorts wechselte die Zuständigkeit dann zum ASD im Stadtteil Wilhelmsburg. Hier änderte ein ASD-Mitarbeiter - nach einem Gespräch mit Mutter und Betreuerin - im September 2008 den Hilfeplan: Das Hilfeziel "Kontrolle über das Kindeswohl" kam nun nicht mehr vor, die Betreuung wurde halbiert.

Bereits kurz nach Laras tragischem Tod, im April 2009, ließ Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) von seiner Behörde einen "Expertenbericht" erstellen. Er kommt zu dem Schluss, dass im Wegfallen der Kindeswohlkontrolle ein zentraler Fehler passiert sei: Der zuständige Mitarbeiter habe sich zu sehr auf die Angaben der Betreuerin verlassen habe. Auch ist die Rede davon, dass die Personalsituation beim Wilhelmsburger ASD zwar angespannt, eine "ordentliche Arbeit" aber noch möglich gewesen sei.

Das sieht der Bezirk Hamburg-Mitte, zu dem auch Wilhelmsburg gehört, anders: Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) widersprach bereits auf jener Pressekonferenz, auf der Wersich den genannten Bericht vorstellte.

Die ASD-Mitarbeiter hatten schon im Herbst 2008 eine "kollektive Überlastungsanzeige" gestellt. Daraufhin habe die Sozialbehörde angewiesen, man solle sich "noch um die wirklich wichtigen Fälle" kümmern, sagt Schreibers Sprecher Lars Schmidt. Im Sommer 2009 lud Schreiber dann den Senator zum Gespräch nach Wilhelmsburg ein. Er verlangte, dass die Überlastungsanzeige und überhaupt die Bezirkssicht der Dinge in einen überarbeiteten Bericht zum Fall Lara einfließt. Der liegt vor - "es fehlt nur noch die Unterschrift des Senators", sagt Schmidt.

Senator Wersich aber sieht sich aus einem anderen Grund nicht in der Lage, das Dokument abzusegnen: Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den ASD-Mitarbeiter eingestellt. Daraus leitet der Bezirk ab, der ASD habe korrekt gearbeitet und sei seinen "Verpflichtungen in der Fallbearbeitung nachgekommen".

Das wollen Behörde und Senator nicht akzeptieren: "Einer minderjährigen Mutter, die eine solchermaßen dokumentierte problematische Vorgeschichte (auch mit den eigenen Eltern) hat, muss nach der Geburt ihres eigenen Kindes weiterhin die verstärkte Aufmerksamkeit und Unterstützung des Jugendamtes zur Sicherung des Kindeswohls gelten", schreibt die BSG. Zudem beweise die Einstellung eines Strafverfahrens eben nicht, dass der Fall ordungsgemäß bearbeitet worden sei. Die Fehleinschätzung des ASD Wilhelmsburg müsse "problematisiert" werden.

Im Bezirksamt Mitte findet man die Weigerung des Senators, dem Bericht zuzustimmen, "extrem erstaunlich und ärgerlich": "Natürlich ist etwas falsch gelaufen, wenn ein Kind stirbt", sagt Sprecher Schmidt. Dies sei aber "eindeutig der Überlastung geschuldet". Der ASD-Mitarbeiter, gegen den nun nicht mehr ermittelt werde, habe das Kind damals zwar auch selbst gesehen, sich aber auf die externe Betreuerin verlassen müssen. "Aus der Situation heraus", sagt Schmidt, "war die Entscheidung nicht falsch."

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