Streit um Politiker-Reise: Oh, wie schön ist Kanada
Der niedersächsische Umweltausschuss will nach Kanada reisen. Die Grüne Imke Byl sieht keine inhaltlichen Gründe dafür und moniert den klimaschädlichen Langstreckenflug.
Es ist üblich, dass die Abgeordneten in Ausschüssen auch Reisen ins Ausland unternehmen, um sich über Unternehmen oder politische Projekte zu informieren und mit Akteuren ins Gespräch zu kommen. Für die Reisekosten der Abgeordneten kommt in Niedersachsen der Landtag auf.
Der Umweltausschuss hat am Montag mehrheitlich dafür gestimmt, die Reise nach Kanada zu planen. Mehrheiten zu finden, ist für die große Koalition nicht schwierig. Im Umweltausschuss sitzen je sechs Abgeordnete von SPD und CDU, je einer von FDP, Grünen und AfD. Beschließen muss die Reise allerdings noch der Ältestenrat.
Marcus Bosse, der für die SPD im Ausschuss sitzt, verteidigt die Reise nach Kanada. Es gebe gute inhaltliche Gründe, um nach Kanada zu fahren, da es viele Parallelen zu Niedersachsen gebe. „Die haben da das Thema Wolf und wir Abgeordneten außerdem die Möglichkeit uns über Erdgas- und Erdölförderung zu informieren.“
Zudem sei das Land im Klima- und Umweltschutz vorbildlich. Der ausschlaggebende Grund sei aber gewesen, dass es ein Programm des kanadischen Außenministeriums gebe, das solche Reisen für ausländische Politiker organisiere, sagt Bosse. „So bekommen wir Kontakt zu Bürgerinitiativen, an die die Landtagsverwaltung so nie herangekommen wäre.“
Marcus Bosse, für die SPD im niedersächsischen Umweltausschuss
Die aufgezählten Gründe hält Byl, die selbst noch nie außerhalb Europas Urlaub gemacht hat, jedoch nicht für ausreichend, um mit dem Ausschuss eine klimaschädliche Fernreise zu unternehmen. Wenn sich die Abgeordneten über Wölfe informieren wollten, könne man das auch in Polen. „Da sind vergleichbare Bedingungen.“
Von den Niederlanden könne man in Sachen Küsten- und Hochwasserschutz etwas lernen und die Dänen seien nicht nur Vorreiter in der Wärmewende, sondern hätten auch viele Erfahrungen mit Offshore-Windparks. „Es ist absurd, wenn der Umweltausschuss“, Byl betont den ersten Wortteil besonders deutlich, „ohne einen wirklich guten Grund eine Fernreise macht“. Ihre Vorschläge seien im Ausschuss jedoch gar nicht mehr inhaltlich diskutiert worden.
Das bestätigt auch Bosse. „Ich habe in den Gesichtern gesehen, dass keiner der Abgeordneten sehr motiviert war, in einer Woche mit dem Zug durch halb Europa zu fahren.“ Die Aufregung der Grünen kann er nicht verstehen. In der vergangenen Legislaturperiode habe der Umweltausschuss unter Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) im Jahr 2015 auch eine Reise in die USA gemacht.
„Die Grünen haben in ihrer eigenen Regierungszeit gerne an solchen Reisen teilgenommen“, sagt auch der Pressesprecher der CDU-Fraktion Marco Zacharias. „Da war die Klimaneutralität kein Thema.“ Zudem könne man in Kanada über alle genannten Themen etwas an einem Ort erfahren. „Es müssen nicht 30 Teilnehmer mit Dieseln durchs Land fahren.“
Vertretbares Reiseziel: die USA
Autofahrten hatte Byl allerdings auch nicht im Sinn. Auch Fernreisen lehnt sie nicht in jedem Fall ab: „Fliegen ist nicht immer schlecht“, sagt sie. Aber es müsse eben einen guten Grund geben. Deshalb sei auch die USA-Reise vertretbar gewesen. „Damals war die Fracking-Gesetzesnovelle dran“, sagt Byl. Die USA haben als technologische Vorreiter des Fracking auch Erfahrungen mit Folgeschäden. Zudem sei es bei dem Besuch auch um das Thema Endlagerung von Atommüll gegangen.
SPD-Mann Bosse sieht zwischen den Reisen keinen Unterschied. „Außerdem kann ich den Ball auch zurückspielen“, sagt er und macht in puncto Fernreisen ein neues Fass auf. Die Grünen hätten im Landwirtschaftsausschuss nämlich selbst eine Reise nach Südamerika vorgeschlagen, sagt er.
Einer zeigt auf den anderen
Miriam Staudte sitzt für die Grünen in besagtem Ausschuss. Sie hat tatsächlich eine Reise nach Argentinien oder Brasilien vorgeschlagen. „Das sind Länder, mit denen wir landwirtschaftlich eng verknüpft sind“, sagt die Abgeordnete. „Für uns wird da der Regenwald abgeholzt und Soja angebaut.“ Es sei das eine, von den Umweltschäden zu wissen, an denen auch die niedersächsische Landwirtschaft ihren Anteil habe, das andere, sie wirklich zu sehen. „Da könnte es bei dem einen oder anderen Abgeordneten Klick machen.“
Dass Bosse von der SPD ihren Vorschlag anführe, empfindet Staudte jedoch als ungerecht. Denn offiziell im Ausschuss besprochen wurde der noch nicht. „Und wieso das jetzt eine Ausschussreise nach Kanada begründet, kann ich mir nicht erklären“, ergänzt Byl. Für die gebe es schließlich gute Alternativen. „Die Politik muss auch Vorbild sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“