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Streit um S-Bahn-AusschreibungDas Gericht muss das Signal geben

Berlin und Brandenburg lehnen bei der Auseinandersetzung um die S-Bahn-Ausschreibung mit dem Alstom-Konzern eine außergerichtliche Lösung ab.

Ausbaufähige Stimmung: CDU-Senatorin Manja Schreiner bei der feierlichen Inbetriebnahme von Fahrzeugen der S-Bahn-Baureihe 483/484 Foto: Imago/Funke Foto Services

Berlin taz | Nee, lieber doch nicht: So lässt sich die Entscheidung der Länder Berlin und Brandenburg zusammenfassen, mit der sie am Freitag auf ein Lösungsangebot des Kammergerichts im Beschwerdeverfahren gegen die S-Bahn-Vergabe reagiert haben. Das Kammergericht – das in Berlin den Oberlandesgerichten anderer Bundesländer entspricht – hatte bei einem ersten Verhandlungstermin eine Woche zuvor den beiden Ländern sowie dem französischen Alstom-Konzern als Beschwerdeführer Vorschläge unterbreitet, wie diese auch ohne richterliche Entscheidung zu einer gütlichen Lösung kommen könnten.

„Wir haben uns nach intensiver Prüfung dazu entschieden, den Abhilfevorschlag nicht anzunehmen und die Entscheidung in die Hände des Kammergerichts zu legen“, teilte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) am Freitagabend mit. Man werde jetzt den schriftlichen Gerichtsbeschluss abwarten und dann mit den nötigen Anpassungen in der S-Bahn-Ausschreibung „das Verfahren zügig zum Abschluss bringen“.

Wie die Berliner Zeitung berichtete, reagierten die RichterInnen mit Unverständnis darauf, dass die Länder ihr Angebot ablehnten: „Ein starkes Stück“ habe einer von ihnen dieses Vorgehen genannt. Auch sei von der Kammer beanstandet worden, dass im Gegensatz zum Brandenburger Verkehrsministerium kein Mitarbeiter aus Schreiners Senatsverwaltung zu dem Termin erschienen sei. Vorgetragen wurde die Entscheidung der Länder von ihrem gemeinsamen Anwalt.

Aber worum genau geht es eigentlich? Im Jahr 2020 hatten die beiden Bundesländer einerseits den Bau von rund 1.400 S-Bahnwagen, andererseits den Betrieb der S-Bahn auf den Teilnetzen Nord-Süd und Ost-West (der sogenannten Stadtbahn) über einen Zeitraum von 15 Jahren ab 2029 separat ausgeschrieben. Dass die Ausschreibung in solche „Lose“ aufgeteilt wurde, war das Ergebnis einer langen politischen Debatte, in deren Rahmen sowohl die Verstaatlichung der S-Bahn als auch die Vergabe im Paket diskutiert worden waren.

Nachwehen der S-Bahn-Krise

Zu verstehen ist das nur vor dem Hintergrund der desaströsen S-Bahn-Krise von 2009. Damals waren technische Mängel der Züge bekannt geworden, viele Monate lang war nur ein stark eingeschränkter Betrieb möglich. Seitdem galt die Monopolstellung des damaligen (und aktuellen) Betreibers, der DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH, als Problem, das zu beheben sei. Die Linken forderten eine Rekommunalisierung, die SPD zog die pauschale Direktvergabe vor, wie sie bis dahin üblich war. Am Ende entschied sich die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther dazu, die Vergabe in Lose zu splitten. Insgesamt geht es um einen Ausschreibungswert von bis zu 11 Milliarden Euro.

Die Beschwerde des Alstom-Konzerns rührt daher, dass sich die S-Bahn GmbH zusammen mit den Zugherstellern Siemens und Stadler auf alle Lose beworben hat. Weil Alstom zwar S-Bahnen bauen, aber nicht betreiben kann – und auch keinen potenziellen Betreiber ins Boot holen konnte –, sehen sich die Franzosen durch die Form der Ausschreibung faktisch benachteiligt. Aus Alstoms Perspektive hätte keine Benachteiligung bestanden, wenn Bewerbungen nicht für alle Lose auf einmal möglich gewesen wäre. Das war zwar angedacht, aber nicht umgesetzt worden.

Nachdem die Vergabekammer des Senats 2022 zu dem Schluss kam, dass bei diesem Verfahren alles seine Richtigkeit habe, zog Alstom vor Gericht – mit insgesamt 25 Rügen am Vergabeverfahren. Beim ersten Verhandlungstermin hielt das Gericht zumindest einige davon für wahrscheinlich begründet. Insbesondere sahen die RichterInnen das Risiko gegeben, dass die Vergabe an eine Bietergruppe nicht die für das Land wirtschaftlichste Variante sein könnte.

Nach Prüfung der Lösungsvorschläge hatte Alstom vor dem zweiten Termin am Freitag mitgeteilt, man habe sie „sorgfältig geprüft“ und sei „auch im Sinne einer zügigen Fortsetzung der Ausschreibung bereit, diesen zuzustimmen“ – was an der Länderseite scheiterte. Nun muss das Gericht schriftlich darlegen, welchen Rügen es stattgibt und wie die Länder die Probleme beheben können. Nicht ausgeschlossen ist, dass Alstom die noch dieses Jahr anstehende Vergabeentscheidung wieder anficht.

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