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Streit um Tagesordnung

■ Parlament in Belgrad vertagt sich/ Staatschef warnt vor Putsch

Belgrad (ap/afp) — Als „Sitzung aller Sitzungen“ und „historisch“ wurde sie bezeichnet: Die Tagung des jugoslawischen Parlaments über die Zukunft des zerstrittenen Vielvölkerstaates am Mittwoch. Obwohl das Land nach Einschätzung der Staatsspitze am Rande von „Chaos und Bürgerkrieg“ steht, debattierten die verfeindeten Brüder nicht weniger als zehn Stunden nur über die Tagesordnung. Nun soll am Freitag ein neuer Anlauf unternommen werden. Staatspräsident Borisav Jovic will dann vor einem Militärputsch und der Gefahr eines Bürgerkrieges warnen. Die Krise habe, so seine gestern vorab veröffentlichte Ansprache, „ihren Höhepunkt erreicht“, und der Konflikt „könnte in einen Bürgerkrieg münden“. Jovic betonte, daß das Staatspräsidium die Bildung von Streitkräften in Teilrepubliken nicht tolerieren könne, wie sie von den Fürsprechern einer lockeren Konföderation angesprochen wurde.

Doch selbst die Verschiebung der Krisensitzung des Parlaments hat den nationalen Streit neu angefacht. „Skandalös!“ beschrieben gestern die serbischen Zeitungen den Boykott von Slowenien und Serbien, der zur Verschiebung führte. Das sei ein „Szenarium zur Zerstörung Jugoslawiens“. „Großserbische Logik“ und „unitaristisches Verhalten“ warfen die slowenischen und kroatischen Zeitungen Serbien vor.

Jovic hat mit seinem Eintreten für die Beibehaltung des Status quo die Meinung der von Serbien geführten Mehrheit im achtköpfigen Staatspräsidium wiedergegeben. Er versäumte es jedoch vollständig, eine Brücke zwischen seinem Föderationsmodell und dem Modell eines „Bundes souveräner Staaten“ der beiden Republiken Slowenien und Kroatien zu schlagen. So stehen morgen beide Modelle weiter unvereinbar gegenüber. Slowenen und Kroaten spielen offenbar auf Zeit, um durch die bevorstehenden ersten demokratischen Wahlen auch in den anderen Republiken doch noch den einen oder anderen Landesteil für ihr Konföderationsmodell begeistern zu können.

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