Streit um Kulturpolitik: „Dann bekämen wir Flügel“
Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard und Ernst-Deutsch-Theater- Intendantin Isabella Vértes-Schütter reden über das Verhältnis von Politik und Kulturszene
taz: Frau Deuflhard, Frau Vértes-Schütter, Alleinstellungsmerkmale der Hamburger Kulturpolitik sind Angst ums Image und wenig ästhetisches Risiko. Oder nicht?
Amelie Deuflhard: Dass Kunst und Kultur fürs Image wichtig sind, ist ja erstmal positiv. Sie sind für die Stadtentwicklung, für internationale Ausstrahlung wichtig, auch für Diversität. Aber dahinter steht natürlich die Instrumentalisierungsgefahr. Und was die Innovation betrifft: Hamburg ist eben auch eine konservative Stadt. Andererseits gibt es Orte wie Kampnagel, die nach neuen Ästhetiken forschen und gerade dafür gefördert werden.
Isabella Vértes-Schütter: Ich finde, dass Hamburg eine sehr vielfältige Kulturszene hat und dass die Wertschätzung dafür in den letzten Jahren gewachsen ist. Das konnte man auch daran sehen, dass ich als Kulturschaffende 2011 per Direktmandat in die Bürgerschaft gewählt wurde.
Frau Deuflhard, inwiefern instrumentalisiert der Hamburger Senat die Kulturszene?
Deuflhard: Indem auch Hamburgs Stadtmarketing die Thesen Richard Floridas aufnahm und rief: Wir brauchen eine diverse Stadt, wir brauchen Aktivisten, Homosexuelle, Künstler, weil das die Stadt attraktiver macht. Die Konsequenz ist, dass die Künstler aus den Vierteln vertrieben werden, die sie lebendig machen: Gentrifizierung setzt ein, die Preise steigen.Während die Stadt mit dem Schanzenviertel, St. Pauli, mit der Clubszene wirbt, schlägt sich diese erhöhte Aufmerksamkeit in der Förderpolitik aber kaum nieder. Da werden die großen Institutionen nach wie vor massiv bevorzugt.
Frau Vértes-Schütter, diese ungleichen Förderstrukturen gelten als „historisch gewachsen“.
Vértes-Schütter: Wir haben ja schon begonnen nachzujustieren: Für die freie Tanz- und Theaterszene hat es eine Evaluation gegeben, mit der Folge, dass 200.000 Euro mehr in die Förderung der freien Szene fließen.
Reicht das, Frau Deuflhard?
55, Romanistin, Historikerin und Kulturwissenschaftlerin, leitet seit 2007 die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel. Zuvor war sie Chefin der Sophiensaele und des Projekts Volkspalast in Berlin.
Deuflhard: Nein. Für die freie Tanz-, Theater- und Musiktheaterszene mit Tausenden von Künstlern gibt es nach jahrelangen Vorarbeiten ganze 200.000 Euro mehr, während die Schauspielhaus-Intendantin mal eben vier Millionen am Tisch verhandelt: Das zeigt, dass der Satz „Wir sind in einer schwierigen Haushaltslage“ verschieden gedeutet wird. Und dass man in Projekten mit freischaffenden Künstlern wenigstens den Mindestlohn als Honorar für den Projektzeitraum bezahlen sollte, fände ich unerlässlich!
Vértes-Schütter: Natürlich müssen die Bedingungen für Künstler verbessert werden. Das ist in der letzten Legislaturperiode passiert. Wir haben die Kürzung von 4,7 Millionen Euro im Kulturbereich zurückgedreht und durch Mittel aus der Kultur- und Tourismustaxe sowie Umschichtungen eine halbe Million mehr in die Kinder- und Jugendkultur gegeben. Für die freie Szene gibt es den Elbkulturfonds von mindestens 500.000 Euro jährlich.
52, Schauspielerin, Ärztin und seit 1995 Intendantin des privaten Ernst-Deutsch-Theaters, sitzt seit 2011 für Hamburgs SPD in der Bürgerschaft und ist Fachsprecherin für Kultur.
