Streit um Umbau der Karl-Marx-Allee: Der Klimawandel ist schuld
In der Mitte der Allee sollen Parkplätze einer Grünanlage weichen. Eine verfahrene Situation. Verkehrssenatorin Günther hat zum Dialog eingeladen.
Montagabend, die blau gepolsterten Sessel im Kino International an der Karl-Marx-Allee sind fast voll besetzt, das Publikumsalter liegt im Schnitt bei 50 plus. Aber der Filmprojektor bleibt ausgeschaltet. Statt Pasolinis Skandal-Klassiker „Die 120 Tage von Sodom“ gibt es heute „Die 165 Parkplätze vom Mittelstreifen der KMA“, ein kaum weniger umstrittenes Werk unter der Regie von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), die sich bei der Umsetzung mit Produzent Michael Müller (SPD) öffentlich in die Haare bekommen hat.
Genug der Witze: Die 165 Kfz-Stellplätze, um die es tatsächlich geht, sollten im Rahmen des laufenden Umbaus der früheren DDR-Magistrale auf dem Mittelstreifen erhalten werden – bis Regine Günther im Herbst mit einer Umplanung überraschte: Jetzt sollten dort Gräser wachsen.
Es gab nicht nur Protest von AnwohnerInnen, auch im Bezirksamt Mitte und im Landesdenkmalamt war man unglücklich. Schließlich stellte der Regierende Bürgermeister auf einer Senatssitzung Anfang Dezember klar, dass noch nichts entschieden sei. Seitdem verhandeln die Beteiligten – und die Verkehrsverwaltung hat zum Bürgerdialog ins Kino geladen.
Als Erste ergreift Regine Günther das Wort und schnell wird klar: Was für Angela Merkel Fukushima, waren für die grüne Senatorin die Hitzesommer 2018 und 2019. Die hätten sie und ihre Verwaltung zum Umdenken gebracht – „ich sag es so offen“. Verdunstungsflächen müssten her: „Wir brauchen mehr Grün statt Stein und Beton, die die Hitze speichern.“ Und da mit der Erderwärmung auch die Starkregenereignisse zunähmen, „brauchen wir Flächen, die Versickerung ermöglichen“.
Ein erhöhtes Unfallrisiko
Schon hier wird klar, wo im Kinosaal welche Fraktionen sitzen und wie stark sie vertreten sind. Zahlenmäßig eindeutig in der Überzahl ist der Pro-Günther-Flügel, der ihre Äußerungen mit Applaus quittiert – auch den Verweis auf das Mobilitätsgesetz. Das habe bei der ursprünglichen Sanierungsplanung noch nicht vorgelegen und lasse nun erhöhte Sicherheitsstandards anlegen: Mittelparkplätze bedeuteten nun mal ein erhöhtes Unfallrisiko. Weniger zahlreich erschienen sind die Auto-Fans, die sich dafür mit Zwischenrufen bemerkbar machen.
„Wat erzählt die von Versickerung, da issen Tunnel drunter!“, mosert einer lautstark. Wenig später zeigt der Leiter von Günthers Tiefbauabteilung anhand einer Querschnitts-Grafik, dass die U5 unter dem nördlichen Fahrbahnrand – und nicht etwa unter dem Mittelstreifen – verläuft. Trotzdem wird in einigen Ecken des Saals immer wieder laut gemotzt oder höhnisch gelacht, etwa als Mittes Stadtrat für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) erklärt, die Versorgung mit Parkplätzen sei rund um die Karl-Marx-Allee durchaus gut. Immerhin kann er Zahlen präsentieren: Auf 10 AnwohnerInnen kämen 7 Stellplätze, haben Verwaltungsmenschen ausgerechnet.
Über den Verlauf der zweistündigen Veranstaltung wird deutlich: Das politische Personal auf dem Podium – neben Günther und Gothe auch Landeskonservator Christoph Rauhut, der Kultursenator Klaus Lederer (Linke) untersteht – hat sich mehr oder weniger auf einen Kompromiss geeinigt: Grünstreifen ja, aber mit steinernen Unterbrechungen. Etwa zwischen International und Café Moskau, wo laut Gothe eine „platzartige Situation“ geschaffen werden soll.
Etwas erstaunlich ist, dass immer nur von Gras („mit Blühphase“) die Rede ist. Bis der im Saal sitzende Thomas Flierl – Ende der 1990er Jahre Stadtrat für ökologische Entwicklung in Mitte, später Kultursenator – die Frage aufwirft, weshalb eigentlich keine Bäume auf dem Mittelstreifen gepflanzt werden. Er fordert einen Gestaltungswettbewerb, was Rauhut gleich von sich weist: „Es sind sehr kompetente Personen an diesem Entscheidungsprozess beteiligt.“
Weltkulturerbe-Status
Was die Bäume angeht, wollen die DenkmalschützerInnen lieber die Sichtbeziehungen auf der riesigen Schneise erhalten. Außerdem bewirbt sich der Senat mit der Karl-Marx-Allee um den Weltkulturerbe-Status. Da möchte man offenbar nicht zu sehr vom Ursprungszustand abweichen.
Bei der Frage- und Statementrunde wird im Saal mehrfach die Sorge laut, ein grüner Mittelstreifen werde aufgrund fehlender Mittel für die Pflege schnell verwahrlosen – oder schlicht vertrocknen. „Det sieht denn aus wie de mongolische Steppe“, mahnt eine Anwohnerin.
Die Senatorin verweist darauf, dass die Bezirke seit dem jüngsten Landeshaushalt etliche Millionen mehr für Straßengrün zur Verfügung hätten, Stadrat Gothe merkt an, dass das längst nicht reiche. Was erstaunlicherweise ausbleibt, ist der große Aufschrei der Kfz-Nostalgiker, vielleicht liegt es aber auch an der Moderatorin, die die Redebeiträge nach Gutdünken vergibt. Nur einmal bricht sich Volkes Stimme unschön die Bahn: „Den Radfahrern muss man doch ooch mal Vernunft in de Köpfe prügeln“, findet eine Frau. Bei den meisten im Saal kommt das weniger gut an.
Inwieweit die Wünsche und Anregungen der BürgerInnen noch Platz im weiteren Entscheidungsprozess haben, bleibt am Ende etwas unklar. Wobei Regine Günther den Anwesenden nachdrücklich versichert, dass diese nicht gegen eine Wand geredet haben: „Wir hören Sie.“
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