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Streit um Präfekten in Siebenbürgen

Die Regierung in Bukarest will zwei Rumänen an die Spitze mehrheitlich ungarischer Distrikte stellen/ Breite Protestbewegung/ Gefährliche Taktierereien der Regierung mit Nationalismen  ■ Von Keno Verseck

Bukarest (taz) – Wer derzeit die ungarisch-rumänische Grenze mit dem Zug überquert, könnte glauben, das Verhältnis der beiden Länder habe sich in den letzten Wochen schlagartig verbessert. Ungarische Grenzbeamte fahren seit einiger Zeit mit auf rumänisches Territorium. Sie probieren ihre leidlichen Rumänisch-Kenntnisse aus, während umgekehrt rumänische Grenzbeamte in beachtlich gutem Ungarisch mit ihren Kollegen scherzen. Aber anders, als die freundschaftliche Atmosphäre im rumänischen Grenzort Curtici vorspiegelt, bewegen sich die seit Jahren frostigen ungarisch- rumänischen Beziehungen derzeit auf einen neuen Tiefpunkt hin.

Wie so oft in der Vergangenheit, geht es auch diesmal um das Schicksal der zwei Millionen Ungarn in Rumänien. Ihnen gegenüber betreibt die Regierung seit langem eine Politik, die in mancher Hinsicht an Ceaușescus Vorgehen gegenüber Minderheiten erinnert. Welches Ausmaß die Enttäuschung der Ungarn über die postkommunistische Zeit erreicht hat, zeigt seit vergangener Woche eine der größten Protestwellen seit dem Sturz Ceaușescus. Im zu rund 80 Prozent ungarisch besiedelten Szeklerland in Zentralrumänien versammelten sich am Freitag und Sonnabend mehrere zehntausend Menschen.

Die Proteste wurden von der Entscheidung der Regierung vom 25. März ausgelöst, in den Distrikten Harghita und Covasna rumänische Präfekten einzusetzen. Die Organisatoren der Proteste kündigten an, so lange demonstrieren zu wollen, bis die Regierung ihre Entscheidung rückgängig mache. Schon einmal, im September letzten Jahres, hatte die damalige Regierung unter Theodor Stolojan die ungarischen Präfekten absetzen lassen, nach Protesten jedoch eine Regelung eingeführt, derzufolge der rumänische Präfekt und sein ungarischer Stellvertreter de facto gleichgestellt wurden. Dieses Modell will die jetzige Regierungskoalition aus Ex-Nomenklatura- Angehörigen und Nationalisten nun zurücknehmen.

Adrian Casuneanu, der Präfekt des Distrikts Covasna werden soll, gehört zwar der Partei des Staatspräsidenten Ion Iliescu, der Demokratischen Front zur Nationalen Rettung (FDSN), an, war aber noch bis vor zwei Jahren Mitglied der ultranationalistischen Organisation „Vatra Romaneasca“. In die Schußlinie ihrer Propaganda gerät vor allem die ungarische Minderheit: Sie arbeite im Verein mit Politikern aus Ungarn an einer Abspaltung Siebenbürgens, heißt es. Nach dem Vertrag von Trianon (1920) hatte Ungarn die Region an Rumänien abtreten müssen.

Casuneanus ehemalige Vatra- Mitgliedschaft hat Politiker des Demokratischen Bundes der Ungarn in Rumänien (UDMR), der parlamentarischen Vertretung der ungarischen Minderheit, dazu veranlaßt, zu den jetzigen Demonstrationen aufzurufen. Dennoch steht der „Fall Casuneanu“ nur am vorläufigen Ende einer minderheitenfeindlichen und anti-ungarischen Politik, die im wesentlichen auf lokaler Ebene praktiziert wird.

Das hervorstechendste Beispiel dafür ist der Klausenburger Bürgermeister Gheorghe Funar, dessen ultranationalistische „Partei der rumänischen nationalen Einheit“ (PUNR) – der parlamentarische Arm der Vatra Romaneasca – im Februar 1992 die lokalen Wahlen gewann. Funar, mittlerweile PUNR-Chef, hat in Klausenburg seinen fanatischen Anti-Ungarismus in Klausenburg durch willkürliche Hausdurchsuchungen, Verbot zweisprachiger Schilder und der ungarischen Nationalhymne, Entfernung von ungarischen Denkmälern, der Absetzung eines ungarischen Schuldirektors und einer Vielzahl ähnlicher Aktionen unter Beweis gestellt.

Die jetzige Entscheidung der Regierung, ein ehemaliges Vatra- Mitglied als Präfekten im Distrikt Covasna einzusetzen, erklärt sich vordergründig als eine Art Rechnungsausgleich: Die parlamentarischen Mehrheitsbeschaffer von Iliescus FDSN-Regierung – die PUNR und die neofaschistische Partei „Groß-Rumänien“ – halfen am 9. März mit, einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung niederzustimmen. Dafür verlangte die PUNR die Posten neun stellvertretender Präfekte in verschiedenen siebenbürgischen Distrikten, in denen Ungarn leben. Inwieweit Iliescu auf diese Forderung einzugehen bereit ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Andererseits hat der Staatspräsident den „Fall Casuneanu“ mit dem ihm eigenen taktischen Gespür selbst geschaffen – pünktlich 24 Stunden vor Beginn der Ratstagung der parlamentarischen Ungarn-Vertretung am 26. März in Oradea. Der Ehrenpräsident des Ungarnverbandes, Bischof Laszlo Tökes, hatte zuvor in Budapest davon gesprochen, daß gegenüber den rumänischen Ungarn eine „ethnische Säuberung“ praktiziert werde. Diese Formulierung hatte einen wütenden und mit Blick auf die Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina verständlichen Proteststurm unter rumänischen Politikern hervorgerufen. Dennoch entschied der ungarische Abgeordnetenrat, daß die Äußerung, geringfügig modifiziert – mit dem Zusatz „still“ – als offizielle Position zu vertreten sei. Iliescu, der die ungarische Minderheit gerne ins Licht einer fünften Kolonne Budapests rückt, kommt es offenbar zur Ablenkung von der wirtschaftlichen Misere gelegen, bei der Radikalisierung des Ungarnverbandes nachzuhelfen.

Paradoxerweise kommt auch für Budapest der Fall nicht ungelegen. Ebenso wie für Rumänien ist er für Ungarn ein Anlaß, die Verhandlungen um den neuen Grundlagenvertrag zwischen den beiden Ländern weiter zu verzögern. Der Vorwurf aus Bukarest lautet, Ungarn wolle die Unverletzlichkeit der im Pariser Friedensvertrag (1947) festgelegten Grenzen nicht schriftlich anerkennen. Aus Budapest kontern Politiker, Rumänien sei nicht bereit, der ungarischen Minderheit Rechte nach internationalen Standards zuzugestehen. So stecken die Gespräche erst mal wieder in der Sackgasse.

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