Deuflhard: Es stimmt, die Kulturpolitik der letzten vier Jahre hat Ruhe in viele Problemfelder gebracht. Trotzdem wünsche ich mir, dass man neu über die Gesamtlandschaft nachdenkt. In Berlin gibt es den Hauptstadtkulturfonds mit zehn Millionen, meist für freie Projekte, dazu eine gut ausgestattete Förderlandschaft für die Theater- und Tanzleute. Folglich zieht ein Künstler, der erfolgreich ist, gerne mal nach Berlin. Das ist für Hamburg verheerend und kann nur gestoppt werden, indem man fundamentaler ansetzt.
Frau Vértes-Schütter, Sie priesen die Kultur- und Tourismustaxe. Verschleiert das nicht, dass man eigentlich einen höheren Kulturetat braucht?
Vértes-Schütter: Nein. Zum einen ist der Kulturetat gestiegen – von 232 Millionen Euro in 2014 auf 247 Millionen. Und dass die Kultur- und Tourismustaxe zusätzliche sieben Millionen Euro für die Kultur bringt, finde ich gut. 2,5 Millionen davon fließen in den Sonderausstellungsfonds der Museen …
Deuflhard: Genau diese Dauerförderungen sind in Wirklichkeit Umschichtungen. Da wäre es ehrlicher, den Etat der Einrichtungen aufzustocken, statt sie zum Kampf um Geld für ihre reguläre Arbeit zu zwingen. Dann könnte man die gesamten sieben Millionen aus der Taxe zu einem Projekt-Innovationsfonds machen. Dann würden wir hier echt Flügel bekommen!
Vértes-Schütter: Ihre Forderung ist berechtigt. Nur wissen wir im Moment nicht, wie dieses Geld generiert werden kann.
Apropos Flügel: Auf Kampnagel wohnen derzeit fünf Lampedusa-Flüchtlinge in der „Ecofavela“. Ist das nicht eine Kompetenzüberschreitung der Kultur, Frau Deuflhard?
Deuflhard: Diese „Ecofavela“ ist erstmal ein Kunstraum, der für die Vernetzung der Flüchtlinge sorgt – mit Künstlern, Publikum und Nachbarn. Und es ist keine Kompetenzüberschreitung, denn die „Ecofavela“ ist kein Flüchtlingsheim. Sie ist performativ bespielter Raum, in dem Flüchtlinge aktiv werden können. Sie nähen, kochen, es gibt Tage der offenen Tür. Dieses Kleinteilige ist ein Vorschlag, in eine andere Richtung zu denken: Kann man Flüchtlinge nur in großen Heimen unterbringen, nicht selten in Industriegebieten, wo sie ausgeschlossen sind?
Vértes-Schütter: Ich finde es großartig, dass Kunst so etwas leistet.
Aber die Aktion ist auch eine Kritik an der Flüchtlingspolitik des SPD-Senats.
Deuflhard: Natürlich. Das hat sich jetzt etwas verwischt durch die Strafanzeige der AfD gegen mich persönlich wegen „Verdachts der Beihilfe zu Ausländerstraftaten und Veruntreuung öffentlicher Gelder“, aber das Problem ist ungelöst. Sie kommen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, in denen sie politisch nicht bedroht sind. Sie waren Arbeitsmigranten in Libyen, wurden nach Ghaddafis Sturz vertrieben und kamen dann nach Lampedusa, wo die Italiener sie ins Flugzeug nach Hamburg setzten. Was können die Flüchtlinge dafür? Es gäbe eine gesetzliche Grundlage, sie kollektiv hier aufzunehmen, und es gibt viel Solidarität. Da könnte man doch anbieten, diejenigen aufzunehmen, die noch da sind.
Die „Ecofavela“ läuft Ende Mai aus. Was passiert dann?
Deuflhard: Wir denken gerade darüber nach, in welcher Form wir das Projekt weiterführen. Denn uns fällt natürlich eine soziale Verantwortung zu, und die werden wir wahrnehmen.
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